›Und du bist in Wirklichkeit nur eine Anordnung organischer Bestandteile.‹
Chveja errötete. Sie ließ zu, daß Elemak sie und die anderen hinausführte. Erst im letzten Augenblick fiel ihr ein, »Vater, ich liebe dich!« zu rufen.
Zuerst bestand Elemak darauf, den Index herauszuholen, während die Zentrifuge sich noch bewegte, doch als er sah, daß dies unmöglich war, ohne das Risiko einzugehen, den Index fallenzulassen, woraufhin er unter einem der Räder zerbrechen würde, wartete er verdrossen, bis die Maschine zum Stillstand gekommen war. Als sie schließlich hielt, schickte er Obring in die Öffnung, damit er den Index herausholte. Chveja war klar, wieso. Elemak wagte es nicht, sich vollständig in die Öffnung zu begeben, weil dann jemand die Tür hinter ihm zuschlagen könnte. Natürlich käme er früher oder später durch die eine oder andere Tür wieder heraus — es gab mehrere Öffnungen, die von der Zentrifuge ins Schiffsinnere führten —, aber bis dahin wäre vielleicht jemand zu Vater gelaufen und hätte ihn losgebunden. Jetzt konnte er niemandem vertrauen. Also war es Obring, der durch das Wartungsloch kletterte und Elemak dann den in Stoff eingeschlagenen Index aushändigte.
»Ich kann es einfach nicht fassen, daß sie das Ding dort hinein gelegt hat, während die Zentrifuge sich noch bewegte«, sagte Obring.
Elemak antwortete nicht, doch Chveja empfand angesichts des Kompliments einen trotzigen Stolz. Sie hatte es tatsächlich gut gemacht. Und obwohl Ojkib — aus welchem Grund auch immer — Elemak fast sofort verraten hatte, wer den Index versteckt hatte, war es ihr gelungen, Elemaks Position zu schwächen und ihren Vater zu sehen.
Nun hob Elemak das Tuch hoch und hielt den Index in den Händen.
Nichts geschah.
Er wandte sich an Issib. »Wie funktioniert er?« fragte er.
»Einfach so«, sagte Issib. »Du machst es völlig richtig.«
»Aber er reagiert nicht!«
»Natürlich nicht«, sagte Issib. »Die Überseele kontrolliert ihn, und sie spricht nicht mit dir.«
Elemak hielt Issib den Index hin. »Dann mach du es. Tu, was ich dir sage, oder Huschidh endet bei Nafai auf dem Boden des Lagerraums.«
»Ich werde es versuchen. Aber ich glaube nicht, daß die Überseele sich täuschen lassen wird, nur weil ich den Index halte. Sie wird sich dir nicht unterwerfen.«
»Halt die Klappe und tu’s einfach«, sagte Elemak.
Issib sank ein wenig tiefer und nahm den Index von Elemak in Empfang, der ihn Issib in den Schoß legte. Issib drückte die Hände darauf, doch nichts geschah.
»Siehst du?« sagte Issib.
»Was passiert normalerweise?« fragte Elemak. »Vielleicht reagiert er nur etwas langsamer?«
»Der Index reagiert niemals langsam«, erwiderte Issib. »Er funktioniert einfach nicht, solange der Herr der Sterne nicht die Kontrolle über das Schiff hat.«
»Herr der Sterne«, sagte Elemak, als wäre das Wort Gift in seinem Mund.
»Wir haben immer weniger Sauerstoff«, sagte Issib. »Das Schiff kann Kohlendioxyd nur mit einer gewissen Geschwindigkeit aufspalten, und hier atmen einfach zu viele Personen.«
»Du meinst, die Überseele versucht, mich durch den Sauerstoffvorrat zur Aufgabe zu zwingen?«
»Es ist nicht die Überseele«, sagte Issib. »Sie kontrolliert die Lebenserhaltungssysteme nicht direkt und könnte sie auf keinen Fall ausschalten, um menschlichen Wesen Schaden zuzufügen. In die Maschinen wurden Sicherheitsvorrichtungen eingebaut. So ist das nun mal.«
»Na schön«, sagte Elemak. »Dann legen wir einfach alle Leute schlafen, die ich nicht wach haben will. Vielleicht sollte ich sogar Nafai für den Rest der Reise schlafen lassen — aber er müßte während seines Nickerchens gefesselt bleiben.«
»Um danach als schlimmerer Krüppel zu enden, als ich einer bin?« fragte Issib.
»Warum nicht?« fragte Elemak, der die Vorstellung sichtlich genoß. »Mit dir hatte ich nie irgendwelche Probleme.«
»Was du vorhast, spielt keine Rolle«, sagte Issib. »Die Überseele kann verhindern, daß du die Schlafkammern aktivierst. Sie muß nur ein Gefahrensignal in die Computer schicken, die sie kontrollieren. Das kannst du nicht ausschalten.«
Elemak dachte eine Zeitlang nach. »Na schön«, sagte er dann. »Ich kann warten.«
»Du glaubst, du kannst die Überseele zermürben?«
»Ich glaube, die Überseele will nicht, daß diese Reise scheitert«, sagte Elemak. »Ich glaube, sie wird irgendwann begreifen, daß ich die Kolonie führen werde, und sich daran gewöhnen.«
›Keine Chance.‹
»Keine Chance«, echote Chveja.
»Ach, wirklich?« sagte Elemak und drehte sich zu ihr um. »Spricht die Überseele jetzt mit dir?«
Chveja sagte nichts.
›Ich kann mein Hauptziel auch erreichen, wenn jeder Organismus auf diesem Schiff tot ist.‹
»Die Überseele kann ihren wichtigsten Zweck auch erreichen, wenn auf dem Schiff alle tot sind«, sagte Chveja.
»Das sagt sie zumindest den Leuten, die sie täuscht«, entgegnete Elemak. »Wir werden wohl ein paar interessante Tage erleben, während wir herausfinden, wie ernst die Überseele es meint.«
»Die kleinen Kinder werden zuerst sterben«, sagte Issib. »Und die Alten.«
»Wenn eins meiner Kinder wegen dieser Sache stirbt«, sagte Elemak, »dann können, soweit es mich betrifft, auch alle anderen sterben, mich eingeschlossen. Der Tod wäre besser, als auch nur noch einen Tag länger von diesem verlogenen, verschlagenen, klugscheißerischen, verräterischen Mistkerl beherrscht zu werden, den Vater mir als Bruder aufgezwungen hat.« Elemak wandte sich Chveja zu und lächelte. »Ich will in deiner Gegenwart nichts Schlechtes über deinen Vater sagen, kleines Mädchen. Aber da du ja völlig nach ihm geraten bist, kommt dir das wahrscheinlich wie ein Lob vor.«
Chvejas Abscheu überwog die Furcht vor seinem Zorn. »Ich würde mich seiner schämen«, sagte sie, »würde ein Mann wie du ihn nicht hassen.«
Kicherte Obring leise hinter Elemak? Elemak wirbelte herum, doch Obring tat ganz unschuldig.
Du hast bereits verloren, dachte Chveja. Die Überseele hatte recht. Wir haben dich bereits besiegt. Jetzt können wir nur hoffen, daß niemand stirbt, bevor du es begreifst.
8
Befreit
Luet war wütend, aber nicht auf Elemak. Für sie war Elemak beinahe zu einer Naturgewalt geworden. Selbstverständlich haßte er Nafai. Natürlich würde er auf jede Entschuldigung zurückgreifen, um ihn zu verletzen. Sie hatten mittlerweile zuviel miteinander erlebt. Es gab zuviel alten Groll, zuviel Schuld aufgrund Elemaks früherer Versuche, seinen Bruder zu töten. Man bewältigte die Situation nicht, indem man versuchte, Elemak zu ändern. Man bewältigte sie, indem man vermied, ihn zu provozieren.
Du hast das herbeigeführt, sagte Luet zur Überseele. Es war deine Idee. Du hast darauf gedrungen. Du hast Nafai und mich und die Eltern der anderen Kinder dazu getrieben, diese kleinen Spielchen mit der Zeit zu veranstalten.
›Und ich hatte recht.‹
Du hast nur nicht damit gerechnet, daß sie aufwachen, nicht wahr?
›Ich habe trotzdem recht. Alles wird in Ordnung kommen.‹
Meine Kinder bekommen nur noch schlecht Luft. Sie können kaum noch essen, weil das Schlucken so lange dauert, daß sie schon wieder nach Luft ringen, wenn sie damit fertig sind. Wir sterben, und du sagst mir, alles wird in Ordnung kommen?
›Erst in einigen Tagen wird jemand Gefahr laufen, tatsächlich zu sterben.‹
Oh, jetzt fühle ich mich aber viel besser.
›Ich bin nicht Elemak. Ich habe Elemak nicht gezwungen, die Dinge zu tun, die er getan hat.‹
Du bist für diesen Zustand verantwortlich. Du hast uns in diese Lage gebracht.