»Ich bin nicht der Typ, der in der Dunkelheit irgend etwas zusammenkratzt«, sagte Eiadh. »Ich habe eine dumme Ehe geschlossen und wußte es fast sofort. Das war bei dir genauso, fürchte ich. Aber das bedeutet nicht, daß ich die Zukunft meiner Kinder in Gefahr bringen werde, ganz zu schweigen von meiner eigenen, um irgendeinen Trost zu finden oder irgendeine Rache zu üben. Ich nehme das Glück, das ich im Licht finden kann, wo mich jeder sieht. Ich liebe meine Kinder. Du hast selbst gute Kinder, Vas. Finde Trost in ihnen.«
»Die Liebe meiner Kinder ist nicht die Liebe, nach der ich mich sehne«, sagte er. Er wagte es, bei ihr unverblümt vorzugehen, weil ihm klar wurde, daß sie all seine Versuche, kluge Umwege einzuschlagen, sowieso durchschaute.
»Vas«, sagte sie freundlich, »ich bewundere dich schon seit langem, weil du alles mit solcher Geduld erträgst. Ich weiß mittlerweile, welche Art der Stärke die bessere ist, die deine oder Elemaks. Aber ich bewundere auch, daß du imstande bist, das alles zu ertragen, ohne davor zurückzuweichen. Wir wollen doch nicht so werden, wie sie es sind. Erniedrigen wir uns nicht so sehr, daß wir schließlich verdienen, was sie uns antun.«
Vas war ein aufmerksamer Mann. Er bemerkte sofort, daß sie sich auf etwas zu beziehen schien, das erst vor kurzer Zeit vorgefallen war, und nicht auf uralte Geschichten aus Basilika. Sie schien anzunehmen, daß er etwas wußte, was er noch nicht wußte. »Du wirst nie verdient haben, was Elemak dir antut«, sagte er in der Hoffnung, eine ganz bestimmte Antwort darauf zu bekommen.
Und er bekam sie. »Und du hast auch nicht verdient, was Sevet dir antut«, erwiderte sie. »Man sollte doch meinen, sie hätte ihre Lektion schon vor langer Zeit gelernt, aber manche Frauen lernen nichts, während andere alles lernen.«
In Vas’ Kopf drehte es sich. Er hatte so lange bei der Erinnerung an den schon Jahre zurückliegenden Betrug mit Obring verweilt, daß ihm gar nicht in den Sinn gekommen war, Sevet hätte vielleicht noch jemanden in ihr Bett geholt. Doch es gab viele Gelegenheiten. Wenn er draußen auf den Feldern arbeitete; wenn er Wache hielt; als er diese beiden Male mit Zdorab unterwegs gewesen war, mit dem Beiboot des Schiffes die Umgebung erkundet und kartographiert hatte. Sevet hatte vielleicht … aber das würde sie doch ganz bestimmt nicht tun … nicht ein zweites Mal, nicht, nachdem sie so viel verloren hatte, ihre Stimme und …
Aber ich habe ihr die Stimme nicht genommen, oder? Das war Kokor gewesen, und als ihre Stimme wiederhergestellt war, hatten wir Basilika bereits verlassen. Sevet weiß vielleicht, daß sie Kokors Zorn zu fürchten hat; aber was hat sie je gelehrt, den meinen zu fürchten?
Der Augenblick ist gekommen, erkannte Vas. Diesmal würde es keine Geduld geben. Diesmal würde kein Elemak seine Hand zurückhalten. Sevet und Obring würden sterben, und dann würde er sich gegen Elemak wenden und Eiadh auf ewig von der Last befreien, die dieser monströse Gatte darstellte. Und nachdem dann alle Hindernisse aus dem Weg geräumt waren, würde sie sich endlich dem Mann zuwenden, der sie befreit hatte.
Oder auch nicht. Aber was interessierte es ihn schon, ob jemand ihn liebte oder auch nur mochte? Er versuchte nicht, die Liebe oder Bewunderung eines anderen zu gewinnen; es ging ihm nur um seine Achtung. Er hatte schon zu lange auf sie verzichtet, und es war an der Zeit, sie sich zurückzuholen.
»Kaum zu glauben, daß sie noch immer auf Obring reinfällt«, sagte Vas. »Man sollte doch meinen, sie hätte ihn mittlerweile durchschaut. Er hat seinen knabenhaften Charme verloren … falls er jemals welchen besaß.«
Sie lachte, doch auf ihrem Gesicht lag ein verwirrter Ausdruck. Was hatte das schon wieder zu bedeuten?
Es hatte zu bedeuten, daß es nicht Obring war. Sevet betrog ihn, aber nicht mit Obring.
Dann fiel ihm ein, was sie zuvor gesagt hatte. Darüber, daß sie etwas gemeinsam hatten. ›Vom Offensichtlichen abgesehen, meine ich‹, hatte sie gesagt. Was war das Offensichtliche? Es war so offensichtlich, daß nur Vas es nicht bemerkt hatte. Alle anderen mußten es wissen. Alle.
Sie mußte auf seinem Gesicht gesehen haben, daß er begriffen hatte, denn nun schaute sie tief betroffen drein. »Oh, Vas, ich dachte, du hättest es gewußt. Ich dachte, du wärest deshalb gekommen, um es ihnen heimzuzahlen. Aber ich war nicht wütend, verstehst du. Denn ich wollte ihn sowieso nicht mehr in meinem Bett haben, und es ist mir egal, auf wen er seinen verschwitzten Körper legt, und ich dachte … Ich weiß nicht, warum, aber ich ging davon aus, du hättest dieselbe Einstellung. Aber jetzt sehe ich, daß dem nicht so ist. Du hast es nicht gewußt, und es tut mir so leid, ich …«
Er bekam das Ende des Satzes nicht mit, weil er aufstand und ihr Haus verließ. Elemaks Haus.
»Mach keine Dummheiten, Vas«, sagte sie leise. Doch weil sie genau wußte, daß er sehr wahrscheinlich doch irgendwelche Dummheiten machen würde, suchte sie Hilfe. Volemak mußte wissen, daß sich ein Streit zusammenbraute. Er würde wissen, wie er ihn aufhalten konnte. Eiadh hätte sich schon längst an ihn wenden sollen. In ihrer winzigen Gemeinschaft war Ehebruch ein schreckliches Vergehen — Elemak selbst hatte dieses Gesetz während der Wüstenjahre erlassen. Eiadh hatte sich nie beschwert, weil sie aufrichtig froh darüber war, ihn nicht in ihrer Nähe zu haben, diesen Mann mit den wütenden Händen, die ein hilfloses, unschuldiges Wesen zerbrochen und die an Bord des Schiffes alle geprügelt und terrorisiert hatten. Da war es besser, allein zu schlafen und von dem einzigen echten Mann zu träumen, den sie je gekannt hatte. Von einem Mann, der sie einst, als er ein Junge war, geliebt oder sie wenigstens begehrt hatte. Einem Mann, der sie nun nicht mal mit Vergnügen anschaute.
Bei all ihrer kindischen Sehnsucht nach Nafai war ihr nie in den Sinn gekommen, daß Vas sich nicht über Elemaks und Sevets Ehebruch beschwert hatte, weil er nichts davon wußte. Wie hatte er nichts davon wissen können? Waren Männer viel blinder als Frauen? Oder hatte er etwa geglaubt, nur weil er Sevet nicht mehr wollte, würden auch ihre sexuellen Begierden einfach vertrocknen?
Es würde eine fürchterliche Schweinerei geben, und am Ende würde jemand sterben. Das wußte sie nun, denn sie hatte Vas noch nie mit einem Ausdruck solch nackter Wut auf dem Gesicht gesehen. Sie hatte ihn schon mal bei Elemak gesehen; aber Elemak war es gewohnt, solche Gefühle zu haben und sie in Schranken zu halten. Vas hatte diese Übung nicht.
Auf dem Weg zu Volemaks Haus kam sie an Mebbekew vorbei, der das Fell einer Ziege aufspannte, die er und ein paar Wühler erlegt hatten, als sie an diesem Morgen in den Hügeln auf die Jagd gegangen waren. »Wieso die Eile?« fragte er.
»Vielleicht solltest du mitkommen und helfen«, sagte sie. »Vas hat gerade von Sevets Ehebruch erfahren, und es könnte gefährlich werden.«
Aufgrund der Art und Weise, wie Mebs Gesicht erbleichte, wußte Eiadh, daß mehr als nur ein Bauer Eiadhs Feld gepflügt hatte. »Nicht du«, sagte Eiadh. »Von dir weiß er nichts.«
»Wer noch?« fragte er verwirrt.
Sie lachte ihn aus. »Sind alle Männer so dumm wie du und Vas? Ihr alle glaubt, euch gehöre der Mond, nur weil ihr nie mitbekommt, daß auch andere ihn anschauen.«
Meb lächelte. »Also hat Vas es auf Elemak abgesehen«, sagte er.
»Ich hole Volemak. Wir müssen der Sache Einhalt gebieten.«
»Oh, und ich werde dort sein, um zu helfen. Du kannst dich darauf verlassen. Das will ich mir um nichts auf der Welt entgehen lassen.«
Aber Mebbekew folgte ihr nicht zu Volemaks Haus. Statt dessen überlegte er, den schweren Holzhammer noch in den Händen, wohin Vas zuerst gehen würde. Zweifellos zum Werkzeugschuppen, um sich irgendeine Waffe zu besorgen — Vas würde nicht mit bloßen Händen vorgehen, nicht, wenn ihm der Sinn nach Mord stand. Er kannte seine Grenzen. Genau wie Meb. Vas würde sich einen scharfen Gegenstand mit einem langen Griff besorgen. Und Meb hatte einen sehr großen Holzhammer. Da Vas ein stolzer Mann war, würde er mit seinem vorgesehenen Opfer sprechen, ihn beim Namen rufen, ihm gegenübertreten. Da Meb überhaupt keinen Stolz hatte, würde er ihn von hinten angreifen. Oder einen Hinterhalt legen und auf ihn warten. Meb schämte sich dessen nicht. Er wußte, daß er einem entschlossenen Feind in einem anständigen Kampf nicht gewachsen war. Die Kunst des Kämpfens hatte er nie erlernt. Er war zum Schauspieler bestimmt, und gäbe es einen echten Gott und nicht nur diesen dummen Computer, wäre Meb jetzt noch in Basilika auf der Bühne, hätte sich schon längst einen Namen gemacht und würde jeden Abend neue Frauen und neue Freunde finden. Statt dessen war er hier, in diesem schmutzigen kleinen Dorf, lebte im Dreck und war jeden Tag mit Schweiß und Staub und Schlamm und Insektenstichen bedeckt, und jetzt gab es hier einen sehr wütenden Ehemann, und ob dieser Ehemann es nun wußte oder nicht, höchstwahrscheinlich hatte Meb als letzter mit Vas’ Frau geschlafen.