»Ich bin froh, daß du dies einsiehst«, sagte Issib. »Denn solltest du je zu der Ansicht gelangen, er sollte unser Herrscher sein, wird er dich in diesem Augenblick vernichten.«
Volemak, Rasa, Huschidh, Issib; und dann kamen endlich Schedemei und Zdorab zu ihm, nur eine Stunde, bevor sie alle sich zu der Reise schlafen legen sollten. »Ich will es nicht«, sagte Zdorab.
»Dann werde ich eure Kinder nicht wecken«, sagte Nafai. »Ich bin noch nicht sicher, ob ich überhaupt irgendwelche Kinder wecken werde.«
»Doch, das wirst du«, sagte Schedemei. »Und du wirst auch uns wecken, damit wir dir helfen, sie zu unterrichten. So lautet unsere Abmachung.«
»Und wirst du ihnen gemeinsam mit mir mutig gegenübertreten, wenn wir die Erde erreichen, und unsere Kinder sind alle zehn Jahre älter als Eljas und Mebs und Vasjas und Brijas? Wirst du sagen: Wir hielten es für eine gute Idee? Wir haben ihn gebeten, es zu tun?«
»Ich werde niemals sagen, daß ich es für eine gute Idee halte«, erwiderte Zdorab. »Aber ich werde eingestehen, daß ich dich gebeten habe.«
»Das reicht nicht«, sagte Nafai. »Warum bittest du mich, eure beiden einzigen Kinder daran teilnehmen zu lassen, wenn du es für keine gute Idee hältst?«
»Weil mein Sohn mir niemals verzeihen würde«, sagte Zdorab, »würde er erfahren, daß er die, Gelegenheit hatte, die Erde als Mann zu erreichen, und ich ihn dazu zwang, als Knabe dort einzutreffen.«
Nafai nickte. »Das ist ein guter Grund.«
»Aber vergiß nicht, Nafai«, sagte Zdorab. »Dasselbe gilt für die anderen Kinder. Glaubst du, daß Eljas’ Sohn Protschnu dir je verzeihen wird, wenn er erwacht und feststellt, daß dein jüngerer Sohn Motja jetzt acht Jahre älter ist, statt zwei Jahre jünger? Oder auch Motja? Das wird Haß verursachen, der niemals schwinden wird, Generation um Generation. Sie werden immer glauben, daß man ihnen etwas gestohlen hat.«
»Und damit haben sie recht«, sagte Nafai. »Aber was ihnen gestohlen wurde, das hat man ihnen erst genommen, nachdem sie es bereits zurückgewiesen hatten.«
»Daran werden sie sich nie erinnern.«
»Aber wirst du dich daran erinnern?«
Zdorab dachte kurz darüber nach.
»Wenn nicht«, sagte Schedemei, »werde ich ihn daran erinnern.«
Zdorab lächelte sie grimmig an. »Gehen wir zu Bett«, sagte er.
Ganz gleich, wer später erwachen würde, beim Start selbst würden alle schlafen. Die Belastung und der Schmerz waren zu groß, um den Start bei Bewußtsein zu überstehen. Statt dessen würden sie von Schaum umgeben in ihren Schlafkammern liegen.
Jedes Ehepaar brachte seine jungen Kinder zu Bett, legte sie in ihre Tiefschlafkammern, küßte sie. Dann schlossen sie den Deckel und beobachteten durch das Fenster, wie die Kinder in den von Medikamenten hervorgerufenen Schlaf fielen, der den Prozeß einleitete. Einige Kinder hatten Angst, besonders die älteren, die ein wenig von dem verstanden, was hier geschah. Aber es herrschte auch Aufregung, Erwartung. »Und wenn wir aufwachen, werden wir auf der Erde sein?« fragten sie immer wieder. »Ja«, sagten ihre Eltern.
Dann führte Nafai die Eltern in den Kontrollraum und zeigte ihnen den Kalender mit der Einstellung, die bewirkte, daß sie zur Mitte der Reise geweckt werden würden. »Dann könnt ihr nach euern Kindern sehen und euch überzeugen, daß sie friedlich schlafen«, versicherte Nafai ihnen.
»Jetzt kann ich in der Tat beruhigt schlafen«, erwiderte Elemak mit trockener Ironie.
Nafai beobachtete, wie sie sich nacheinander schlafen legten, und er ermächtigte die Computer der Lebenserhaltung, sie nacheinander mit Medikamenten zu betäuben, mit Schaum zu umgeben und abzukühlen, bis ihre Körper kaum noch lebten. Dann stieg auch er in seine Kammer und zog den Deckel hinter sich zu.
Kein Mensch sah, wie das Schiff leise in die Luft stieg, hundert Meter, tausend, bis es so hoch war, wie die Magnetkraft des Landefeldes es heben konnte. Dann zündeten die Startraketen und feuerten in die Tiefe, während das Raumschiff in den Nachthimmel stieg.
Weit entfernt, auf der anderen Seite des schmalen Meeres, blickten Reisende auf der Karawanenstraße zum Himmel und sahen die Sternschnuppe. »Aber sie steigt empor«, sagte einer von ihnen. »Nein«, sagte ein anderer. »Das ist nur eine Illusion, weil sie sich uns nähert.«
»Nein«, sagte der erste wieder. »Sie steigt in den Himmel empor. Und sie ist viel zu langsam, um eine Sternschnuppe zu sein.«
»Wirklich?« höhnte der andere. »Was ist es dann?«
»Ich weiß es nicht«, sagte der erste. »Aber ich danke der Überseele, daß wir es sehen konnten.«
»Und warum das?«
»Weil es nach Millionen von Jahren nichts mehr gibt, du Narr, das man nicht schon hundertmal oder tausendmal oder sogar eine Million Mal zuvor gesehen hat. Aber wir haben etwas gesehen, das noch nie jemand gesehen hat.«
»Glaubst du.«
»Ja, das glaube ich.«
»Und was nutzt uns das? Etwas Wunderbares zu sehen und keine Ahnung zu haben, was man gesehen hat?«
Das Raumschiff Basilika stieg höher, aus dem Schwerkraftbereich des Planeten Harmonie. Als es weit genug entfernt war, stellten die Raketen ihre Arbeit ein. Sie würden erst wieder benutzt werden, wenn das Raumschiff auf einer anderen Welt landen wollte. Statt dessen entfaltete sich ein Netz aus den Seiten des Schiffes, das aus so feinen Strängen bestand, daß man sie nicht hätte sehen können, wäre nicht ein blendendes Licht auf die Drähte gefallen, wann immer ein Wasserstoffmolekül oder ein noch kleineres Teilchen in das Energiefeld stürzte, welches das Netz erzeugte. Dann konnte man dessen Form ausmachen. Es sah wie ein riesiges Spinnennetz aus, das den Staub des Weltraums sammelte, um das Raumschiff damit voranzutreiben. Die Basilika begann zu beschleunigen, wurde immer schneller, bis Harmonie weit zurückblieb und nur einer von ungezählten Lichtpunkten war, der sich mit bloßem Auge nicht von irgendeinem anderen unterscheiden ließ. Nach vierzig Millionen Jahren hatten die Menschen die Oberfläche dieser Welt verlassen und kehrten trotz aller Schwierigkeiten nach Hause zurück.
5
Der Lauscher
Als die anderen Kinder erwachten, nahmen sie alle an, sie müßten auf der Erde eingetroffen sein. Schließlich hatte man ihnen das erzählt, als man sie in die Tiefschlafkammern brachte — wenn ihr aufwacht, seid ihr auf der Erde.
Ojkib hingegen wußte bereits, daß er lange vorher aufwachen würde. Es überraschte ihn nicht, daß die Schwerkraft nicht normal war, so daß er sich unvorstellbar leicht und stark vorkam und jeder Schritt ihn bis zur Decke hinaufzutragen schien. So war es nun mal im Weltraum, wo einen kein Planet am Boden hielt, sondern man nur die Beschleunigung des Schiffes hatte. Und hätte er irgendwelche Zweifel gehabt, wären sie durch die Tatsache zerstreut worden, daß Ojkib, als Nafai und Luet die Kinder in der Schiffsbibliothek versammelten — dem größten Raum des Sternenschiffs, von der Zentrifuge einmal abgesehen —, das schwache Murmeln hören konnte, mit dem die Überseele zu den beiden sprach: Das ist eine schlechte Idee. Laßt ihnen keine Wahl. Kinder in diesem Alter sind zu jung, um eine so wichtige Entscheidung treffen zu können. Ihre Eltern haben bereits zugestimmt. Wenn ihr ihnen sagt, daß sie eine Wahl haben, obwohl es gar nicht stimmt, werden sie euch dafür nur hassen. Und so wird es immer weiter gehen.
Ojkib hörte solche Gesprächsfetzen seit seiner frühesten Kindheit. Er konnte sich an keine Zeit erinnern, da er sie nicht gehört hatte. Zuerst waren sie ihm jedoch wie Musik vorgekommen, wie Wind, wie das Geräusch von Wellen, das einem Kind vertraut ist, das am Meer aufwächst. Er dachte sich nichts dabei, suchte nicht nach einer Bedeutung darin. Doch allmählich, als er vier oder fünf Jahre alt war, wurde ihm klar, daß dieses Hintergrundgeräusch Namen enthielt; daß es Ideen enthielt, Ideen, die später bei Diskussionen unter den Erwachsenen aufkamen.