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Nun hatten es alle begriffen. »Wenn die Wühler also die Statuen über ihre Körper reiben …« — »Schlucken die Engel etwas davon?« — »Wieviel von der Fruchtbarkeitschemikalie ist erforderlich?«

Schedemei hob die Hände, um den Fragen und Kommentaren ein Ende zu machen. »Ja, ihr habt es verstanden. Die männlichen Engel nehmen das Fruchtbarkeitsenzym mit dem Mund auf. Es ist nicht viel davon nötig, um die Tätigkeit der prophylaktischen Drüse aufzuheben, und sie erholt sich erst nach zwei, vielleicht drei Wochen und nimmt die Arbeit wieder auf. Also gibt es ein Zeitfenster, in dem die Fortpflanzung möglich ist. Und die männlichen Wühler haben am Unterbauch, in der Nähe der Leiste, eine besonders aufnahmefähige Stelle, von der aus die Chemikalie direkt ins Blut geleitet wird. Indem sie die Statuen an ihren verschwitzten Bäuchen reiben, lösen sie ein wenig Ton auf, woraufhin das aufgelöste Fruchtbarkeitsenzym ins Blut gelangt und genau wie bei den Engeln die Wirkung der prophylaktischen Drüse aufhebt. Die männlichen Wühler sind nun also zeugungsfähig. Doch da sie von dem Enzym viel weniger bekommen, ist für sie das Fruchtbarkeitsfenster nur ein paar Tage lang geöffnet. Das spielt aber keine Rolle. Während die Engel die Statuen nur einmal im Jahr anfertigen und ihren Fruchtbarkeitstreffer in dieser Zeit landen müssen, sind die Wühler aufgrund ihrer Kultur imstande, die Statuen jederzeit zu verehren. Die Statuen ermöglichen es ihnen also, sich fortzupflanzen, wann immer sie wollen. Sie müssen lediglich vorher beten.«

»Das ist der absurdeste, komplizierteste, unwahrscheinlichste und lächerlichste Mechanismus, von dem ich je gehört habe«, sagte Issib.

»Genau«, sagte Schedemei. »Es ist völlig unmöglich, daß er sich auf natürliche Weise entwickelt hat. Warum sollten die Wühler und Engel unabhängig voneinander Organe entwickeln, die sie steril machen? Darin liegt kein evolutionärer Vorteil. Warum sind die Engel nicht einfach ausgestorben, bevor sie überhaupt damit anfingen, die Statuen anzufertigen? Warum sind die Wühler nicht ausgestorben, bevor sie herausfanden, daß sie die Statuen der Engel über ihre Körper reiben müssen? Und warum ist eine besondere Chemikalie im Speichel der Engel nötig, damit ausgerechnet die Eier einer Plattwurmspezies ausschlüpfen können? Und warum haben die Engel eine Chemikalie entwickelt, die in ihrem Körper keine Funktion hat, aber die Hüllen der Plattwürmer auflösen kann?«

»In der Natur kommen viele seltsame Dinge vor«, bemerkte Ojkib.

»Natürlich«, sagte Schedemei. »Ich hätte nicht sagen sollen, es sei unmöglich, daß dieser Mechanismus sich auf natürliche Weise entwickelt hat. Aber zumindest ich halte diese Zufälle für zu groß, daß ich an eine natürliche Ursache glauben könnte. Das hat man den Wühlern und Engeln angetan.«

»Aber darum geht es im Augenblick nicht«, sagte Zdorab. »Schedja hat eine Antwort darauf, doch wichtig ist in erster Linie, daß wir den Wühlern die Wahrheit sagen müssen. Sie müssen die Statuen wieder benutzen. Und sich neue besorgen.«

»Vielleicht können wir die Engel dazu bringen, die Statuen den Wühlern einfach zu schenken«, sagte Padarok. »Sie haben ja keine Verwendung mehr für sie, nachdem die Frauen ein Urteil über die Männer gefällt haben.«

»Vielleicht«, sagte Schedemei. »Aber nicht nur die Wühler leiden unter unserer Einmischung in ihr vorheriges Sozialgefüge. Diese Beziehung, diese Verbindung zwischen Wühlern und Engeln, besteht seit Millionen von Jahren. Seit vierzig Millionen Jahren, um genauer zu sein. Und während dieser unzähligen Generationen haben sich bestimmte Muster entwickelt. Die Zwillingsgeburten der Engel zum Beispiel. Es treten lediglich Doppelschwangerschaften auf. Das ist kein Zufall. Bei allen unseren Beobachtungen ist es nur zweimal passiert — und nie in unserem Engeldorf —, aber wenn es zu einer einfachen Geburt kommt, wird das Kind getötet, und die Mutter darf sich nie wieder paaren. Mit anderen Worten — einfache Geburten werden in der Engelgesellschaft gnadenlos ausgemerzt. Ich habe den Eindruck, daß es sich dabei um eine Reaktion auf die Tatsache handelt, daß die Wühler den Engeln überallhin folgen, wohin sie auch gehen. Die Wühler müssen den Engeln folgen, um die Statuen zu bekommen. Aber andererseits können die Wühler nicht anders, als die Engel als leichte Nahrungsquelle zu betrachten, besonders, wenn die Kinder der Engel in jenem unbeholfenen Alter sind, in dem sie noch nicht so gut fliegen können und doch schon zu schwer sind, als daß ein Erwachsener sie allein tragen und dabei noch fliegen könnte. Im Prinzip ermöglichen die Zwillingsgeburten es jeder Generation von Engeln, ein zum Tode verurteiltes und ein überlebendes Kind zu bekommen. Im Laufe der Jahre hat die Zusammenarbeit innerhalb der Gemeinschaft es ermöglicht, daß zwischen zwei Dritteln und drei Vierteln der Zwillingspaare überleben. Doch in unserem Dorf erreichen sämtliche Zwillinge das Erwachsenenalter. Und alle geschädigten, schwachen, kranken und verkrüppelten Engel überleben, während sie in anderen Dörfern von den Wühlern ausgerottet werden. Kurz gesagt — die Engel haben die Strategie entwickelt, sich viel stärker zu vermehren, als ihre Umgebung ernährungsmäßig eigentlich verkraften könnte, um die Dezimierung durch die Wühler auf diese Weise wettzumachen. Wenn die Wühler keine Jagd mehr auf die Engel machen, gerät ihre Bevölkerung außer Kontrolle.«

»Das Gleichgewicht ist sehr empfindlich«, sagte Zdorab. »Ich habe einen Ort gefunden, an dem es zu einer Krise gekommen war. Die Wühler hatten die Disziplin verloren und zu viele Kinder und kranke Erwachsene verzehrt. Sie rotteten die Engel auf ihrem Gebiet systematisch aus. Als ich dort eintraf, hatten nur noch ein paar in die Defensive gedrängte Engelfamilien überlebt. Doch die Wühler bezahlten bereits den Preis dafür. Sie hatten natürlich noch jede Menge alte Statuen, aber keine neuen. Und so sank ihre Geburtsrate nach etwa fünf Jahren. Genau, wie es hier der Fall ist. Natürlich nicht so plötzlich, da sie die Statuen, die ihnen geblieben waren, noch immer anbeteten. Aber diese Statuen enthielten immer weniger von dem Enzym. Geburten wurden immer seltener. Nachdem weniger Wühler Jagd auf sie machten, erholten die Engel sich schnell, und danach haben sich dann auch die wenigen überlebenden Wühler erholt.«

Schedemei ergriff wieder das Wort. »Ihr seht also, es gibt ein soziales Gleichgewicht. Die Wühler können nicht zu viele Engel zu Nahrungszwecken töten, weil sie dann ihre Fortpflanzungsfähigkeit verlieren. Das Gleichgewicht korrigiert sich von selbst.«

»Was hindert die Engel daran, einfach loszufliegen und eine Kolonie zu errichten, wo es keine Wühler gibt?« fragte Protschnu.

»Nichts«, sagte Schedemei, »und es ist bestimmt schon oft passiert. Aber sie können nur dort leben, wo es Ton gibt, der die Plattwürmer enthält. Das heißt, sie können nur dort leben, wo eine Regenzeit das Land überflutet, und nur auf einer Höhe, auf der auch die Plattwürmer überleben können. Das ist eine ziemlich schmale Bandbreite. Hier, auf diesem Massiv, findet man diese Bedingungen, sonst aber kaum. Und die Wühler treten fast überall auf. Ich glaube nicht, daß die Engel einen Ort finden könnten, an dem ein Wühler sie nicht früher oder später aufspüren würde. Wenn der Wühler sie entdeckt, kehrt er nach Hause zurück und meldet, daß er einen neuen Ort gefunden hat, der von den Göttern begünstigt wird, und so gründen sie eine neue Kolonie. Das geschieht eigentlich zum Vorteil der Engel. Würden die Wühler ihre Jungen nicht verzehren, würde ihre Bevölkerung schnell die maximale Größe erreichen.«