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Dicht vor ihm blieb sie stehen, ein Wesen, das alles und jedes hätte sein können, gut oder böse, Leben oder Tod.

Sprich zu mir, dachte er voller Angst.

Aber die Gestalt stand einfach nur da, eingehüllt in Schatten, schweigend und bewegungslos. Sie schien auf etwas zu warten.

Dann machte Par einen Schritt nach vorne und zog, erfüllt von einer inneren Kraft, die ihm bisher verborgen geblieben war, die schwarze Kapuze zurück, die den anderen verhüllte. Er zog die Kapuze zurück, und er erkannte das zum Vorschein kommende Gesicht augenblicklich. Er hatte tausendmal davon gesungen. Es war ihm so vertraut wie das eigene. Er sah das Gesicht Allanons.

4

Als Par am nächsten Morgen erwachte, beschloß er, Coll nichts von seinem Traum zu erzählen. Zum einen wußte er nicht, was er hätte sagen sollen. Er war nicht sicher, ob der Traum aus unbewußten Tiefen gekommen oder aber seinem Wunschdenken entsprungen war – und selbst dann hätte er nicht gewußt, ob es sich um einen wahren Traum handelte. Zum anderen hätte er Coll nur wieder darin bestärkt, wie töricht er, Par, doch war, wenn er weiterhin über etwas nachdachte, das er offensichtlich doch nicht tun wollte. Aber wollte er es wirklich nicht? Wenn er ehrlich war, wußte er, daß sie sich darüber streiten würden, ob es ratsam gewesen wäre, sich in das Gebiet der Drachenzähne zu wagen, um dort das Hadeshorn und einen Druiden, der bereits seit dreihundert Jahren tot war, zu suchen. Es war besser, die Sache einfach auf sich beruhen zu lassen.

Sie aßen ihr kaltes Frühstück, das aus wilden Beeren und Quellwasser bestand, und waren zufrieden, daß sie wenigstens so viel hatten. Es hatte aufgehört zu regnen, aber der Himmel war bedeckt. Aus Nordwesten erhob sich ein ziemlich starker Wind, dessen Kraft Äste umbog und Blätter wild durch die Luft fliegen ließ. Sie packten ihre Sachen zusammen, bestiegen das Boot und stießen es vom Ufer ab.

Der Mermidon war stark angeschwollen, und das Boot, das sie nach Süden brachte, wurde auf dem Wasser hin- und hergeworfen. Allerlei Treibgut schwamm auf dem Wasser, und sie hielten ihre Ruder fest in den Händen, um alle großen Stücke, die das Boot hätten beschädigen können, von ihm abzuhalten. Die in Nebel und tiefhängende Wolken gehüllten Felswände des Runnegebirges erhoben sich drohend auf der anderen Seite. Es war kalt, und die Brüder spürten, wie ihre Hände und Füße vor Kälte schnell steif wurden.

Wann immer es möglich war, gingen sie an Land und ruhten sich aus, doch auch das half nur wenig. Sie hatten nichts zu essen und, da sie keine Zeit damit zubringen wollten, ein Feuer zu machen, auch keine Möglichkeit, sich aufzuwärmen. Schon am frühen Nachmittag regnete es wieder. Der Regen ließ die Luft noch kälter werden, der Wind verstärkte sich, und es wurde immer gefährlicher, die Reise auf dem Fluß fortzusetzen. Als sie eine kleine Bucht sichteten, die durch mehrere alte Kiefern geschützt war, zogen sie das Boot unverzüglich an Land und errichteten ein Lager.

Nachdem sie ein Feuer gemacht hatten, aßen sie den Fisch, den Coll gefangen hatte. Der Wind, der in den Schluchten der Berge heulte, das Wasser, das gegen die Ufer schlug, sowie die Kälte und Unbequemlichkeit ihres Lagers ließen sie nur unruhig schlafen. In dieser Nacht träumte Par überhaupt nicht.

Der Morgen brachte endlich den lang ersehnten Wetterumschwung. Der Sturm wandte sich nach Osten, der Himmel wurde klar, und helles, warmes Sonnenlicht erfüllte den Tag. Während ihr Boot sie nach Süden trug, trockneten sie ihre Kleider, und als die Mittagssonne auf sie herabschien, streiften sie ihre Kleider und Schuhe ab.

»Alles wird besser nach einem erfrischenden Gewitter, wie man so schön sagt«, erklärte Coll zufrieden. »Du wirst sehen, Par, von jetzt an haben wir gutes Wetter. Nur noch drei Tage, und wir sind zu Hause.«

Par lächelte und schwieg.

Der Tag verging, und der Duft der Bäume und Blumen erfüllte wieder die Luft.

Sie segelten an der Südwache vorbei; der schwarze Granitstein ragte schweigend und rätselhaft aus dem Fels am Rande des Flusses in den Himmel hinein. Selbst aus der großen Entfernung wirkte der Turm bedrohlich. Es war so dunkel, daß er scheinbar alles Licht in sich aufsog. Alle möglichen Gerüchte rankten sich um die Südwache. Manche behaupteten, der Turm sei lebendig und ernähre sich von der Erde unter ihm. Andere behaupteten sogar, er bewege sich. Fast alle waren sich darin einig, daß er auf unerklärliche Weise ständig zu wachsen schien. Er machte einen verlassenen Eindruck. So war es schon immer gewesen. Man sagte, daß eine Eliteeinheit von Föderationssoldaten dort Dienst tat, aber noch keiner hatte sie zu Gesicht bekommen. Auch gut, dachte Par, als sie unbehelligt vorbeitrieben.

Am späten Nachmittag erreichten sie die Flußmündung, dort, wo sich der Fluß in den Regenbogensee ergoß. Der See breitete sich vor ihnen aus, ein riesiges, silbrig schimmerndes blaues Gewässer, das durch die Sonne, die sich dem Horizont zuneigte, am westlichen Rand golden gefärbt war. Der Regenbogen, der dem See seinen Namen gegeben hatte, spannte sich jetzt im grellen Sonnenlicht blaß von einem Ende zum anderen, das Blau und Lila fast unsichtbar, das Rot und Gelb verwaschen. Kraniche schwangen sich lautlos durch die Lüfte, ihre anmutigen Leiber zeichneten sich am Himmel ab.

Die Ohmsfords zogen ihr Boot ans Ufer und machten es im Schutz einiger schattiger Bäume fest. Sie schlugen ihr Lager auf. Coll fischte, während Par sich auf den Weg machte, um das Holz für das abendliche Lagerfeuer zu sammeln.

Par durchstreifte das Ufer eine Zeitlang in östlicher Richtung. Nach kurzer Zeit wandte er sich dem Wald zu und begann, trockenes Holz aufzulesen. Er hatte erst wenige Schritte zurückgelegt, als er die Feuchtigkeit um sich herum spürte und den modrigen Geruch wahrnahm. Er bemerkte, daß viele Bäume morsch waren; Blätter waren welk und braun, Äste abgebrochen, Rinden abgebröckelt. Auch der Waldboden sah ungesund aus. Er kratzte mit seinem Schuh und sah sich neugierig um. Es schien, als ob es kein Leben mehr in diesem Wald gäbe, keine kleinen Tiere, die über den Boden huschten, keine Vögel, die von den Bäumen zwitscherten. Der Wald war unbelebt.

Gerade als er beschloß, seine Suche nach Feuerholz einzustellen und zum Flußufer zurückzukehren, fiel sein Blick auf das Haus. Es war eher eine Hütte, und bei genauerer Betrachtung nicht einmal das. Sie war überwuchert von Unkraut, Reben und Buschwerk. Fensterläden lagen auf dem Boden, und das Dach war eingedrückt. Die Fensterscheiben waren zerbrochen, und die Eingangstür stand offen. Die Hütte stand am Rand einer kleinen Bucht; dem abgestandenen Wasser entströmte ein ekelhafter Geruch.

Par hätte die Hütte für unbewohnt gehalten, hätte er nicht die winzigen Rauchschwaden bemerkt, die aus dem verfallenen Schornstein stiegen. Er fragte sich, wie ein Mensch in einer solchen Umgebung hausen konnte, ob die Hütte wirklich bewohnt oder der Rauch lediglich das letzte Zeichen möglicher Bewohner war. Des weiteren fragte er sich, ob der Bewohner der Hütte möglicherweise Hilfe brauchte.

Fast wollte er hingehen, aber die Hütte und ihre Umgebung waren so abschreckend, daß er es schließlich doch nicht über sich brachte. Statt dessen rief er seine Frage, ob jemand zu Hause sei, laut hinaus. Er wartete einen Augenblick, dann rief er nochmals. Als er keine Antwort erhielt, wandte er sich fast dankbar ab und setzte seinen Weg fort.

Als er zurückkehrte, wartete Coll bereits mit dem Fisch, so daß sie eilig ein Feuer anzündeten und ihre Mahlzeit zubereiteten. Beide waren des Fisches schon überdrüssig, aber er war besser als nichts, und außerdem waren sie hungriger, als sie geahnt hatten. Nachdem sie ihre Mahlzeit beendet hatten, saßen sie nebeneinander und beobachteten, wie die Sonne unterging und der See sich wieder silbrig verfärbte. Am dunkler werdenden Himmel zogen Sterne auf, und die Geräusche der Nacht erwachten aus der Stille der Dunkelheit. Die Schatten der Bäume des Waldes vereinigten sich zu dunklen Flecken, die das Tageslicht vollends verdrängten.