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Chveja lief zur Zugangstür und zerrte daran. Die Tür gab nicht nach — eine Sicherheitsschaltung verhinderte, daß man sie öffnen konnte, während die Zentrifuge sich drehte. Sie lief zum nächsten Notknopf und drückte darauf. Der aufjaulende Alarm ging im Heulen der Hauptsirene unter. Nun konnte die Zugangstür geöffnet werden, obwohl die Zentrifuge sich noch schnell drehte. Sie drückte sie zurück; die Tür bildete einen kleinen Bogen auf dem gekrümmten Boden. Durch die Öffnung konnte sie die Räder der Zentrifuge sehen, unter denen sich die Laufbahn drehte; dann veränderte sich ihre Perspektive, und Chveja begriff, daß sie sich auf der sich drehenden Oberfläche befand und die Laufbahn in Wirklichkeit zum Rest des Schiffes gehörte, der unter den Rädern unbewegt ruhte. Oben an der Spitze der Leiter schien die Drehung viel langsamer zu sein. Es waren zwar genauso viele Umdrehungen pro Minute, doch so nahe am Zentrum war das gar nicht so schnell.

Wird der Index zerbrechen, wenn ich ihn fallen lasse?

Oder genauer gefragt — werde ich getötet oder nur verstümmelt und für den Rest meines Lebens verkrüppelt, wenn ich stürze oder die Laufbahn auch nur berühre?

Schwitzend vor Angst streckte sie zuerst das eine, dann das andere Bein durch die Öffnung, bis sie auf dem Rahmen der nächsten Räderanordnung stand. Dann stützte sie ihr Gewicht mit der rechten Hand ab und drückte den Index gegen die Tür, während sie ihre Hand darunter schob. Den Index auf der Handfläche balancierend, drückte sie ihn vorsichtig in die Öffnung hinab und griff in die Oberseite der anderen Räderanordnung direkt unter dem Boden der Zentrifuge. An einer Stelle, an der vier Metallstangen ein Quadrat bildeten, ließ sie den Index behutsam los, und er rollte hinab und fiel auf das Viereck. Dort war er in Sicherheit — nichts würde ihn hinabstoßen, und er lag viel zu weit auf den Stangen, um hindurchfallen zu können. Und am besten war, daß man ihn nur sehen konnte, wenn man so tief in die Öffnung hinabstieg, daß der Kopf sich unterhalb der Ebene des Zentrifugenbodens befand. Alles sprach dafür, daß Elemak schon lange vorher zu dem Schluß kommen würde, es sei viel zu gefährlich, den Index hier unten zu verstecken. Er würde aufgeben und anderswo suchen.

Doch wenn sie darüber nachdachte, war es in der Tat sehr gefährlich, sich hier unten aufzuhalten. Sie mußte zudem wieder nach oben und die Tür schließen, damit deren Alarmsirene zu jaulen aufhörte, bevor die, Hauptsirene verstummte. Das Hinaufklettern war jedoch nicht so einfach wie das Hinabsteigen, und nun, da sie sich nicht mehr darauf konzentrieren mußte, den Index zu verstecken, hatte sie Zeit, sich entsetzlich zu fürchten. »Langsam!« sagte sie sich immer wieder. Vorsichtig. Ein Fehltritt, und sie können mich einen Monat lang von der Laufbahn abkratzen.

Schließlich war sie draußen, hing mit gespreizten Gliedern über der Öffnung. Sie glitt wie eine Spinne weiter, bis sie sich auf sicherem Untergrund befand, sprang dann auf und warf die Tür wieder zu. Der Verschluß rastete ein, und jetzt konnte Chveja die Zentrifuge wieder einschalten. Sie spürte kaum, wie die Drehbewegung schneller wurde — die Zentrifuge war so gut konstruiert, daß in der Zeit, da der Motor ausgeschaltet gewesen war, die Reibung sie kaum verlangsamt hatte.

Die Sirene verstummte. Die Stille war wie ein körperlicher Schlag; es klingelte in Chvejas Ohren. Sie hatte es gerade noch geschafft; zehn oder fünfzehn Sekunden länger, und es wäre zu spät gewesen.

In der Stille hörte sie das Geräusch, als jemand die Leiter hinabstieg.

Sie schaute hoch. Beine. Nicht Vaters Beine. Nicht die eines Kindes. Wenn man sie hier vermeintlich grundlos entdeckte, würde Elemak sich fragen, warum sie die anderen Kinder nicht begleitet hatte.

Ohne nachzudenken, warf Chveja sich zu Boden, rollte sich zu einer Fötusposition zusammen, begrub das Gesicht in den Händen und begann leise zu wimmern und vor Furcht zu zittern. Sollten sie doch denken, sie sei in Panik geraten, erstarrt vor Furcht vor dem schrecklichen, lauten Geräusch. Sollten sie doch glauben, sie wäre schwach und hätte die Selbstbeherrschung verloren. Sie würden es glauben, denn niemand nahm an, daß sie ein gefährliches Kunststück vollbringen konnte, während sie sich auf der sich rasend schnell drehenden Zentrifuge befand. Warum sollten sie das auch annehmen? Sie hatte es ja selbst nicht gewußt. Sie konnte es auch jetzt kaum glauben.

»Steh auf«, sagte der Mann. »Reiß dich zusammen. Niemand wird dir etwas tun.«

Es war nicht Elemak. Es war Vas, Vasnjas und Panjas Vater. Tante Sevets Gatte. Also war nicht nur Elemak wach.

»Du brauchst dich nicht zu schämen«, sagte er. »Laute Geräusche — die bringen manche Leute nun mal durcheinander. Du kannst dir nicht vorstellen, wie aufgebracht die kleinen Kinder sind. Es wird Stunden dauern, um sie wieder zu beruhigen.«

»Die kleinen Kinder?« Sie begriff sofort, daß er nicht die Zwölf- und Dreizehnjährigen meinte. »Die kleinen Kinder sind geweckt worden?«

»Alle sind wach. Als der Tiefschlaf-Alarm losging, wurden alle gleichzeitig geweckt. Nur für den Fall, daß mit dem System etwas nicht in Ordnung ist.«

»Was hat den Alarm ausgelöst?« fragte Chveja.

Nun legte sich zum erstenmal ein dunkler Ausdruck des Zorns auf Onkel Vas’ Gesicht. »Das müssen wir erst noch herausfinden. Aber wären wir nicht geweckt worden, hätten wir keine Gelegenheit bekommen, dich als so hübsche kleine — wie alt bist du? — Vierzehnjährige zu sehen.«

»Fünfzehn«, sagte sie.

»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, antwortete er trocken. »Meine achtjährige Tochter Vasnaminanja wird sich bestimmt freuen, ihre liebe Kusine Veja zu sehen. Es wird dir wirklich Freude machen, mit ihr mit Puppen zu spielen, meinst du nicht auch?«

Plötzlich schämte Chveja sich. Vasnja war ihre Freundin gewesen, das einzige Kind des ersten Jahres, das nett zu ihr gewesen war und sie bei ihren Spielen beteiligt hatte, selbst als Dza bestimmt hatte, daß Chveja eine Unberührbare war. Doch da Vasnjas Eltern Freunde von Elemak statt von Nafai waren, war Vasnja zurückgelassen worden. Chveja war bereits sechseinhalb Jahre älter. Sie würden nie wieder wirkliche Freundinnen sein. Und warum? Hatte Vasnja irgend etwas Böses getan? Nein — sie war ein guter Mensch. Und doch war sie zurückgelassen worden.

»Es tut mir leid«, sagte Chveja leise.

»Nun ja, wir wissen, wer die Schuld daran trägt, und es war keins der Kinder.« Er reichte ihr eine Hand. »Elemak hat jetzt das Sagen. Das hätte schon vor langer Zeit so sein sollen.«

Er versuchte, sich nett und zuversichtlich zu geben, doch Chveja war nicht dumm. »Was habt ihr mit Vater gemacht?«

»Nichts«, erwiderte Vas lächelnd. »Er schien einfach nicht besonders versessen darauf zu sein, Elemaks Autorität herauszufordern.«

»Aber er hat den Mantel des …«

»Des Herrn der Sterne«, sagte Vas. »Ja, den hat er noch immer. Und er sprüht auch weiterhin Funken. Nafai hat den Mantel. Aber Elemak hat die Zwillinge.«

Die Zwillinge, Serp und Spel. Chvejas jüngste Brüder, die noch so klein waren, daß man sie nicht in die Schule hatte aufnehmen können. Elemak mußte sie als Geiseln genommen und gedroht haben, ihnen etwas anzutun, falls Vater nicht tat, was Elemak wollte.

»Also benutzt er Babys, um seinen Willen durchzusetzen?« sagte Chveja verächtlich.

Vas’ Gesichtsausdruck wurde plötzlich sehr häßlich. »Ach, wie schrecklich von ihm, nicht wahr? Eines Tages wirst du mir erklären müssen, warum es böse von Elemak ist, die Kinder zu benutzen, um seinen Willen zu bekommen — aber daß es völlig in Ordnung ist, wenn dein Vater genau dasselbe tut. Und jetzt komm mit.«

Als sie vor Vas die Leiter hinaufkletterte, versuchte Chveja, einen klaren Unterschied zwischen dem Vorgehen der beiden Männer zu finden. Elemak benutzte Babys als Geiseln, doch Nafai hatte Kindern die Wahl gelassen, ob sie ihn unterstützen wollten — um die Kontrolle über die Kolonie behalten zu können. Darauf lief es doch hinaus, nicht wahr? Kinder zu benutzen, um die Kontrolle über die gesamte Gemeinschaft zu bekommen und zu behalten.