»Ich will nicht, daß ihr sterbt, und ihr dürft nur kämpfen, wenn sie euch dazu zwingen. Die wirkliche Frage, meine Freunde, ist diese: Werdet ihr und alle von eurem Volk Nafai in die Wildnis folgen, um neu anzufangen und in einem anderen Land eine neue Kolonie zu errichten?«
»Wir würden lieber die Wühler besiegen«, sagte pTo. »Wir können wie Männer kämpfen. Nafai hat uns gelehrt, mit neuen Waffen zu kämpfen. Wir können angreifende Panther niederstrecken, wir können sie töten, während wir fliegen, und sie können uns nicht berühren.«
»Wühler sind klüger als Panther«, sagte Volemak.
»Aber Engel sind klüger als Wühler«, sagte Poto.
»Ihr versteht mich nicht«, sagte Volemak. »Ich sage, daß Wühler klüger als Panther sind, weil dies bedeutet, daß ihr Leben wertvoller ist. Ihr solltet nicht stolz darauf sein, daß ihr Wühler töten könnt, weil sie Menschen und keine Tiere sind.«
Verlegen verstummten pTo und Poto.
»Werdet ihr und euer Volk Nafai höher in die Berge hinauf folgen?«
»Ich kann dir mit völliger Zuversicht sagen, Vater Volemak«, entgegnete pTo, »daß das Volk Nafai nicht nur zum Mond oder in die Tiefen der Hölle folgen, sondern ihn auch bitten wird, sein König zu sein und über das Volk zu herrschen. Denn wenn er sein Herrscher ist, weiß es, daß ihm nichts geschehen wird.«
»Und was, wenn Nafai den Mantel des Herrn der Sterne nicht mehr haben sollte?« fragte Volemak.
Sie sahen einander für einen Augenblick an. Schließlich fiel es Poto wieder ein. »Oh, du meinst das Ding, das ihn wie einen Leuchtkäfer glühen läßt, wenn er es will?«
»Das hat keine Bedeutung für uns«, sagte pTo. »Wir wollen nicht, daß er uns führt, weil er irgendwelche magischen Kräfte hat, Vater Volemak. Wir wollen, daß er uns führt, weil er und Luet und Issib und Huschidh die besten und weisesten Menschen sind, die wir kennen, und weil wir einander lieben.«
Volemak nickte. »Dann werdet ihr auf ewig meine Kinder sein, selbst nach meinem Tod.«
Sie kehrten nach Hause zurück und sagten ihrem Volk, es solle sich auf den Aufbruch vorbereiten. Sie sammelten ihre Besitztümer ein und entschieden, was sie mitnehmen und was sie zurücklassen würden. Sie packten ihr Saatgut und Ableger von Pflanzen ein, von denen sie kein Saatgut hatten. Sie packten die Nahrung ein, die sie für die Reise und für die Zeit brauchten, bis sie die Erträge ihrer neuen Felder ernten konnten. Und sie brachten ihre Kinder einen Tagesflug das Tal hinauf und über den nächsten Kamm, so daß sie bereits außerhalb der Reichweite der Wühler sein würden, falls der Aufbruch überstürzt erfolgen sollte.
»Wie lange wird Vater Volemak noch leben?« fragten die anderen sie.
Was sollten sie darauf antworten? »Nicht lange genug«, sagten sie immer wieder, zu jedem, der fragte.
Schließlich hatte Volemak sich von allen verabschiedet, alle gesegnet, allen seine Hoffnungen und Wünsche und seine Liebe zum Ausdruck gebracht, und er lebte noch immer. Rasa kam zu Schedemei und sagte: »Volja und Njef möchten dich sprechen, Schedja. Bitte, komm schnell.« Sie lächelte Zdorab an. »Diesmal bitte allein.« Zdorab nickte.
Schedemei folgte der alten Frau in das Haus, in dem Volemak mit geschlossenen Augen und regloser Brust lag.
»Ist er …«, begann sie.
»Noch nicht«, antwortete Volemak ruhig.
Nafai saß auf einem Stuhl in der Ecke. Rasa verließ das Haus, sagte nur: »Macht schnell.« Ihnen wurde klar, daß sie nicht draußen sein wollte, wenn ihr Gatte starb.
»Nafai«, flüsterte Volemak. »Gib ihr den Mantel des Herrn der Sterne.«
»Was?« sagte Schedemei.
»Schedemei«, sagte Volemak. »Nimm den Mantel. Lerne, wie man ihn benutzt. Bring das Schiff in den Himmel, wo kein Mensch es berühren oder benutzen kann. Lebe lang — der Mantel wird dich erhalten. Paß auf die Erde auf.«
»Das ist die Aufgabe des Hüters, nicht die meine«, sagte Schedemei, aber in Wirklichkeit war kein Protest in ihrem Herzen. Volemak will, daß ich den Mantel und das Schiff bekomme! Volemak will, daß ich das einzige anständige Laboratorium auf der Welt bekomme, und genug Zeit, um es zu nutzen!
»Der Hüter der Erde wird sich über jede Hilfe freuen, die er bekommt«, sagte Volemak. »Könnte er seine Arbeit allein tun, hätte er uns nicht hierher geholt.«
Nafai stand auf und legte dabei seine Kleidung ab. »Er wird von meinem Fleisch in das deine übergehen«, sagte er. »Falls du ihn annehmen willst. Und falls ich bereit bin, ihn aufzugeben.«
»Bist du das?« fragte Schedemei.
»Behandle diese Welt wie deinen Garten«, sagte Nafai. »Und paß auf mein Volk auf, wenn ich schlafe.«
Volemak starb in dieser Nacht, und nur Rasa war bei ihm. Im Morgengrauen war sein Dahinscheiden von der tiefsten Kammer der Wühlerstadt bis zum höchsten Nest der Engel bekannt. Die Trauer unter den Engeln war groß und echt, und auch unter all jenen Wühlern, die nicht in den Krieg ziehen wollten. Sie wußten, daß der Frieden für sie alle zu Ende war; und sie hatten den Menschen Volemak auch geliebt und geehrt, nicht nur seiner Autorität wegen, sondern auch wegen der Art und Weise, wie er sie eingesetzt hatte.
Auf Rasas Bitte verbrannten sie seine Leiche nicht, sondern begruben sie entsprechend der Gebräuche der Wühler.
Erst zwei Tage später kam es zum Machtkampf. Nafai bereitete sich darauf vor, zum Dorf der Engel zurückzukehren, wo Luet bereits auf ihn wartete. Elemak fing, flankiert von Meb und Protschnu und mit einem Dutzend Wühlersoldaten hinter ihm, Nafai am Waldrand ab.
»Bitte geh nicht«, sagte Elemak.
»Luet wartet«, sagte Nafai. »Liegt etwas Dringendes an?«
»Ich würde es zu schätzen wissen, wenn du nicht gehen würdest«, sagte Elemak. »Ich werde Luet benachrichtigen, daß sie hierher kommen soll. Mir wäre es lieber, wenn du jetzt in diesem Dorf wohnst. Das Himmelsfleisch braucht dich nicht mehr.«
Seine Worte und sein Benehmen waren sanft, so daß Nafai wie der Aggressor aussehen würde, sollte er Widerstand leisten, und nicht Elemak. Aber die Botschaft war unmißverständlich. Elemak ergriff die Macht, und Nafai war sein Gefangener.
»Es freut mich, das zu hören«, sagte Nafai. »Ich dachte, ich müßte noch sehr viel für sie tun. Aber dann kann ich mich wohl in den Ruhestand zurückziehen.«
»O nein, hier unten ist noch sehr viel zu tun«, sagte Elemak. »Felder müssen gerodet und Tunnel gegraben werden. Sehr viel Arbeit. Und dein Rücken ist noch stark, Nafai. Ich glaube, es steckt noch eine Menge Arbeitskraft in dir.«
Er wurde in Volemaks Haus gebracht. Rasa begriff sofort, was geschah, und sie nahm es nicht ruhig hin. »Du warst schon immer eine Schlange, Elemak, aber ich dachte, du hättest schon vor langer Zeit gelernt, daß du nichts damit erreichst, Nafai gefangenzunehmen.«
»Nafai ist nicht mein Gefangener«, sagte Elemak. »Er ist ein ganz normaler Bürger, der seine Pflicht für die Gemeinschaft tut.«
»Erwartest du etwa, ich hätte so gute Manieren, daß ich so tue, als würde ich deinen Lügen Glauben schenken?« fragte Rasa.
»Herrin Rasa«, sagte Elemak. »Nafai ist mein Bruder. Aber du bist nicht meine Mutter.«
»Wofür ich der Überseele dankbar bin, das kannst du mir glauben.«
»Bitte, Mutter«, brach Nafai schließlich sein Schweigen. »Halte Frieden. Elemak glaubt, er würde hier herrschen, doch diese Welt gehört dem Hüter, nicht ihm oder irgendeinem Menschen. Er hat hier keine Macht.«
Zu einer anderen Zeit wäre Elemak angesichts dieser Worte in Wut geraten, hätte gepoltert und gedroht oder einfach zugeschlagen. Aber er war jetzt ein anderer Mensch, ein gemäßigter Mann, ein Mann mit Disziplin und ruhiger, skrupelloser Klugheit. Er sagte nichts, beobachtete einfach, wie Nafai ins Haus seines Vaters ging. Dann traten zwei Wühlersoldaten als Wachtposten vor die Tür.