Nach Huschidh, nach Vater und Mutter, kam Issib und brachte wie üblich nicht nur die Träume mit, die die Überseele ihm gegeben hatte, sondern auch einige Ideen, wie die Dinge besser funktionieren würden.
»Wir müssen uns unterhalten«, sagte Issib.
Nafai nickte.
»Ich habe immer wieder diese Träume.«
»Die Überseele«, sagte Nafai. »Ich weiß, ich habe diese Träume auch.«
»Nicht dieselben, Njef«, sagte Issib. »Ich sehe meinen Ältesten, Xodhja, wie er aus dem Raumschiff kommt …«
»Wie ich Zhjat sehe …«
»Und er sieht genau aus wie ich. Was lächerlich ist, weil er so viel vom Gesicht seiner Mutter hat. Aber in meinem Traum ist er ich. Doch er ist groß und stark, seine Arme, seine Brust — wie ein Gott. Wie eine dieser Statuen im alten Orchester.«
»Natürlich. Die Überseele manipuliert dich nur, Issib.«
»Ja, das weiß ich«, sagte Issib. »Ich war dabei, als wir ihr zum erstenmal widerstanden haben. Kannst du dich noch erinnern? Wir haben es zusammen getan.«
»Ich habe es nicht vergessen.«
»Wir haben bewiesen, daß wir nicht tun müssen, was die Überseele will, nicht wahr, Nafai? Aber dann haben wir uns entschlossen, der Überseele zu helfen, weil wir es wollten. Weil wir mit dem einverstanden waren, was sie zu bewirken versuchte.«
»Und solange ich damit einverstanden war, habe ich kooperiert. Was mich sehr viel gekostet hat, wie ich hinzufügen darf.«
»Gekostet? Dich? Mit dem Mantel der Herrn der Sterne?«
»Ich würde den Mantel sofort gegen das Wissen eintauschen, daß meine Brüder mich lieben.«
»Ich liebe dich, Njef. Hast du daran je gezweifelt?«
»Nein, ich meinte doch nicht …«
»Und Okja und Yaja lieben dich. Sind sie nicht deine Brüder? Bin ich nicht dein Bruder?«
»Ihr alle seid es.«
»Und ich glaube wirklich nicht, daß du etwas darum gibst, ob Meb dich mag oder nicht.«
»Na schön, es geht um Elemak. Ich würde den Mantel des Herrn der Sterne für Elemaks Respekt eintauschen, könnte ich ihn irgendwie bekommen.«
»Verstehst du denn nicht, Njef? Du kannst seinen Respekt niemals haben.«
»Weil ich dieses Respektes niemals würdig wäre.«
»Du Dummkopf.« Issib lachte ihn aus. »Du bist beschränkt, Nafai. Du bekommst seinen Respekt genau deshalb nicht, weil du ihn verdient hast.«
»Schon in der Schule habe ich keine Paradoxa ausstehen können. Ich glaube, sie sind die Schlußfolgerung, zu der Philosophen gelangen, wenn sie …«
»Ich weiß. Wenn sie zu denken aufhören. Das hast du schon öfter gesagt. Aber das ist kein Paradoxon. Elemak haßt dich, weil du sein jüngerer Bruder bist und er weiß — genau weiß —, daß du mehr von Vaters Respekt und Liebe bekommst als er. Er haßt dich, weil er weiß, daß du in Vaters Augen ein besserer Mensch bist als er.«
»Ich wünschte, es wäre so.«
»Du weißt, daß es stimmt. Doch wenn du alles aufgeben, wenn du alles Elemak überlassen würdest, wenn du den Mantel aufgeben und die Überseele zurückweisen würdest — glaubst du, dann würde er dich respektieren? Natürlich nicht. Denn dann wärest du wirklich verachtenswert. Schwach. Ein Nichts.«
»Du hast mich überzeugt. Ich werde den Mantel behalten.«
»Der Mantel ist nichts. Du tust bereits etwas viel schlimmeres.«
Nafai betrachtete ihn ruhig. »Soll das heißen, du willst mich wirklich überzeugen, deine vier ältesten Kinder während der Reise wach zu halten, sie auszubilden und für dich großzuziehen, damit du feststellst, daß sie bereits erwachsen sind, wenn du aufwachst?«
»Keineswegs«, sagte Issib. »Das würde ich verabscheuen.«
»Worum geht es dann?«
»Halte sie wach, aber wecke auch mich gelegentlich auf. Einmal pro Jahr, für ein paar Wochen. Ich könnte die Kinder dann am Computer ausbilden, zum Beispiel. Niemand versteht sich besser darauf als ich.«
»In der neuen Kolonie werden sie keine Computer brauchen.«
»Dann eben Mathematik. Vermessung. Triangulierung. Ich kann dieselben Bücher mit ihnen durchnehmen, die du eingeplant hast, und sie genau wie du unterrichten. Oder hast du vor, hier ein landwirtschaftliches Labor einzurichten? Forstwirtschaft vielleicht? Wann werden wir die Bäume an Bord holen?«
»Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.«
»Du meinst, du Überseele hat noch nicht darüber nachgedacht.«
»Wie auch immer.«
»Wir könnten in Schichten arbeiten. Wecke Luet auf, schicke sie nach einer Weile aber wieder schlafen. Wecke mich auf, wecke Huschidh auf. Wecke Mutter und Vater auf. Immer nur für ein paar Wochen. Dann werden wir sehen, wie die Kinder aufwachsen. Wir brauchen nicht darauf zu verzichten. Und wenn wir die Erde erreichen, werden sie Männer und Frauen sein. Und bereit, sich mit dir gegen die anderen zu verbünden.«
Nafai antwortete nicht sofort. »So hat die Überseele es Luet nicht erklärt.«
»Wo steht denn in Stein gemeißelt, daß du alles so tun mußt, wie die Überseele es gern hätte? Solange du tust, was sie will, spielt die Methode doch kaum eine Rolle, oder?«
»Ist Huschidh derselben Ansicht?«
»Vielleicht. Nach einer Weile.«
»Ich werde kein Kind ohne die Zustimmung der Eltern wach halten.«
»Ach ja? Und was ist mit den Kindern selbst? Wirst du auch sie fragen?«
»Eigentlich sollte ich das«, sagte Nafai. »Ich werde darüber nachdenken, Issib. Vielleicht wird dieser Kompromiß funktionieren.«
»Gut«, sagte Issib. »Denn ich bin der Ansicht, die Überseele hat recht. Wenn wir das nicht tun, wenn wir nicht dafür sorgen, daß starke junge Männer und Frauen dich unterstützen, wirst du sterben, sobald wir das Raumschiff verlassen und der Einfluß der Überseele schwächer wird. Und ich sterbe ebenfalls.«
»Ich denke darüber nach«, sagte Nafai.
Issib erhob sich vom Stuhl, drehte sich zur Tür um und schritt gemächlich darauf zu. Seine Flossen trugen fast sein gesamtes Gewicht. An der Tür drehte er sich um.
»Und noch etwas«, sagte er.
»Was?« fragte Nafai.
»Ich kenne dich besser, als du glaubst.«
»Ach ja?«
»Zum Beispiel weiß ich, daß die Überseele mit dir über diese Angelegenheit gesprochen hat, lange bevor Luet etwas verlauten ließ.«
»Wirklich?«
»Und ich weiß, daß du von Anfang an damit einverstanden warst. Du wolltest nur nicht, daß es deine Idee war. Du wolltest, daß wir dich überzeugen. Auf diese Weise können wir dir später nicht die Schuld geben. Denn du hast versucht, es uns auszureden.«
»Bin ich wirklich so klug?« fragte Nafai.
»Ja«, sagte Issib. »Und ich bin wirklich so klug, daß ich dahintergekommen bin.«
»Na ja, dann bin ich doch nicht so klug.«
»Doch, das bist du«, sagte Issib. »Denn ich will wirklich, daß du es tust. Und ich werde dir niemals Vorwürfe machen können, wenn mir das Ergebnis nicht gefällt. Also hat es funktioniert.«
Nafai lächelte schwach. »Ich wünschte, du hättest in allem recht«, sagte er.
»Ach? Und in welcher Hinsicht liege ich falsch?«
»Im Grunde meines Herzens wäre es mir lieber, wenn alle unsere Kinder während der ganzen Reise schliefen. Denn ich würde es vorziehen, wenn es in der neuen Kolonie keine Trennung zwischen uns gäbe. Ich würde lieber meinen Bruder Elemak zum König über uns alle machen und ihn über uns herrschen lassen, als ihn zum Feind zu haben.«
»Und warum tust du es dann nicht?«
»Weil er die Überseele haßt. Und wenn wir auf der Erde eingetroffen sind, wird er sich auch dem widersetzen, was der Hüter der Erde von uns verlangt. Mit seiner Sturheit wird er uns alle schließlich vernichten. Er kann nicht unser Herrscher sein.«