»Dann flieg doch mit Nafai«, sagte Mebbekew. »Mir doch egal, was du tust.«
Elemak vernahm Mebbekews Worte mit Abscheu. Was für ein Narr er doch war! Zdorab hatte ihnen erzählt, was Chveja gesagt hatte. Zdorab war nie zuvor ihr Verbündeter gewesen. Doch nun, da seine Kinder bedroht wurden, bot sich ihnen die gute Gelegenheit, ihn endgültig auf ihre Seite zu ziehen. Dann würde Nafais Gruppe nur noch aus ihm selbst, Vater und Issib bestehen — mit anderen Worten aus Njef, dem alten Mann und dem Krüppel.
»Zdorab«, sagte Elemak, »ich nehme die Sache sehr ernst. Ich glaube, wir haben keine andere Wahl, als zum Schein bei Nafais Plänen mitzuspielen. Aber es gibt doch bestimmt eine Möglichkeit, in den Schiffscomputer zu kommen und ihn so einzustellen, daß er uns während der Reise weckt — zu einem Zeitpunkt, da Nafai glaubt, daß alles nach seinen Wünschen verläuft und er nicht mit uns rechnet. Die Tiefschlafkammern sind weit von den Wohnquartieren des Schiffes entfernt. Was hältst du davon?«
»Ich halte das für dumm«, sagte Mebbekew. »Hast du vergessen, was der Schiffscomputer ist?«
»Ist er es wirklich?« fragte Elemak, an Zdorab gewandt. »Ist der Schiffscomputer mit der sogenannten Überseele identisch?«
»Nun ja«, sagte Zdorab, »wenn man genau darüber nachdenkt, vielleicht nicht. Ich meine, die Überseele wurde installiert, nachdem die Sternenschiffe hier gelandet sind. Er lädt einen Teil von sich in die Schiffscomputer, ist damit aber nicht so vertraut wie mit der Hardware, die er seit vierzig Millionen Jahren bewohnt.«
»Er«, murmelte Mebbekew verächtlich. »Es, meinst du doch.«
Elemak wandte den Blick keinen Augenblick von Zdorabs Gesicht ab.
»Hm«, machte Zdorab. »Ich bin mir nicht sicher. Aber ich glaube nicht, daß die ursprünglichen Reisenden … Ich meine, sie werden doch kaum ihr eigenes Leben der Überseele anvertraut haben. Es war die nächste Generation, nicht sie selbst. Also sind die Schiffscomputer vielleicht …«
»Und vielleicht, wenn du klug vorgehst …«, sagte Elemak.
»Eine Fehlschaltung«, sagte Zdorab. »Es gibt ein Kalenderprogramm, das die Ereignisse während der Reise festsetzt. Kurskorrekturen und so weiter. Aber ich kann mir vorstellen, daß die Überseele dieses Programm oft überprüft.«
»Denke darüber nach«, sagte Elemak. »Bei solchen Dingen bin ich wirklich nicht sehr gut.«
Zdorab blühte sichtbar auf. Damit hatte Elemak gerechnet. Wie alle schwachen und eifrig bemühten kleinen Männer schmeichelte es Zdorab, den Respekt eines Mannes wie Elemak zu erhalten, eines großen, starken Mannes, eines charismatischen und gefährlichen Anführers. Es war so leicht, ihn für sich einzunehmen. Nach all diesen Jahren, in denen Zdorab praktisch in Nafais Tasche gesteckt hatte, war es sogar erstaunlich leicht gewesen. Dazu war Geduld erforderlich. Abwarten. Keine Brücken hinter sich abbrechen.
»Ich zähle auf dich«, sagte Elemak. »Aber was du auch immer tust, sprich später nicht darüber. Nicht einmal mit mir. Wer weiß schon, was der Computer alles hören kann?«
»Dann hat er — zum Beispiel — auch alles gehört, was wir hier besprochen haben«, warf Mebbekew höhnisch ein.
»Wie ich schon sagte, Zdorab, gib dein Bestes. Vielleicht ist es unmöglich. Aber falls du irgend etwas tun kannst, ist das schon mehr, als Meb oder ich tun können.«
Zdorab nickte nachdenklich.
Jetzt gehört er mir, dachte Elemak. Ich habe ihn. Ganz gleich, was geschieht, Nafai hat ihn verloren — und das alles, weil er oder seine Frau vor ihren Kindern nicht den Mund halten konnten. Schwach und töricht, so war Nafai nun mal. Schwach, töricht und zur Führung ungeeignet.
Und wenn er irgend etwas unternahm, das Elemaks Kindern schadete, würde er nicht nur seine Führungsposition verlieren. Aber das war sowieso nur noch eine Frage der Zeit. Vielleicht erst nach Vaters Tod … aber der Tag würde kommen, da alle Beleidigungen und Erniedrigungen vergolten werden würden. Ehrenvolle Männer vergeben ihrem lügenden, betrügenden, spionierenden und verräterischen Feind nicht.
»Gehen wir spazieren«, sagte Nafai zu Luet.
Sie lächelte ihn an. »Sind wir noch nicht müde genug?«
»Gehen wir spazieren«, wiederholte er.
Er führte sie aus dem Wartungsgebäude, in dem sie alle wohnten, über den harten, flachen Boden zum Landefeld. Er führte sie nicht zu den Raumschiffen, sondern auf die freie Fläche, bis sie von allen anderen weit entfernt waren.
»Luet«, sagte er.
»Oh«, sagte sie. »Wir sind wegen irgend etwas wütend.«
»Ich weiß nicht, wie es mit dir ist«, sagte er, »aber ich bin wütend.«
»Was habe ich getan?«
»Ich weiß nicht, ob du irgend etwas getan hast«, sagte er. »Aber Zdorab hat ein Weckdatum in den Schiffskalender eingefügt.«
»Warum sollte er so etwas tun?«
»Das Programm soll ihn wecken, wenn wir die Hälfte der Reise hinter uns haben. Ihn, Schedemei und Elemak.«
»Elemak?«
»Welchen Grund sollte Zdorab dafür haben?« fragte Nafai.
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Luet.
»Tja, könntest du mal kurz darüber nachdenken? Fällt dir vielleicht irgend etwas ein, das es dir ermöglicht, dahinter zu kommen?«
Jetzt wurde Luet allmählich wütend. »Was soll das, Nafai? Wenn du irgend etwas weißt … oder wenn du mir etwas vorwerfen willst …«
»Aber ich weiß nichts«, sagte Nafai. »Die Überseele hat mich auf Zdorabs kleinen Weckplan hingewiesen. Und ich habe gefragt: Warum? Und sie hat gesagt: Frage Luet.«
Luet errötete. Nafai runzelte die Stirn. »Also«, sagte er. »Wird dir jetzt alles klar?«
»Die Überseele treibt ihre Spielchen mit uns.«
»Ach, wirklich?« sagte Nafai.
»Es sollte uns nicht überraschen«, sagte Luet. »Das hat sie doch schon die ganze Zeit über getan.«
»Würdest du mich vielleicht wissen lassen, um was für ein Spiel es sich diesmal handelt?«
»Es muß damit zusammenhängen, aber ich verstehe nicht … o ja, doch. Chveja hat mich gehört.«
Nafai legte seine Finger an die Stirn. »Ah, jetzt ist mir alles klar. Was hat Chveja gehört?«
»Wie ich mit der Überseele sprach. Gestern abend. Über … du weißt schon.«
»Nein, ich weiß es nicht.«
»Das kann doch nicht dein Ernst sein.«
»Mir wird von Minute zu Minute ernster zumute.«
»Du meinst, die Überseele hat das Thema bei dir nicht mal zur Sprache gebracht? Daß sie die Kinder auf der Reise wach halten will?«
»Mach dich doch nicht lächerlich. Wir haben nicht genug Vorräte, um alle wach zu halten. Die Reise dauert zehn Jahre!«
»Ich weiß nicht«, sagte Luet. »Die Überseele hat gesagt, wir hätten genug Vorräte, um dich und mich und zwölf der Kinder den größten Teil der Reise wach zu halten.«
»Und warum sollten wir das tun?« fragte Nafai. »Wir legen uns doch gerade deshalb in den Tiefschlaf, weil zehn Jahre an Bord eines Sternenschiffes unglaublich langweilig werden würden. Nicht mal ich habe vor, die ganze Zeit wach zu bleiben. Sollten unsere Kinder zehn Jahre ihres Lebens — mehr als die Hälfte! — damit verbringen, in diesem Metalltopf herumzusitzen?«
»Die Überseele hat mit dir gar nicht darüber gesprochen«, sagte Luet. »Das macht mich so wütend.«
Nafai schaute sie an und wartete auf eine Erklärung.
»Es würde sich um unsere Kinder handeln, um alle außer den Zwillingen, und um Schujas bis zu Netsja, und Schedemeis Jungen und Mädchen, und um deine Brüder Ojkib und Yasai.«