Doch trotz seines Flehens brachten die Götter keine Form unter seine Hände.
Seine Tränen blendeten ihn. Sollte er aufgeben? Sollte er in den Himmel der Trockenzeit hinauffliegen und nach irgendeinem fernen Dorf suchen, das einen kräftigen Mann gebrauchen konnte, und Da’aqebla nie wiedersehen? Oder sollte seine Verzweiflung sogar noch weiter gehen? Sollte er den Ton aus den Händen legen und trotzdem am Flußufer bleiben, bloßgestellt, damit die ihn beobachtenden Teufel sehen konnten, daß er keine Skulptur in sich hatte? Dann würden sie ihn wie ein Kleinkind in ihre Höhlen holen und ihn bei lebendigem Leibe verschlingen, damit er im Augenblick seines Todes sehen konnte, wie die Teufelkönigin sein Herz aß. Das wäre das richtige Ende für ihn. In die Hölle hinabgetragen, weil er nicht würdig war, von Wind in den Himmel gehoben zu werden. Dann würde kTi alle Ehre zufallen, und er müßte sie nicht mit seinem niederen, unwürdigen Ander-Ich teilen.
Seine Finger arbeiteten, obwohl er nicht sehen konnte, was sie formten.
Und während sie arbeiteten, hörte er auf, sein eigenes Versagen zu betrauern, denn ihm wurde klar, daß auf einmal eine Form unter seinen Händen war. Sie wurde ihm gegeben — auf eine Art und Weise, von der er bislang nur gehört hatte. Als er als Kind mit den anderen Knaben im Spiel Ton geformt hatte, war er jedesmal der geschickteste gewesen; doch nie hatte er gefühlt, daß die Götter seine Hände geleitet hatten. Was er schuf, war stets seinem eigenen Verstand und Gedächtnis entsprungen.
Nun aber wußte er nicht, was unter seinen Händen wuchs, jedenfalls zuerst nicht. Doch bald schon trauerte er nicht mehr, hatte er keine Angst mehr, wurde sein Blick wieder klar, und er sah. Es war ein Kopf. Ein seltsamer Kopf. Nicht der Kopf einer Person oder eines Teufels oder irgendeines Geschöpfes, das Kiti je zuvor gesehen hatte. Er hatte eine hohe Stirn, und seine Nase war spitz, haarlos und glatt, und die Nasenlöcher öffneten sich nach unten. Was für einen Sinn konnte so eine Schnauze haben? Die Lippen waren dick, der Kiefer war unglaublich stark, und das Kinn stand vor, als konkurriere es mit der Nase, dieses Wesen in die Welt hinauszuführen. Die Ohren waren abgerundet und saßen mitten auf den Seiten des Kopfes. Was für ein Geschöpf schaffe ich da? Warum entsteht unter meinen Händen etwas so Häßliches?
Dann kam ihm plötzlich die Antwort in den Sinn: Das ist ein Alter.
Seine Schwingen zitterten, während seine Hände sicher und stark fortfuhren, die Einzelheiten des Gesichts zu formen. Ein Alter. Woher wußte er das? Niemand hatte je einen Alten gesehen. Nur hier und dort, in einigen geschützten Höhlen, fand man mitunter einige unerklärbare Überreste ihrer Zeit auf der Erde. Da’aqebla hatte nur drei solcher Überreste, und Da’aqebla war eins der ältesten Dörfer. Wie konnte er es wagen, den Damen des Dorfes zu erklären, daß dieser groteske, mißgebildete Kopf, den er schuf, der eines Alten war? Sie würden ihn auslachen. Nein, sie würden wütend darüber sein, daß er sie für so töricht hielt, eine so unsinnige Behauptung zu glauben. Wie können wir deine Skulptur beurteilen, wenn du darauf bestehst, etwas zu schaffen, das nie eine lebende Seele gesehen hat? Du hättest besser daran getan, den Ton in einem formlosen Klumpen liegen zu lassen und zu behaupten, es sei die Skulptur eines Flußsteins!
Trotz seiner Zweifel bewegten seine Hände und Finger sich weiterhin. Er wußte, ohne es zu wissen, daß Haar auf dem knochigen Wulst über den Augen sein mußte, und daß der Pelz des Kopfes lang und daß sich eine Vertiefung mitten unter der Nase befinden mußte, die zur Lippe hinabführte. Und als er fertig war, wußte er nicht, wieso er wußte, daß er fertig war. Er betrachtete, was er geschaffen hatte, und war entsetzt darüber. Es war häßlich, fremd und viel zu groß. Doch genau so mußte es sein.
Was habt ihr mit mir gemacht, o Götter?
Er saß ganz still da und betrachtete den Kopf des Alten, als die Damen in großer Höhe herbeigeschwebt kamen und zum Flußufer herabstießen. An den Rändern befanden sich die Männer, deren Skulpturen bereits begutachtet worden waren. Kiti kannte die Männer natürlich allesamt und konnte sich gut vorstellen, wie ihre Arbeiten aussahen. Ein paar von ihnen waren Gatten, und da ihre Damen lebenslang mit ihnen verheiratet waren, standen ihre Skulpturen nicht mehr im Wettstreit mit denen der anderen. Einige von ihnen waren jung, wie Kiti, und boten zum erstenmal Skulpturen feil — und an ihren Armesündermienen erkannte Kiti, daß sie nicht den erhofften Eindruck erzielt hatten. Dennoch hatte das Tonfieber alle Männer befallen, und so sahen sie ihn oder seine Skulptur kaum an; ihre Blicke waren auf die Damen gerichtet.
Die Damen betrachteten seine Skulptur schweigend. Einige von ihnen traten zur Seite, um sie aus einem anderen Winkel zu studieren. Kiti wußte, daß seine Skulptur handwerklich außergewöhnlich gut geraten und ihre Größe beinahe schon dreist war. Er spürte, wie das Tonfieber sich in seinem Innern rührte, und alle Damen kamen ihm wunderschön vor. Er nahm ihre skeptischen Gesichter mit Schrecken war — er sehnte sich jetzt danach, daß sie ihn erwählten.
Schließlich wurde das Schweigen gebrochen. »Was soll das sein?« flüsterte eine Dame. Kiti hielt nach der Stimme Ausschau. Es war Upua, eine Dame, die nie geheiratet und sich seit einigen Jahren nicht mal mehr gepaart hatte. Das hatte ihr den Ruf eingebracht, überheblich zu sein; es hieß, Upua sei von allen Damen am schwierigsten zufriedenzustellen. Natürlich würde sie die Dame sein, die ihn vor allen anderen befragte.
»Es wuchs unter meinen Händen«, sagte Kiti. Er wagte es nicht, ihnen zu verraten, worum es sich in Wirklichkeit handelte.
»Alle dachten, du würdest dein Ander-Ich ehren«, sagte eine andere Dame, die von Upuas verächtlicher Frage ermutigt worden war.
Die schwierigste Frage. Er wagte es nicht, ihr auszuweichen. Aber wagte er es, ihr die Wahrheit zu sagen? »Das wollte ich auch. Aber es war auch mein Gesicht, und ich war nicht würdig, mein Gesicht aus Ton zu schaffen.«
Leises Gemurmel erklang. Einige hielten das Argument für töricht; andere hielten es für eine Täuschung; einige dachten darüber nach.
Schließlich hatten die Damen sich entschieden. »Nichts für mich.« — »Häßlich.« — »Sehr seltsam.« — »Interessant.« Doch wie ihr Urteil auch ausfiel, sie alle flogen los, stiegen auf und kreisten, ließen sich schließlich zu den Ästen des nächsten Baumes treiben. Die Männer, die wegen der vollständigen Zurückweisung des angeblich talentierten Kiti zweifellos Triumph empfanden, gesellten sich dort zu ihnen.
Schließlich standen nur noch Kiti und Upua am Flußbett.
»Ich weiß, was das ist«, sagte Upua.
Kiti wagte nicht zu antworten.
»Das ist der Kopf eines Alten«, sagte sie.
Ihre Stimme wurde bis zu den Damen und Männern auf den Ästen getragen. Sie hörten Upua, und viele schnappten nach Luft oder pfiffen erstaunt.
»Ja, Dame Upua«, sagte Kiti, beschämt darüber, daß seine Arroganz aufgeflogen war. »Aber es wurde mir unter meine Hände gegeben. Ich hatte nie vor, ein solches Ding zu schaffen.«
Upua schwieg lange Zeit, ging um die Skulptur herum, umkreiste sie immer wieder.
»Der Tag ist kurz!« rief eine der führenden Damen von ihrem Ausguck in den Bäumen.
Upua schaute erschrocken zu ihr hinauf. »Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich wollte dies hier sehen und mich daran erinnern, denn die Götter haben uns ein großes Geschenk gemacht, indem sie uns das Antlitz der Alten zeigen.«
Einige lachten über diese Worte. War Upua wirklich der Ansicht, Kiti könne etwas schaffen, das nie zuvor jemand gesehen hatte?
Sie drehte sich zu Kiti um, den das Tonfieber mittlerweile dermaßen erhitzte, daß er sich kaum davon abhalten konnte, sich vor Upuas Füßen zu Boden zu werfen und sie zu bitten, sich mit ihm zu paaren.
»Heirate mich«, sagte sie.