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Nur weil wir Kinder bekommen und uns zusammentun und heiraten müssen, brauchen wir uns nicht unbedingt ineinander zu verlieben, sagte Chveja sich. Wenn ich ihm eine gute Frau bin, wird er mich eines Tages vielleicht lieben.

Sie dachte absichtlich nicht oft an die andere Möglichkeit — daß Ojkib vielleicht darauf bestehen würde, eine andere zu heiraten, sobald die Zeit für die Eheschließungen gekommen war. Die süße kleine Shjada zum Beispiel. Sie mochte zwei Jahre jünger sein, wußte aber schon mit den Jungs zu flirten, so daß der arme Padarok immer sprachlos um sie herumhing und Motja sie die ganze Zeit über mit einem Ausdruck so elender Sehnsucht betrachtete, daß Chveja nicht wußte, ob sie lachen oder weinen sollte. Was, wenn Ojkib sie heiratete und Chveja einen der jüngeren Knaben heiraten mußte? Was, wenn sie einen der jüngeren zwangen, sie zu heiraten?

Dann werde ich mich umbringen, nahm sie sich vor.

Natürlich wußte sie, daß sie das nicht tun würde. Jedenfalls nicht buchstäblich. Sie würde die beste Miene zum bösen Spiel aufsetzen, die sie aufsetzen konnte, und mitspielen.

Manchmal fragte sie sich, wie es bei Tante Huschidh gewesen war. Hatte sie sich in Issib verliebt, bevor sie ihn geheiratet hatte? Oder hatte sie ihn geheiratet, weil er als einziger übriggeblieben war? Es mußte schwer gewesen sein, einen Mann zu heiraten, den man hochheben und tragen mußte, wenn er sich nicht an einem Ort befand, an dem seine Flossen funktionierten. Aber sie schienen glücklich miteinander zu sein.

Die Menschen können glücklich miteinander sein.

Alle diese Gedanken und viele weitere gingen Chveja durch den Kopf, während sie Shjada, Netsja, Dabja und Zuja durch ihre Leibesübungen half. Da Netsja eine strenge Aufseherin war, wenn sie sich bei den älteren Kindern Zeit nahm, war es ein Vergnügen, »Schneller, Netsja. Beim letztenmal hast du das besser gemacht!« zu ihr sagen zu können, wobei Netsjas Gesicht immer röter wurde und Schweiß von ihren Händen und ihrer Nase tropfte, während sie sich abstrampelte.

»Du bist«, sagte Netsja keuchend, »die Königin … aller Miststücke.«

»Und Ihr seid die Prinzessin, liebste Gonets.«

»Hört sie euch an«, sagte Zuja, die nicht keuchte, weil sie ihre Übungen stets so leicht bewältigte, als wären sie ein angenehmer Spaziergang. »Sie liest so viel, daß sie jetzt schon wie ein Buch spricht.«

»Wie ein … altes Buch«, keuchte Netsja. »Ein uraltes … eselsohriges … verstaubtes … vergilbtes … wurmzerfressenes …«

Ihre Aufzählung von Chvejas Tugenden wurde von einem lauten Klingelgeräusch unterbrochen, dem das beinahe ohrenbetäubende Jaulen einer Sirene folgte. So etwas hatten sie noch nie gehört.

»Da stimmt was nicht«, sagte Dza zu Chveja. Chveja fiel auf, daß Dza die Hände nicht auf die Ohren gedrückt hatte. Sie wirkte so ruhig wie eine Eule.

»Ich glaube, wir sollten hier warten, bis Vater uns sagt, was wir tun sollen«, sagte Chveja.

Dza nickte. »Stellen wir fest, wer gerade hier ist, und achten wir darauf, daß wir keinen verlieren.«

Das war eine gute Idee. Chveja war vorübergehend eifersüchtig darauf, nicht die Geistesgegenwart besessen zu haben, selbst daran zu denken. Andererseits jedoch wußte sie, daß es besser war, sich nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, wer gute Ideen hatte, sondern sie einfach in die Tat umzusetzen. Und Dza war eine geborene Anführerin. Solange Dzas Entscheidungen klug und vernünftig waren, sollte Chveja ein gutes Beispiel abgeben und sie schnell und bereitwillig befolgen.

Dza hatte mit den jüngeren Knaben gearbeitet. Sie rief sie schnell zu sich. Motja, der jüngste; Xodhja, Yaja und Zhjat. Sie führte sie zu der Stelle, an der Chveja die jüngeren Mädchen versammelt hatte. Chveja hatte ihre Gruppe bereits zusammen, weil die Mädchen zu dem Zeitpunkt trainiert hatten, als der Alarm losging.

»Bleibt einfach hier sitzen und wartet!« rief Dza allen Kindern zu.

»Können sie das nicht abstellen?« jammerte Netsja, die offensichtlich fürchterliche Angst hatte.

»Haltet euch die Ohren zu, aber seht uns an!« rief Dza. »Schließt nicht die Augen!«

Dza war schnell von Begriff. Wenn die Kinder nichts hören konnten, mußten sie sehen, damit sie Anweisungen bekommen konnten, falls sie irgend etwas tun mußten. Erneut verspürte Chveja einen kleinen Stich der Eifersucht. Die Feststellung, daß das Vertrauen, die Loyalität zu Dza — und die Abhängigkeit von ihr — bei allen anderen plötzlich eindeutig größer geworden war, munterte sie nicht gerade auf.

Selbst mein Vertrauen, dachte Chveja. Sie ist wirklich das führende Kind, da sie … na ja, diese Stellung nicht mißbraucht.

Ein Beinpaar erschien im Leitergang am oberen Ende der Zentrifuge. Lange Beine mit großen, unbeholfenen Füßen. Ojkib. Und er war noch unbeholfener als sonst, weil er einen sperrigen Gegenstand unter dem Arm trug. Einen Gegenstand, der in Stoff gehüllt war.

Als er den Boden erreichte, wandte er sich sofort an Dza, als hätte er gewußt, daß sie das Kommando hat. »In den Schlafräumen ist es nicht so laut«, rief er. »Kannst du die jüngeren Kinder in ihre Betten bringen?«

Dza nickte.

»Nafai möchte es jedenfalls, wenn du es schaffst, ohne eins von ihnen zu verlieren.«

»In Ordnung«, sagte Dza und erteilte sofort Anweisungen. Die jüngeren Kinder stiegen die Leiter hinauf. Dza ermahnte jedes, in der Röhre unmittelbar außerhalb der Zentrifuge zu warten, bis sie ebenfalls dort oben eingetroffen sei. Chveja kam sich völlig überflüssig vor.

Ojkib wandte sich an sie und hielt ihr das Stoffbündel hin. »Es ist der Index«, sagte er. »Elemak ist wach. Verstecke ihn.«

Chveja war erstaunt. Keins der Kinder hatte den Index je berühren dürfen, auch nicht, wenn er in Tücher eingeschlagen war. »Hat Vater dir gesagt …«

»Verstecke ihn«, sagte Ojkib. »Irgendwo, wo Elemak nicht nachsehen wird.«

Er drückte ihr das Bündel gegen den Bauch, und ihre Arme schlossen sich instinktiv darum. Dann drehte er sich um und ging, folgte Dza die Leiter hinauf.

Chveja sah sich in der Zentrifuge um. Gab es hier eine Stelle, wo sie den Index verstecken konnte? Wohl kaum. Die Übungsfläche war größtenteils frei, abgesehen von den Kraftmaschinen, und die boten keine Verstecke. Also drückte sie den Index unter den Arm und wartete darauf, die Leiter hinaufsteigen zu können.

Dann sah sie dort, wo der Zentrifugenboden sich hinaufkrümmte, um einen Kreis um das Äußere des Schiffes zu vollziehen, eine Lücke im Teppich. Dort befand sich die Zugangstür. Wenn die Zentrifuge angehalten wurde, konnte man die Zugangstür öffnen, damit man in das System der Räder kriechen konnte, die der Zentrifuge die Drehbewegung ermöglichten. Das Problem war nur, daß die Zentrifuge stets eine halbe Stunde benötigte, um ihre Drehbewegung zu beenden. Wenn Chveja sie jetzt abschaltete, würde die Zentrifuge erst in einer halben Stunde zum Stillstand kommen. Und dann benötigte sie nochmals eine Stunde oder noch mehr, um wieder auf volle Geschwindigkeit zu kommen. Elemak würde sofort merken, daß die Zentrifuge aus irgendeinem Grund ausgeschaltet worden war. Sie konnte nicht darauf hoffen, daß es ihm entging. Daß er während der Reise noch nie wach gewesen war, bedeutete nicht, daß er bei der Arbeitsweise des Schiffes keine Anomalien bemerkte.

Andererseits würde für ihn allein die Tatsache, daß man die Zentrifuge nicht angehalten hatte, bedeuten, daß dort nichts versteckt worden war.