Erst, als sie am Rand des Todes stand, kam ein Traum in ihren Verstand, obwohl sie wach zu sein glaubte. Sie sah einen Menschen, einen Wühler und einen Engel, die gemeinsam auf der Kuppe eines Hügels standen, während sich eine beträchtliche Schar von Leuten aller drei Spezies weinend um sie drängten, dann lachend, vorwärts strömend, um sie zu berühren, und jeder, der sie berührte, sang laut dasselbe fröhliche Lied, und dann sahen der Mensch, der Wühler und der Engel sie an, Emeezem, die tiefe Mutter, die im Sterben lag, und sagten zu ihr: Danke, daß du dein Volk auf diesen Weg gebracht hast.
Der Traum holte Nen nicht wieder ins Leben zurück, gab ihr auch keine Hoffnung, daß Fusums Herrschaft nicht blutig und schrecklich sein würde, und holte sie bestimmt nicht vom Rand des Todes. Er ließ sie lediglich mit einem Lächeln auf dem Gesicht und Stolz im Herzen von diesem Rand in das dunkle Unbekannte treten. Er machte den Tod für sie süß.
Fusum sorgte dafür, daß sie mit großen Ehren bestattet wurde, und bei seiner Grabrede lobte er sie dafür, daß sie das Volk auf die Ankunft der Menschen vorbereitet hatte — auch wenn sie nicht verstanden hatte, was die Götter für ihr Volk vorgesehen hatten. Im Verlauf der nächsten Tage verschwanden dann alle seine Rivalen und Widersacher und wurden nie wieder gesehen. Die Botschaft war klar: Das höchste Gesetz des Volkes der Wühler war Fusum, denn Fusum war Blutkönig, Kriegskönig, tiefe Mutter und, ja, Gott, alles in einem und für alle Zeiten. Die meisten jungen Männer waren damit zufrieden, denn er würde sie wieder zu Kriegern machen, nachdem sie so viele Jahre im Schatten der Menschen und unter dem Daumen der Frauen gelebt hatten. Und da die jungen Männer mit Fusum zufrieden waren, wagte es niemand, unzufrieden zu sein.
Fusum bat Elemak respektvoll, damit aufzuhören, seine lächerlichen Lehren über den Hüter der Erde zu verbreiten. Fusum nahm Chveja beiseite und erklärte ihr, ihre Anwesenheit schüchtere die Wühlerfrauen ein, und sie wären glücklicher, wenn sie damit aufhörte, ihnen die sichere Lagerung und Konservierung von Nahrungsmitteln zu erklären. Ein Mensch nach dem anderen wurde freundlich gebeten, dem Dorf fernzubleiben, bis schließlich nur noch Elemak, Mebbekew und Protschnu die Wühler besuchen durften.
Was konnte Volemak tun? Er bat Elemak, bei Fusum zu protestieren. Elemak sagte, er würde es tun, kam dann zurück und sagte, er hätte es getan. Er übermittelte Fusums Versicherung, nichts habe sich geändert, abgesehen davon, daß die Wühler nun selbst die Verantwortung dafür übernahmen, ihr Volk zu unterweisen. »Er hat gesagt, wir sollten glücklich sein, Vater, weil wir unseren Familien nun mehr Zeit widmen können.«
Es ging alles so still, so höflich vonstatten, daß Volemak sich einfach nicht einmischen konnte. Er wußte — alle wußten —, daß die Wühler in Wirklichkeit gegen die menschliche Vorherrschaft revoltierten, obwohl bis zu der Revolte keiner der Menschen sich für einen Herrscher gehalten hatte. Des weiteren wußten alle, daß Elemak irgendwie einen Putsch zustande gebracht hatte; denn nun beherrschte er sämtlichen Zugang zu den Wühlern, obwohl bis zu diesem Augenblick Ojkib und Chveja die vorherrschende menschliche Präsenz beim Volk der Wühler gewesen waren. Alle waren sicher, daß Elemak jahrelang geplant und darauf hingearbeitet hatte, und daß aller Wahrscheinlichkeit nach er und Fusum vor zwanzig Jahren irgendeinen Handel abgeschlossen hatten, als Fusum eine Geisel gewesen war und Elemak die Wühlersprache von ihm gelernt und ihn angeblich zum Freund der Menschen gemacht hatte.
»Fusum hat Elemaks Kind entführt«, sagte Chveja ungläubig. »Wie hat Elemak sich mit ihm anfreunden können?«
»Ich glaube«, sagte Ojkib, »Elemak hat begriffen, daß Fusums Wahl des Entführungsopfers nicht persönlich gemeint war. Und ich glaube nicht, daß zwischen ihnen etwas besteht, das du oder ich als Freundschaft betrachten würden.«
Aber es spielte keine Rolle mehr, was die anderen davon hielten. Es war vollbracht.
Zu diesem Zeitpunkt fingen sie an, ernsthaft auf Volemaks Gesundheitszustand zu achten. Volemak sprach sogar mit einigen persönlich darüber.
Er und Nafai kamen mit Huschidh und Chveja zusammen und erstellten eine Liste, wer den Nafari und wer Elemak treu ergeben war. »Wir werden erneut in Nafari und Elemaki gespalten«, sagte Chveja. »Ich dachte eine Zeitlang, diese Tage lägen hinter uns.«
Volemak schaute traurig, aber nicht grimmig drein. »Ich habe gewußt, daß Elemak sich verändert hat. Aber er hat nicht Großzügigkeit, sondern Geduld gelernt. Die Überseele hat es die ganze Zeit gewußt.«
Bei den Menschen waren die Nafari den Elemaki zahlenmäßig weit überlegen, und würde es allein unter ihnen zum Kampf kommen, konnte aufgrund der Anzahl der Erwachsenen, die als Soldaten dienen würden, kein Zweifel am Ausgang des Ringens bestehen. Aber natürlich war nun allen klar, daß die Schlacht, falls sie denn stattfand, zwischen Nafais Menschen und Fusums Wühlerheer ausgetragen werden würde. In diesem Maßstab standen Nafai nur eine Handvoll Soldaten zur Verfügung, und niemand hegte auch nur die geringste Zuversicht, daß die Engel sich, wie bereitwillig sie auch sein mochten, in einem offenen Krieg gegen die Wühler behaupten konnten. Es durfte zu keinem solchen Kampf kommen. Nafai und seine Leute würden fortziehen müssen.
Doch selbst bei Kokors und Sevets Kindern war mehr als die Hälfte Nafai treu ergeben — zum Teil wegen des offenen Geheimnisses, daß ihre Mütter Elemaks Geliebte waren. »Die eigentliche Schwierigkeit«, sagte Huschidh, »ist darin zu sehen, daß Eiadh Nafai vielleicht am treuesten von allen ergeben ist und so viele ihrer Kinder und Enkelkinder wird mitnehmen wollen, wie ihr nur möglich ist.«
»Wie viele von ihnen würden denn mitkommen?« fragte Nafai.
»Die meisten. Die meisten von Elemaks Kindern würden dich begleiten. Allerdings nicht Protschnu und Nadja und deren Kinder. Doch Elemak wird es nicht dulden, daß du überhaupt welche mitnimmst, nicht einmal Eiadh. Er würde uns folgen, wohin wir auch gingen. Wenn wir jemals Frieden haben wollen, können wir sie nicht mitnehmen.«
Volemak hörte sich ihr Gespräch an und traf dann seine Entscheidung. »Ihr werdet alle mitnehmen, die Nafai ehrlich und treu ergeben sind, vorausgesetzt, sie wollen euch begleiten. Ihr müßt darauf vertrauen, daß der Hüter der Erde euch hilft.«
Falls einer von ihnen sagen wollte: Du hast gut reden, Volemak; denn du wirst tot sein, wenn die Kriege beginnen, behielt er es für sich.
Als Volemaks Gesundheitszustand schlechter wurde, rief er die Leute einen nach dem anderen zu sich. Nur zu einem Gespräch, sagte er, doch alle gingen ziemlich erschüttert wieder von ihm. Er setzte sich mit ihnen an einen Tisch und sagte ihnen mit fast brutaler Offenheit, was er von ihnen hielt. Die Worte konnten schmerzen, doch wenn er das Gute in ihnen lobte, ihre Talente, ihre Tugenden, ihre Errungenschaften, waren sie wie Gold. Einige von ihnen erinnerten sich natürlich hauptsächlich an die Kritik, und einige vor allem an das Lob; aber alle diese Gespräche wurden aufgezeichnet, und später schrieben Nafai oder Ojkib die Worte auf die goldenen Blätter des Buches. Wenn sie sich eines Tages daran erinnern wollten, was Volemak gesagt hatte, würden sie seine Worte nachlesen können.
Es war ein offenes Geheimnis, daß Volemak sich von ihnen verabschiedete. Und als er krank wurde, beschleunigte sich das Tempo.
Er traf sich mit pTo und Poto, die die Schlucht zu ihm herabkamen, weil er nicht einmal im Beiboot die Anstrengung der Reise zu ihrem Dorf überstehen würde. »Wir werden für Nafai kämpfen und sterben«, sagten sie zu ihm.