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»Ich glaube nicht, daß ihr euch jetzt schon um die Ehe Sorgen machen müßt«, sagte Luet.

»Warum nicht?« sagte Chveja. »Du machst dir doch auch Sorgen darum. Rokja ist der einzige Junge hier, der nicht mein Onkel oder ein doppelter Vetter ersten Grades ist.«

»Das wird kein Problem sein«, sagte Luet. »Schedemei hat mir gesagt, daß es keine genetischen Probleme geben wird. Falls ihr euch also in einen Vetter oder Onkel verlieben solltet, wenn ihr älter seid …«

Die meisten Kinder gaben stöhnende oder würgende Geräusche von sich.

»Ich habe gesagt, wenn ihr älter seid, und wenn diese Vorstellung euch nicht mehr abstoßend vorkommt, wird es keine genetischen Probleme geben.«

Aber Ojkib wußte, daß Schedemei vor dem Start die Überseele gebeten hatte, ihr zu vergeben, daß sie Nafai diese Lüge erzählt hatte. Des weiteren hatte sie die Überseele aufgefordert, Nafai zu sagen, er solle Ehen zwischen engen Vettern und Kusinen verbieten, falls irgendeine Gefahr darin liegen sollte. Er wußte aber auch etwas anderes, das Schedemei nicht gewußt hatte: daß alle ihre Behauptungen, sie wären von der Überseele sorgfältig herangezüchtet worden, um genetische Defekte auszuschließen, ihr von der Überseele eingegeben worden waren. Ojkib hatte diese sehr starke Mitteilung natürlich gehört; deshalb bereitete ihm die Vorstellung, eine Kusine zu heiraten, keine Probleme. Er konnte nur hoffen, daß die Überseele recht hatte — Ojkib und Yaja konnten schlecht beide Schedemeis und Zdorabs Tochter Dabrota heiraten. Deshalb mußte einer von ihnen eine Nichte heiraten oder unverheiratet sterben.

Chveja war damit nicht zufrieden. »Das hast du an diesem Abend nicht gesagt …«

»Veja«, sagte Luet und brachte alle Geduld auf, die sie besaß, »du hast nicht beide Seiten dieses Gesprächs gehört. Außerdem habe ich seitdem einige neue Informationen bekommen. Hab ein wenig Vertrauen, Schatz.«

Dann ergriff Motiga das Wort. Da ihm nichts am Thema Ehe lag, hatte er über etwas ganz anderes nachgedacht. »Wenn die Leute, die schlafen, nicht älter werden, werden die, die jetzt nicht hier sind, noch klein sein, wenn wir auf der Erde ankommen? Ich meine, werde ich größer als Protschnu sein?«

Luet und Nafai schauten sich an. Sie hatten es eindeutig vermeiden wollen, so eine Frage beantworten zu müssen. »Ja«, sagte Nafai schließlich. »Das bedeutet es.«

»Toll«, sagte Motiga.

Aber die anderen waren nicht unbedingt dieser Meinung. »Das ist doch dumm«, sagte Schjada, die als Sechsjährige in Protschnu verknallt war. »Warum weckt ihr uns nicht einfach abwechselnd auf, wie ihr es bei den Erwachsenen vorhabt?«

Ojkib war überrascht, daß eine Sechsjährige auf die vernünftigste Lösung gekommen war. Das galt auch für Nafai und Luet. Sie wußten offensichtlich nicht, was sie darauf sagen, wie sie es ihr erklären sollten.

Also sprang Ojkib ein, der sich über jede Gelegenheit freute, helfen zu können. »Hört mal, wir sind jetzt nicht wach, weil Nafai und Luet uns am besten leiden können oder so. Wir sind hier, weil unsere Eltern auf Nafais Seite stehen, und die Kinder, die noch schlafen … na ja, deren Eltern stehen auf Elemaks Seite.«

Nafai schaute wütend drein. Ojkib hörte, wie er zur Überseele sagte: Kannst du diesem Jungen nicht mal beibringen, wann er seine Klappe halten soll?

Ojkib hörte auch die Antwort der Überseele: Habe ich dich nicht gewarnt, ihnen keine Wahl zu lassen?

»Ich glaube, es ist besser, wenn wir die wirklichen Gründe kennen, bevor wir eine Entscheidung treffen«, sagte Ojkib und schaute Nafai in die Augen. »Ich weiß, daß ihr und meine Eltern und Issib und Huschidh und Schedemei und Zdorab der Überseele gehorchen, und ich weiß, daß Elemak und Mebbekew und Obring und Vas versucht haben, dich zu töten, und die Überseele glaubt, daß sie es erneut versuchen werden, sobald wir die Erde erreichen.« Er wußte, daß er wahrscheinlich zuviel gesagt und Dinge verraten hatte, von denen er eigentlich nichts wissen durfte. Also wandte Ojkib sich an die anderen Kinder, um es ihnen zu erklären. »Es ist wie ein Krieg«, sagte er. »Obwohl Nafai als auch Elemak meine Brüder sind, und obwohl Nafai nicht will, daß es einen Kampf zwischen ihnen gibt, wird Elemak versuchen, Nafai zu töten, wenn wir die Erde erreicht haben.«

Die anderen Kinder blickten ihn mit sehr ernsten Gesichtern an. Ojkib redete nicht besonders viel, aber wenn er etwas sagte, hörten sie ihm zu, und was er sagte, war sehr wichtig. Es ging nicht mehr um so belanglose Fragen wie die, wer unter den Kindern das Sagen hatte. Das war Luets und Nafais Fehler gewesen. Sie hatten gewollt, daß die Kinder eine Entscheidung treffen, aber dabei sollten sie nicht die wirklichen Hintergründe kennen. Nun ja, Ojkib kannte diese Kinder besser, als die Erwachsenen sie kannten. Er wußte, sie würden ihn verstehen, und er wußte, wie sie sich entscheiden würden.

»Ihr seht also«, fuhr Ojkib fort, »in Wirklichkeit haben sie uns aufgeweckt, damit Yasai und Xodhja und Rokja und Zhjat und Motja und ich Männer sein werden. Große Männer. Während Eljas und Kokors und Sevets und Mebs Söhne noch kleine Kinder sind. Auf diese Weise wird Elemak es nicht nur mit einem alten Mann wie meinem Vater oder einem Krüppel wie Issib zu tun haben. Er wird uns gegenübertreten müssen, und wir werden zu Nafai stehen und für ihn kämpfen, wenn es sein muß. Das werden wir doch, oder?«

Ojkib schaute von einem Jungen zum nächsten, und alle nickten. »Und es geht nicht nur um die Knaben«, fügte er hinzu. »Wir zwölf werden heiraten und Kinder haben, und unsere Kinder werden geboren, bevor die anderen Kinder bekommen, und deshalb werden wir immer stärker sein. Es ist die einzige Möglichkeit, Elemak davon abzuhalten, Nafai zu töten. Und nicht nur Nafai. Denn sie müßten auch Vater töten. Und Issja. Und vielleicht auch Zdorab. Und wenn sie Vater, Issja und die anderen nicht töten, werden sie sie wie Sklaven behandeln. Und uns auch. Es sei denn, wir bleiben auf dieser Reise wach. Elemak und Mebbekew sind zwar meine Brüder, aber sie sind nicht nett.«

Luet hatte das Gesicht in den Händen begraben. Nafai schaute zur Decke.

»Woher weißt du das alles, Okja?« fragte Chveja.

»Ich weiß es einfach, ja?« erwiderte Ojkib. »Ich weiß es einfach.«

Ihre Stimme wurde ganz leise. »Hat die Überseele es dir gesagt?«

Gewissermaßen ja — aber aus irgendeinem Grund wollte Ojkib nicht lügen oder Chveja auch nur in die Irre führen. Da war es besser, gar nicht zu antworten. »Das geht nur mich etwas an«, sagte er.

»Das trifft auf vieles von dem zu, was du gerade gesagt hast, Ojkib«, sagte Nafai. »Aber du hast es nun mal gesagt, und wir müssen uns damit befassen. Es stimmt, daß die Überseele glaubt, unsere Gemeinschaft würde sich spalten, nachdem wir die Erde erreicht haben. Und es stimmt, daß die Überseele das alles geplant hat, damit ihr alt genug seid, um euch mit euren Eltern gegen Elemak und seine Gefolgschaft und deren Kinder wenden zu können. Aber ich bin nicht der Ansicht, daß es zu einer solchen Spaltung kommen muß. Ich will diese Spaltung nicht. Statt dessen bin ich der Ansicht, daß es gut wäre, zwölf weitere Erwachsene zu haben, die uns beim Aufbau der Kolonie helfen können — und zwölf Kinder weniger, auf die wir aufpassen und die wir schützen und ernähren müssen. Alle werden Vorteile daraus ziehen.«

»Aber du hättest uns nichts davon gesagt, wenn Ojkib es nicht gesagt hätte«, warf Chveja ihm leicht erzürnt vor.

»Ich dachte, ihr würdet es nicht verstehen«, sagte Nafai.

»Ich verstehe es auch nicht«, sagte Schjada wahrheitsgemäß.

»Ich bleibe wach«, sagte Padarok. »Ich bin auf deiner Seite, weil ich weiß, daß meine Eltern es auch sind. Ich habe gehört, wie sie darüber sprachen.«