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»Was auch immer der Hüter ist«, sagte Meb.

»Ich habe eine andere Idee«, sagte Elemak. »Was, wenn es diesen Hüter überhaupt nicht gibt? Die Träume, die ihr auf Harmonie hattet … ihr wart euch so sicher, daß sie von diesem angeblichen Hüter kamen, weil die Überseele nichts von den Wühlern und den Engeln wußte. Nun aber finden wir heraus, daß sich alle diese Informationen in den Datenbanken der Überseele befanden, sie aber keinen bewußten Zugriff darauf hatte. Also könnten diese Träume doch von Anfang an von der Überseele gekommen sein, ohne daß sie davon etwas wußte, oder? Und damit müßten wir uns nicht den Kopf über einen Mechanismus zerbrechen, der Träume überlichtschnell von der Erde nach Harmonie schicken kann.«

»Eine sehr gute Theorie«, sagte Schedemei. »Aber sie erklärt nicht, wie Kiti einhundert Jahre, bevor wir hier eintrafen, ein perfektes Abbild von Nafais Gesicht schaffen konnte.«

»Ich bin nicht der Ansicht«, sagte Volemak, »die Annahme sei hilfreich, wir hätten bewiesen, daß es den Hüter der Erde nicht gibt, nur weil wir ein paar natürliche Mechanismen gefunden haben, die das eine oder andere bewirken. Wir wissen nicht, wie groß die Reichweite des Hüters ist, oder welche Macht er hat; vielleicht ist er lediglich imstande, den Leuten Träume zu geben. Wunschdenken gibt Menschen, die nach Göttern gieren, falsche Götter; aber diejenigen, die sich nach einer Welt ohne Götter sehnen, können genauso schnell ihrem eigenen Wunschdenken zum Opfer fallen.«

»Das werde ich mir merken, Vater«, sagte Meb. »Das war eine wichtige Erkenntnis.«

Elemak lächelte, sagte aber nichts.

»Wenn wir die spekulative Theologie mal beiseite stellen könnten«, sagte Schedemei, »würde ich euch gern zwei Möglichkeiten zur Auswahl aufzeigen. Die erste wäre die: Wir können den Wühlern und Engeln alles erklären. Die Wühler können dann die Skulpturen wieder benutzen. Die Engel können versuchen, ihr Bevölkerungswachstum zu kontrollieren, indem sie sich nicht mehr so oft paaren. Vielleicht ist dazu lediglich erforderlich, daß die Männer nur jedes zweite Jahr eine Skulptur anfertigen. Es besteht kein Grund, wieder zum Abschlachten der Engelkinder zurückzukehren. Das Problem ist nur, daß es zwar hier funktionieren könnte, woanders aber keine Wirkung haben wird. Aber vielleicht hat der Hüter der Erde uns ja aus diesem Grund hierher gebracht — damit wir den Wühlern und Engeln beibringen, wie sie miteinander leben können, ohne sich umzubringen.«

»Ich dachte, wir würden die spekulative Theologie außer acht lassen«, sagte Meb.

»Die andere Möglichkeit wäre«, sagte Schedemei, »diese prophylaktische Drüse abzuschaffen.«

»Sie abschaffen?« fragte Volemak.

»Ich habe das Gen gefunden, das sie erzeugt. Es ist künstlich — es wurde eingefügt. Indem wir die Gene der Wühler und Engel mit denen nicht veränderter Ratten und Fledermäusen verglichen haben, konnten wir alle eingefügten Gene aufspüren. Es war ganz einfach. Wir haben den spezifischen genetischen Befehl isoliert, der die prophylaktische Drüse entstehen läßt, indem wir jedes einzelne künstliche Gen normalen Ratten und Fledermäusen injiziert und dann festgestellt haben, welches für die Entwicklung der Drüse verantwortlich ist. Nachdem wir das Gen nun gefunden haben, können wir es neutralisieren.«

»Wie?« fragte Volemak.

»Mit einer bakteriellen Infektion, die ein Enzym befördert, dessen einzige Funktion darin besteht, den genetischen Befehl zu finden und auszuschalten. Mit dieser Methode nehme ich alle genetischen Veränderungen vor. Ich muß einfach ein infektiöses Bakterium statt eins der harmlosen nehmen, die ich normalerweise benutze. Dabei treten kaum Nebenwirkungen auf. Bei den Wühlern würden sie sich auf eine leichte Steifheit der Gelenke und schwaches Nasenlaufen beschränken. Bei den Engeln können für ein paar Tage auch tränende Augen auftreten. Sobald die Infektion sich in der gesamten Population ausgebreitet hat, werden sie sich unabhängig von den Plattwürmern fortpflanzen können. Die Engel können natürlich auch weiterhin nach Herzenslust Skulpturen anfertigen, aber sollten sie damit aufhören, hat es nicht die geringsten Folgen. Die Veränderung wird nur jene betreffen, die gezeugt wurden, nachdem die bakterielle Infektion ihre Eltern verändert hat, und nachdem die Infektion eingesetzt hat, könnte es zu spontanen Abtreibungen kommen, die auf die ein paar Wochen alten männlichen Embryos der Wühler und Engel beschränkt ist. Aber nach einer einzigen Generation wird die prophylaktische Drüse verschwunden sein.«

»Das gefällt mir nicht«, sagte Ojkib. »Der Hüter der Erde hat einen Mechanismus eingerichtet, der hier das Gleichgewicht bewahrt, und wir zerstören ihn.«

»Ich weiß nicht, Okja«, sagte Chveja. »Eigentlich haben Menschen den Mechanismus geschaffen. Es steht im Buch der Sünden. Das ist eins der Dinge, die der Hüter nicht ausstehen konnten. Vielleicht wurden wir nur zurückgeholt, um diesen Mechanismus zu entfernen.«

»Wie ich schon sagte«, fuhr Schedemei fort. »Wir haben diese beiden Möglichkeiten. Aber ich persönlich ziehe die Intervention vor. Ich habe den Eindruck, wenn wir die prophylaktische Drüse entfernen, nehmen wir einem Sklaven die Handschellen ab. Nach vierzig Millionen Jahren wird es allmählich Zeit, meint ihr nicht auch?«

»Tu es einfach«, sagte Elemak. »Verschwende unsere Zeit nicht mit endlosen Diskussionen darüber, was der Hüter vielleicht will oder nicht. Es steht in deiner Macht, und es ist anständig. Also tue es, und Schluß damit.« Elemak stand auf und ging.

Es waren noch viele Stunden der Diskussion erforderlich, doch schließlich setzte Elemaks Sichtweise sich durch. Die Diskussion dauerte lediglich so lange, weil Protschnu vorschlug, sie sollten die Wühler und Engel fragen, was sie ihrer Meinung nach tun sollten. Doch sie alle stimmten schließlich überein, daß weder die Wühler noch die Engel die betreffenden genetischen Themen verstandesmäßig verarbeiten konnten. »Sie werden es nicht als wissenschaftliche Frage betrachten, weil sie keine Wissenschaft haben«, sagte Volemak, als er seine Entscheidung getroffen hatte. »Sie werden es auf die Religion beziehen, und es wird Spaltung und Kontroversen zwischen ihnen hervorrufen und könnte zu echtem Haß auf uns oder gar zu einem Bürgerkrieg in ihren Gemeinden führen. Ich glaube, man sollte alle Wesen eigenständige Entscheidungen treffen lassen, wenn sie imstande sind, die Wahlmöglichkeiten zu verstehen. Aber man läßt seine kleinen Kinder nicht entscheiden, ob sie nun im reißenden Fluß spielen dürfen oder nicht. Man hält sie vom Wasser fern und versucht nicht einmal, ihnen zu erklären, was ›ertrinken‹ bedeutet. Man kann es ihnen später erklären, wenn sie älter sind.«

»Also sind die Wühler und Engel jetzt unsere Kinder?« fragte Meb spöttisch.

»Es ist besser, sie wie unsere Kinder zu behandeln«, sagte Volemak. »So, wie unsere Vorfahren sie behandelt haben — als Sklaven, als Spielzeuge. Also ist die Entscheidung gefallen. Wir erklären ihnen nur so viel, wie sie verstehen können. Ojkib wird es den Wühlern erklären, und Nafai den Engeln. Ich würde es zu schätzen wissen, wenn alle anderen in dieser Hinsicht den Mund halten würden. Schedemei, ich möchte, daß du die Bakterien so schnell wie möglich in beiden Gemeinden einführst.«

»Das ist kein Problem«, sagte sie. »Ich setze einfach alle Anwesenden dem Bakterium aus. Das wird einen leichten Schnupfen hervorrufen, in einigen Fällen vielleicht leichtes Fieber. Trefft euch einfach weiterhin wie gewohnt mit den Wühlern und Engeln, und die Krankheit wird sich auf natürliche Art und Weise ausbreiten. Kommt einfach her und tupft euch dieses Gel in die Nasen.«