»Ich auch«, sagte seine kleine Schwester Dabja. Nacheinander gaben sie alle ihre Zustimmung.
Schließlich wandte Dazja sich an Chveja. »Und es tut mir leid«, fügte sie hinzu, »daß du mich so sehr haßt, daß du lieber ein kleines Mädchen bleiben willst, als bei mir zu sein.«
»Du haßt doch mich«, sagte Chveja.
»Das stimmt nicht«, sagte Dazja.
Es folgte ein langes Schweigen.
»Wenn es hart auf hart geht«, sagte Chveja, »stehen wir auf derselben Seite.«
»Das ist richtig«, sagte Dazja.
Und dann fügte Chveja — die wirklich nicht besonders gründlich nachdachte, bevor sie etwas sagte — hinzu: »Und du kannst Padarok heiraten. Ich habe nichts dagegen.«
Padarok protestierte sofort lautstark, während die meisten anderen Kinder johlten und lachten. Nur Ojkib bemerkte, daß Chveja ihn ansah, nachdem sie dies gesagt hatte, bevor sie den Blick senkte und auf ihren Schoß sah.
Also bin ich der Auserwählte, dachte er. Wie nett von dir, daß du meine Entscheidungen triffst.
Aber es war auch offensichtlich. In dieser Gruppe von zwölf Kindern waren Ojkib und Padarok die einzigen Jungen, die im ersten Jahr geboren waren, und Chveja und Dza die einzigen Mädchen. Wenn Dza und Padarok sich zusammentaten, würde Chveja entweder Ojkib oder einen der jüngeren Knaben oder gar nicht heiraten müssen.
Der Gedanke war ein wenig abstoßend. Er dachte an die eine Gelegenheit, als er sich hatte breitschlagen lassen, mit Dza und einigen der jüngeren Mädchen mit Puppen zu spielen. Es war überaus langweilig gewesen, die Rolle des Vaters und Gatten zu übernehmen, und bereits nach ein paar Minuten hatte er das Weite gesucht. Er stellte sich vor, mit Chveja mit Puppen zu spielen, und es kam ihm kaum interessanter vor. Aber vielleicht war es besser, wenn die Puppen echte Kleinkinder waren. Die erwachsenen Männer schienen jedenfalls nichts dagegen zu haben. Vielleicht fehlte irgend etwas, wenn sie mit Puppen spielten. Vielleicht waren in echten Ehen die Frauen nicht so sehr darauf bedacht, die Männer zu zwingen, alles nach ihren Vorstellungen zu tun.
Padarok mußte darauf hoffen, denn wenn er sich wirklich mit Dazja zusammentat, würde er ohne ihre Erlaubnis nicht mal seine eigenen Gedanken denken können. Sie war wirklich die herrischste Person, die je gelebt hatte. Chveja hingegen war bloß stur. Das war etwas anderes. Sie wollte die Dinge auf ihre Weise erledigen, aber sie bestand wenigstens nicht darauf, daß die anderen sie ebenfalls auf ihre Weise erledigen mußten. Vielleicht konnten sie heiraten und in getrennten Häusern wohnen und sich abwechselnd um die Kinder kümmern. Das würde funktionieren.
Nafai zeigte den anderen Kindern nun, wo sie schlafen würden — im Zimmer der Mädchen und in dem der Jungen. Ojkib, der über die Ehe nachgedacht hatte, war in der Bibliothek geblieben und stellte nun fest, daß er mit Luet allein war.
»Du hattest gerade eine Menge zu sagen«, wandte sie sich an ihn. »Normalerweise tust du das nicht.«
»Ihr beide hättet es nicht gesagt«, erwiderte er.
»Nein, wohl kaum«, bestätigte sie. »Und vielleicht hatten wir einen guten Grund dafür. Meinst du nicht auch?«
»Nein, ihr hattet keinen guten Grund«, sagte Ojkib. Er wußte, es war unerhört von ihm, so etwas zu einem Erwachsenen zu sagen, aber das war ihm jetzt egal. Schließlich war er Nafais Bruder und nicht sein Sohn.
»Bist du dir dessen so sicher?« O ja, sie war unglaublich wütend.
»Ihr habt uns nicht den wirklichen Grund für alles gesagt, weil ihr dachtet, wir würden ihn nicht verstehen. Aber wir haben ihn verstanden. Wir alle. Und als wir dann eine Entscheidung getroffen haben, wußten wir, wofür wir uns entschieden.«
»Du glaubst vielleicht, du verstehst es, aber das stimmt nicht«, sagte Luet. »Es ist viel komplizierter, als du ahnst, und …«
Jetzt wurde Ojkib wirklich wütend. Er hatte ihre Streitgespräche mit der Überseele gehört — all die Nuancen und möglichen Probleme, um die sie sich Sorgen gemacht hatten —, und obwohl er nicht sagen konnte, wieso er das alles wußte, würde er jetzt auf keinen Fall so tun, als könne er es nicht verstehen. »Bist du jemals auf den Gedanken gekommen, Lutja, daß es vielleicht auch viel komplizierter ist, als ihr glaubt?«
Vielleicht lag es daran, daß er sie — eine Erwachsene! — mit ihrem Schnellnamen anredete, oder vielleicht auch, weil sie die Wahrheit dessen erkannt hatte, was er vorgebracht hatte; jedenfalls schwieg sie und schaute ihn an.
»Ihr versteht nicht alles«, sagte Ojkib, »aber ihr trefft trotzdem Entscheidungen. Na ja, wir verstehen auch nicht alles. Aber wir haben eine Entscheidung getroffen, nicht wahr? Und zwar die richtige, oder?«
»Ja«, sagte sie leise.
»Vielleicht sind Kinder nicht so dumm, wie ihr glaubt«, fügte Ojkib hinzu. Das hatte er schon seit langem mal zu einem Erwachsenen sagen wollen, und jetzt schien die richtige Gelegenheit dazu gekommen zu sein.
»Ich glaube gar nicht, daß ihr dumm seid, weder du noch ein anderes …«
Doch bevor sie den Satz beenden konnte, war Ojkib schon zur Tür hinaus und sprang auf der Suche nach den anderen den Korridor entlang. Wenn er nicht dabei war und sie sich die Betten aussuchten, würde er das schlechteste bekommen.
Es sollte sich herausstellen, daß er trotzdem das schlechteste Bett bekam, die untere Koje direkt neben der Tür, wo jeder, der den Gang entlangkam, ihn sofort sah, so daß ihm gar nichts durchgehen würde. Er hatte sich das beste Bett ausgesucht, und da er der erste Junge war, hatte keiner der anderen mit ihm gestritten. Aber dann sah er, wie traurig Motja war, das schlechteste Bett bekommen zu haben — besonders, als Yaja und Zhjat ihn deshalb aufzogen. Also hatte er jetzt das schlechteste Bett, und er wußte, später würde niemand mit ihm tauschen wollen. Zehn Jahre, dachte er. Ich werde zehn lausige Jahre in diesem Bett schlafen müssen.
6
Der häßliche Gott
Emeez’ Mutter führte sie zu der heiligen Höhle, als sie sechs Jahre alt war. Es war ein wunderbarer Ort, denn er lag unter der Erde und war trotzdem nicht vom Volk geschlagen worden. Statt dessen wuchs er auf diese Art und Weise, ein Geschenk der Götter; sie hatten die Höhle geschaffen, und deshalb wurden die Götter hierher gebracht, um angebetet zu werden.
Die Höhle war seltsam, ganz rauh und naß statt trocken und mit glatten Wänden wie die Höhlen der Stadt. Kalkwasser tropfte überall. Mutter erklärte Emeez, daß das Wasser mit jedem Tropfen eine winzige Menge Kalk zurückließ, der mit der Zeit dann die gewaltigen Säulen bildete. Aber wie war das möglich? Trugen die Säulen nicht das Dach der Höhle? Was hatte das Dach zu Anfang getragen, wenn die Säulen erst entstanden waren, nachdem das Wasser jahrelang getropft hatte? Aber Mutter erklärte, daß diese Höhle aus Stein bestand. »Die Götter brechen Löcher in den Berg, so, wie wir Steinschichten für unsere Klingen abschlagen«, sagte Mutter. »Sie können ein so breites Steindach in die Höhe halten, daß du selbst mit der hellsten Fackel nicht die andere Seite sehen kannst. Und kein Wind ist so stark, daß er das Dach vom Bau der Götter abreißen könnte.«
Deshalb sind sie wohl auch Götter, dachte Emeez. Sie hatte gesehen, was der Sturm mit dem bergauf gelegenen Ende der Stadt angestellt hatte; er hatte drei Dachbäume abgerissen, so daß Regen und Sonnenlicht dort hineinfielen, wo früher Kinderzimmer und Versammlungsräume gewesen waren. Es hatte Tage gedauert, die Tunnels zu versiegeln und anderswo neue Bauten zu schaffen, um den verlorenen Raum zu ersetzen, und während dieser Zeit hatten zwei Kusinen und drei Nichten bei ihnen gewohnt. Mutter war fast verrückt geworden, und Emeez war es kaum anders ergangen. Sie waren zurückgezogene, ruhige Leute und kamen mit Gschaftlhubern, die sich ständig in ihre Angelegenheiten einmischten, nicht sehr gut zurecht. Oh, was ist das, wollen wir mit so jungen Jahren schon zu weben lernen? Oh, ich wette, du hast dein Herz schon einem jungen Burschen geschenkt, der gerade auf seiner ersten Jagd ist, du hübsches kleines Ding, du.