Выбрать главу

Bis sie den erstaunlichsten Gott von allen fand, in der hintersten Ecke eines kleinen Nebenraums. Er sah gar nicht aus wie die anderen. Eigentlich sah er nicht mal wie ein Tier aus. So etwas hatte Emeez noch nie gesehen. Seine Form war absolut makellos. Sie war nirgendwo geglättet worden — und das bedeutete, daß er niemals von jemandem verehrt worden war.

Na ja, sagte Emeez zu dem häßlichen Gott. Ich werde dich jetzt verehren. Und ich werde dich auf die beste Art und Weise verehren, nicht wie die anderen. Ich werde dich nicht ablecken oder reiben, oder welche Abscheulichkeit man mit den anderen schlammigen Göttern auch immer anstellt. Ich werde dich verehren, indem ich dich ansehe und sage, daß du wunderschön geformt bist.

Natürlich handelte es sich um eine wunderschöne Statue eines erstaunlich häßlichen Geschöpfs. Oder besser gesagt, nur um den Kopf des Geschöpfs. Es hatte einen Mund wie ein Mensch und zwei Augen wie ein Mensch, aber die Nase zeigte nach unten, und sein Kiefer war erstaunlich spitz, und am unteren Ende des Kopfes wurde er immer schmaler, bis der Hals dann viel, viel dünner als der Kopf war. Wie konnte es einen so gewaltigen Kopf auf einem so dünnen Hals aufrecht halten? Und warum hatte ein dummes Stück Himmelsfleisch auch nur daran gedacht, etwas zu schaffen, das nie jemand gesehen hatte?

Als Emeez genauer darüber nachdachte, war die Antwort auf die letzte Frage natürlich offensichtlich. Das Himmelsfleisch hatte diesen Kopf geformt, weil der Gott so aussah.

Nein. Welcher Gott wollte schon so aussehen?

Außer — und das war ein erstaunlicher Gedanke — außer, die Götter konnten nichts daran ändern, wie sie aussahen. Außer, dieser Gott war wie sie und wuchs als häßliches Wesen auf. Dennoch war er nicht der Ansicht, er habe nicht das Recht, zu einer Statue gemacht und verehrt zu werden. Deshalb hatte dieser Gott ein Himmelsfleisch dazu gebracht, seinen Kopf zu schnitzen. Doch als der dann hier herunter geschafft worden war, hatte keine Seele ihn je verehrt, und er war in einer dunklen Ecke gelandet. Aber jetzt habe ich dich gefunden, dachte Emeez, und ich mag zwar häßlich sein, aber ich bin die einzige Verehrerin, die du je gehabt hast. Also sag mir jetzt ja nicht, du weist mich zurück!

›Ich akzeptiere dich.‹

Sie hörte es so klar und deutlich, als hätte jemand hinter ihr gesprochen. Sie drehte sich um und sah nach, doch es war niemand in diesem dunklen Raum, niemand außer ihr.

»Hast du mit mir gesprochen?« flüsterte sie.

Es erfolgte keine Antwort. Doch als Emeez die häßliche, wunderschöne Statue betrachtete, erkannte sie plötzlich etwas. Etwas so wichtiges, daß sie es sofort Mutter sagen mußte. Emeez lief aus dem Raum und den Hauptpfad hinauf, bis sie das Zimmer erreichte, in dem sich ihre Mutter und die Priesterin angeregt unterhielten. »Wie ich sehe, fühlst du dich besser, Emeez«, sagte Mutter und tätschelte ihren Kopf.

»Mutter, ich muß dir sagen …«

»Später«, unterbrach Mutter sie. »Wir haben gerade etwas Wunderbares beschlossen, das dich betrifft …«

»Mutter, ich muß es dir jetzt sagen.«

Mutter schaute peinlich berührt und verärgert drein. »Emeez, soll Vleezheesumuunuun etwa glauben, daß ich dich nicht gut erzogen habe?«

Am Namen der Priesterin erkannte Emeez, daß sie eine sehr wichtige und vornehme Person sein mußte, und plötzlich war sie schüchtern. »Es tut mir leid«, sagte sie.

»Ach, das ist schon in Ordnung«, sagte die alte Priesterin. »Es heißt, daß die Haarigen noch die Stimme der Götter hören können.«

Na toll, dachte Emeez. Erzählt mir jetzt ja nicht, daß ich vielleicht als Priesterin enden muß, nur weil ich häßlich bin.

»Was wolltest du uns sagen, Kind?« fragte die Priesterin.

»Ich habe nur … ich habe einen wunderschönen Gott angesehen, nur daß er in Wahrheit häßlich war … und plötzlich wußte ich etwas. Das ist alles.«

Die Priesterin ging auf alle viere hinab. Augenblicklich tat Mutter es ihr gleich, und Emeez war immerhin so gut erzogen, daß sie wußte, auch sie mußte diese Haltung einnehmen. Es war jedoch aufheiternd, denn es bedeutete, daß die Priesterin sie ernst nahm. »Was hast du plötzlich gewußt?« fragte Vleezheesumuunuun.

»Nun, wenn ich jetzt darüber nachdenke, weiß ich nicht mal, was es zu bedeuten hat.«

»Sag es uns trotzdem«, sagte Mutter, und die Priesterin blinzelte langsam ein Ja.

»Diejenigen, die verloren sind, kehren nach Hause zurück.«

Mutter und die Priesterin sahen sie verdutzt an. Schließlich ergriff Mutter das Wort. »Das ist alles?«

»Das ist genug«, flüsterte die Priesterin. »Sag es niemandem.« Sie hatte ihre Augen geschlossen.

»Dann weißt du, was es bedeutet?« fragte Mutter.

»Nein«, sagte die Priesterin. »Nicht, was es bedeutet. Aber erinnerst du dich nicht an das Lied der Schöpfung, in dem die große Prophetin Zz sagte: ›Es wird kein Fleisch mehr am Himmel geben an dem Tag, da die Verlorenen gefunden werden, und keine Götter mehr vom Fluß, wenn die Wanderer nach Hause kommen!‹?«

»Nein, daran erinnere ich mich nicht«, sagte Mutter, »und wenn du genau darauf achtest, hat Zz nichts davon gesagt, daß Verlorene nach Hause kommen. Sie hat gesagt, daß die Verlorenen gefunden werden und die Wanderer nach Hause kommen. Deshalb bin ich nicht der Ansicht, daß du diese Sache so ernst nehmen und meine arme Tochter zu Tode erschrecken mußt.«

Aber offensichtlich war es Mutter, die fürchterliche Angst hatte. Emeez jedenfalls hatte keine Furcht. Sie war freudig erregt. Der Gott hatte ihr gesagt, daß er ihre Verehrung akzeptierte und ihr dann ein Geschenk gemacht, diesen Fetzen Wissen, der ihr selbst zwar nichts bedeutete, der Priesterin anscheinend aber sehr viel — und auch Mutter, obwohl sie das Gegenteil behauptete.

»Das ändert alles«, sagte die Priesterin.

»Das hatte ich befürchtet«, murmelte Mutter.

»Ach, mach dich doch nicht lächerlich«, sagte die Priesterin. »Ich werde trotzdem einen Gatten für deine Tochter finden.«

Einen Gatten finden! Was für eine schreckliche Schande! Eine arrangierte Ehe! Mutter war so sicher, daß kein Mann Emeez je haben wollte, daß sie zu der Priesterin gegangen war, um eine Opferehe zu arrangieren? Ein Mann sollte gezwungen werden, sie zur Frau zu nehmen, um für irgendein Vergehen zu büßen? Emeez hatte das bereits zweimal miterlebt, und beide Male hatte die Frau, die auf diese Weise feilgeboten wurde, ebenfalls ein Vergehen begangen — und es war ihre Buße gewesen, einem Mann aufgedrückt zu werden wie ein häßliches Heilkraut auf eine Wunde.

»Was für ein Verbrechen habe ich begangen?« flüsterte Emeez.

»Sei nicht so gereizt«, sagte die Priesterin. »Wie ich schon sagte, das ändert alles.«

»Inwiefern?« fragte Mutter.

»Drücken wir es einfach so aus … Wenn ein Mädchen verkündet, daß die Worte von Zz erfüllt werden, wird dieses Mädchen keinem gewöhnlichen Sünder oder einem moralischen Kretin zur Frau gegeben.«

O Freude aller Freuden, dachte Emeez verbittert. Ich nehme an, das bedeutet, daß ich einem wahrhaft außergewöhnlichen Schurken zur Frau gegeben werde.

»Sie ist sechs?« fragte die Priesterin. »In zwei Jahren wird sie eine Frau sein?«

»Soweit man so etwas vermuten kann«, sagte Mutter. »Es ist natürlich die Entscheidung der Götter.«

Die Priesterin streichelte Emeez’ Fell. Wie stets versteifte Emeez sich unter der Berührung. Die Leute berührten auch immer die gekrümmten Glieder oder Stümpfe von Krüppeln, und das konnte sie einfach nicht ausstehen, auch wenn es ihnen Glück bringen sollte. Aber dann wurde ihr klar, daß die Priesterin keineswegs diese zögernde kleine Glücksberührung vollzog. Sie streichelte Emeez’ Fell anscheinend mit echter Zuneigung, und es fühlte sich gut an. »Ich weiß nicht, ob es richtig gewesen ist«, sagte die Priesterin, »dieses weiche, flaumige Nichthaar schön zu nennen. Ich glaube, mit dem Haar unserer Frauen haben wir vielleicht noch etwas verloren. Die Nähe zu den Göttern.«