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Er schien das zu spüren — er war ein starker Anführer gewesen; er hatte Karawanen durch gefährliche Gebiete geleitet und wußte, wann er an Boden verlor, auch wenn er nicht Chvejas und Huschidhs Fähigkeit hatte, die Bande der Treue und des Gehorsams, der Liebe und Furcht zu sehen. Also änderte er seine Taktik. »Bemühe dich ruhig, Veja«, sagte er, »aber es wird dir nicht gelingen, mich zum Bösewicht dieser kleinen Szene zu machen. Dein Vater und diejenigen, die sich mit ihm verschworen haben, haben uns andere allesamt betrogen. Dein Vater hat gelogen, als er versprach, er würde uns zur Mitte der Reise wecken. Dein Vater hat unsere Kinder um ihr Geburtsrecht betrogen. Sieh sie dir doch an.« Er zeigte auf sie, auf die Vierjährigen, die Fünfjährigen, die Achtjährigen, die noch immer versuchten, diese großen Erwachsenen mit den Kindern in ihrem Alter in Einklang zu bringen, die sie — wie sie sich erinnerten — noch vor ein paar Stunden gesehen hatten, als sie vor dem Start schlafen gelegt worden waren. »Wer hat hier Kinder schlecht behandelt? Wer hat sie ausgebeutet? Ich nicht.«

Chveja sah, daß Elemak wieder an Mitgefühl gewann. »Warum hält deine Frau dann noch immer Spel fest?« fragte sie.

Eiadh sprang auf und fauchte ihre Antwort. »Ich nehme keine kleinen Kinder als Geisel, du abscheuliches kleines Balg! Er hat geweint, und ich habe ihn getröstet.«

»Vielleicht hätte seine Mutter das besser gekonnt«, sagte Chveja. »Vielleicht will dein Mann nicht, daß du Spel Mutter zurückgibst.«

Eiadh schaute sofort zu Elemak hinüber, und dessen gereizte Geste bewies Chveja, daß sie recht gehabt hatte. Verdrossen trug Eiadh Spel zu Luet hinüber, die ihn nahm und auf ihr anderes Knie setzte. Doch die ganze Zeit über hatte Mutter nichts gesagt. Warum schweigt Mutter? fragte Chveja sich. Warum überlassen die Erwachsenen es mir und Ojkib, das Reden zu übernehmen?

›Weil sie Kinder haben.‹

Der Gedanke trat mit solcher Klarheit in ihren Verstand, daß sie wußte, er kam von der Überseele. Und sie verstand sofort, was die Überseele meinte. Weil die Erwachsenen kleine Kinder hatten, hatten sie Angst davor, was Elemak mit ihnen anstellen könnte. Nur Heranwachsende wie ich und Ojkib können tapfer sein, weil wir keine Kinder beschützen müssen.

›Ja.‹

Du kannst also mit mir sprechen. Warum sagst du mir dann nicht, daß ich Elemak den Index geben soll, wenn es dein Wunsch ist?

Aber es erfolgte keine Antwort.

Chveja verstand nicht, was die Überseele tat. Warum sagte sie Ojkib etwas, das sie ihr gegenüber nicht bestätigte? Warum verriet sie ihr nicht, was sie wissen mußte? Die Überseele hätte sich jederzeit melden und erklären können, warum die Erwachsenen nichts sagten, aber sie hatte Chveja keinen einzigen Hinweis darauf gegeben, was sie nun tun sollte.

Vielleicht bedeutete dies, daß sie bereits das Richtige tat.

›Ja.‹

»Bringe mich zu Vater«, sagte Chveja. »Wenn ich sehe, daß ihm nichts geschehen ist, werde ich dir den Index geben.«

»So groß ist das Schiff nun auch wieder nicht«, sagte Elemak. »Ich werde den Index auch ohne deine Hilfe finden.«

»Du kannst es ja versuchen«, sagte Chveja. »Aber allein die Tatsache, daß du so beharrlich zögerst, mich zu meinem Vater zu bringen, beweist mir, daß du ihn verletzt hast und diesen Leuten nicht zu zeigen wagst, was für ein gewalttätiger, schrecklicher, böser Mensch du bist.«

Für einen Augenblick dachte sie, er würde sie schlagen. Doch es war nur ein Ausdruck, der in seinen Augen aufflackerte; seine Hände bewegten sich nicht, und er beugte sich nicht einmal zu ihr hinunter.

»Du kennst mich nicht«, sagte er leise. »Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, warst du nur ein Kind. Vielleicht bin ich genau so, wie du behauptest. Aber warum hast du noch keine Prellungen und blutest nicht, wenn ich wirklich so schrecklich, böse und gewalttätig bin?«

»Weil du bei deinen Speichelleckern nichts erreichen wirst, wenn du ein Mädchen schlägst«, sagte Chveja kalt. »Aber wie du Ojkib behandelt hast, zeigt, wie du wirklich bist. Die Tatsache, daß du mich nicht genauso behandelst, beweist nur, daß du dir noch nicht sicher bist, wirklich die Kontrolle zu haben.«

Chveja hätte es früher nie gewagt, so etwas zu sagen, doch nun sah sie, daß sie mit jedem Wort, jedem Satz, Elemaks Position schwächte. Natürlich war sie klug genug, um zu wissen, daß dieses Vorgehen sehr gefährlich war; denn sobald Elemak sich seines nachlassenden Einflusses erst bewußt wurde, würde er vielleicht unbesonnener und brutaler vorgehen. Doch etwas anderes fiel ihr einfach nicht ein. Nur so konnte sie ihre Lage in gewisser Weise beherrschen.

»Aber natürlich habe ich nicht die Kontrolle«, sagte Elemak ruhig. »Ich habe es auch nie angenommen. Dein Vater ist der einzige, der die Leute beherrschen will. Ich muß ihn in Schranken halten. Denn wenn ich’s nicht tue, wird er diesen Mantel benutzen, um die Leute zu zwingen, das zu tun, was er will. Mir liegt einfach nur an Gerechtigkeit. Zum Beispiel könntet ihr übergroßen Kinder für den Rest der Reise schlafen, während unsere Kinder die Möglichkeit bekommen, euch wenigstens halbwegs einzuholen, was das Wachstum angeht. Ist dieser Vorschlag wirklich so schrecklich, böse und gewalttätig?«

Chveja wurde klar, daß Elemak bei diesem Spiel sehr, sehr gut war. Mit einigen wenigen Worten konnte er alles wieder aufbauen, das sie niedergerissen hatte.

»Gut«, sagte sie. »Du bist ein freundlicher, vernünftiger und anständiger Mann. Deshalb wirst du mich und Ojkib und Mutter jetzt zu Vater bringen lassen.«

»Vielleicht. Sobald ich den Index habe.«

Für einen Augenblick dachte Chveja, er habe nachgegeben. Sie müsse ihm nur sagen, wo der Index war, und er würde sie zu Vater lassen. Aber dann griff Ojkib ein.

»Wirst du diesem Lügner etwa glauben?« fragte er. »Er spricht davon, daß Nafai uns mit dem Mantel unterdrückt — aber niemand soll sich daran erinnern, daß er und Meb vorhatten, Nafai zu ermorden. Er ist ein Mörder! Er hat in Basilika sogar unseren Vater verraten. Er hätte ihn in einen Hinterhalt gelockt, und Gaballufix hätte ihn getötet, wenn die Überseele Luet nicht gesagt hätte, sie solle ihn warnen …«

Elemak brachte ihn mit einem Schlag zum Schweigen, einem gewaltigen Hieb seines kräftigen Arms. Ojkib flog durch den Raum und prallte noch härter als zuvor mit dem Kopf gegen eine Wand. Die Schwerkraft mochte niedriger sein, doch wie alle Kinder in der Schule gelernt hatten, wurde die Masse dadurch nicht verringert, und so lag Ojkibs volles Gewicht hinter dem Zusammenprall. Er rutschte bewußtlos zu Boden.

Jetzt gaben die Erwachsenen ihr Schweigen auf. Rasa schrie. Volemak sprang auf und brüllte Elemak an: »In deinem Herzen warst du immer ein Mörder! Du bist nicht mehr mein Sohn! Ich enterbe dich! Ich nehme dir alles, was du je hattest!«

Elemak verlor kurz die Selbstbeherrschung. »Du und deine Überseele!« schrie er zurück. »Was bist du denn schon? Nichts! Ein schwacher, gebrochener Wurm von einem Mann! Ich bin dein einziger Sohn — der einzige wahre Mann, den du je gezeugt hast! Aber du hast mir ja stets diesen verlogenen kleinen Schleimer vorgezogen!«

Volemak antwortete ganz ruhig. »Ich habe ihn dir nie vorgezogen. Ich habe dir alles gegeben. Ich habe dir alles anvertraut.«

»Du hast mir nichts gegeben. Du hast dein Geschäft weggeworfen, unseren Reichtum, unsere Stellung, alles. Für einen Computer.«

»Und du hast mich an Gaballufix verraten. Du bist im Grunde deines Herzens ein Verräter und Mörder, Elemak. Du bist nicht mein Sohn.«