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»Maulwurf?« rief Damson Rhee leise.

Einen Augenblick blieb alles still.

Der Maulwurf hatte sich in eine Ritze in der Felswand der Kammer verkrochen und war in der Dunkelheit fast unsichtbar. Hätten sie nicht die Fackel gehabt, hätten sie ihn vollkommen übersehen. Ohne einen Ton von sich zu geben, starrte er sie an, so als wolle er sich erst von ihrer wirklichen Anwesenheit überzeugen. Schließlich schleppte er sich zwei Schritte vor und blieb stehen. »Guten Abend, liebliche Damson«, flüsterte er. Er warf einen kurzen Blick auf die Talbewohner, ohne sie zu begrüßen.

»Guten Abend, Maulwurf«, antwortete Damson Rhee. »Warum hast du dich versteckt?«

Der Maulwurf blinzelte. »Ich habe nachgedacht.«

Damson Rhee runzelte die Stirn. Sie schob die Fackel in eine Spalte im Fels hinter sich, wo das Licht ihren seltsamen Freund nicht stören würde. Dann kauerte sie vor ihm nieder. Die Talbewohner blieben stehen. »Was hast du herausgefunden, Maulwurf?« fragte sie leise.

Der Maulwurf verlagerte sein Gewicht. »Es gibt einen Weg in den Palast der Könige von Tyrsis und von dort in die Schlucht«, sagte er. »Und es gibt auch Schattenwesen.«

Damson Rhee nickte. »Können wir an ihnen vorbei?«

Der Maulwurf rieb sich die Nase. »Vielleicht«, sagte er schließlich. »Wollen wir’s versuchen?«

Damson Rhee lächelte und nickte wieder. Der Maulwurf erhob sich. Er war winzig, eine haarige Kugel mit Armen und Beinen, die aussahen, als hätte man sie nachträglich angebracht. Was war er? fragte sich Par. Ein Zwerg? Ein Gnom?

»Hier entlang«, sagte der Maulwurf und gab ihnen ein Zeichen, ihm in den dunklen Gang zu folgen. »Nimm die Fackel mit, wenn du willst. Wir können sie eine Weile benutzen.« Er warf den Talbewohnern einen scharfen Blick zu. »Aber Reden ist verboten.«

Das war der Anfang, Er führte sie in die Eingeweide der Stadt hinunter, in ihre tiefsten Kanäle, in Gänge, die seit Jahrhunderten kein Mensch mehr betreten hatte. Die Gänge gruben sich in die Felsen, nach oben und nach unten, durch Räume, die den Verteidigern der Stadt einst als Vorrats- und Waffenlager, als Zufluchtsstätte für die gesamte Bevölkerung von Tyrsis gedient hatten. Hie und da stießen sie auf Türen, die von ihren verrosteten Scharnieren herunterhingen. Von Zeit zu Zeit liefen Ratten durch die Dunkelheit, die jedoch beim Anblick der Menschen und des Lichts flohen.

Die Zeit ging dahin. Par verlor jedes Gefühl dafür, wie lange sie sich schon in den unterirdischen Stollen aufhielten, während sie langsam, aber stetig der gedrungenen Gestalt des Maulwurfs folgten. Hin und wieder ließ er sie ausruhen, obwohl er selbst keine Rast zu brauchen schien. Als sie die wenigen Male anhielten, saßen sie in der fast vollständigen Dunkelheit jedesmal im Kreis, vier einsame Wesen, begraben unter riesigen Steinmassen.

Sie gingen, bis Pars Beine anfingen zu schmerzen. Dutzende von Stollen lagen hinter ihnen. Die Fackel, die sie mit sich führten, war zweimal heruntergebrannt und erneuert worden. Ihre Kleider und Stiefel waren mit Staub bedeckt, ihre Gesichter verschmiert.

Dann blieb der Maulwurf stehen. Sie befanden sich in einem trockenen Brunnen, der von einer Reihe von Gängen durchzogen wurde. Auf der gegenüberliegenden Seite war eine schwere Eisenleiter in den Felsen eingelassen. Sie ragte nach oben in die Dunkelheit, wo sie verschwand.

Der Maulwurf drehte sich um, deutete empor und legte einen schmutzigen Finger auf den Mund. Jeder wußte sofort, was die Geste zu bedeuten hatte.

Schweigend stiegen sie die Leiter hinauf, setzten einen Fuß vor den anderen, hörten, wie die Sprossen unter ihrem Gewicht krachten und ächzten. Das Licht der Fackel warf ihre Schatten in seltsamen Formen an die Wände des Brunnens. Die Gänge unter ihnen verloren sich in der Dunkelheit.

Am oberen Ende der Leiter stießen sie auf eine Luke. Der Maulwurf stemmte sich dagegen. Er öffnete die Luke einen Spaltbreit und spähte hinaus. Zufrieden stieß er die Luke auf, die mit einem dumpfen Schlag nach hinten fiel. Er kletterte hindurch, gefolgt von Damson Rhee und den Talbewohnern.

Sie standen in einem riesigen, leeren Keller, einem steinernen Verlies mit gewaltigen Fässern, mit Handfesseln und Ketten, die verstreut auf dem Boden lagen. Eine breite Treppe am anderen Ende des Kellers führte nach oben. Die Stille war erdrückend.

Der Maulwurf schob sich an Damson Rhee heran und flüsterte ihr etwas zu. Sie nickte, drehte sich zu den Talbewohnern um, deutete auf die Treppe, die nach oben führte, und formte mit ihren Lippen das Wort »Schattenwesen«.

Der Maulwurf führte sie geschwind durch den Keller zu einer winzigen Tür, die in die Wand zu ihrer Rechten eingelassen war, drückte geräuschlos die Klinke nach unten und schob sie hindurch, bevor er die Tür hinter ihnen wieder zuzog. Sie befanden sich in einem kurzen Gang, der in einen zweiten mündete. Der Maulwurf führte sie auch durch diese Tür und in den dahinterliegenden Raum.

Der Raum war leer, mit Ausnahme einiger Holzstücke, die von Kisten stammen mochten, einiger Blechplatten und einer Ratte, die eilig in einer Ritze zwischen den Steinquadern verschwand.

Der Maulwurf zog Damson Rhee am Ärmel, worauf sie sich zu ihm hinunterbeugte, um ihn anzuhören. Danach wandte sie sich den Talbewohnern zu. »Wir sind durch die Felsen am Westende des Volksparks gegangen und befinden uns jetzt unter dem Palast. Wir sind dort, wo früher die Gefängnisse waren. Genau an dieser Stelle haben zur Zeit von Balinor Buckhannah, dem letzten König von Tyrsis, die Armeen des Dämonenlords einen Durchbruch versucht.«

Der Maulwurf redete weiter.

Damson Rhee runzelte die Stirn. »Der Maulwurf sagt, daß sich in den Räumen über uns möglicherweise Schattenwesen befinden – nicht die Schattenwesen aus der Schlucht, sondern andere. Er sagt, daß er spürt, daß sie da sind, obwohl er sie nicht sehen kann.«

»Was bedeutet das?« fragte Par.

»Das bedeutet, daß sein Gespür ihm genügt.« Damson Rhee wandte ihr Gesicht von der Fackel ab und betrachtete die Decke des Raumes. »Es bedeutet, daß, wenn er sich so weit heranwagt, daß er sie sehen kann, sie ihn zweifellos ebenfalls sehen können.«

Voll Unbehagen folgte Par ihrem Blick. Sie hatten sich zwar nur flüsternd unterhalten, aber konnte nicht selbst das gefährlich werden? »Können sie uns hören?« flüsterte er in ihr Ohr.

Sie schüttelte den Kopf. »Hier offenbar nicht.« Sie sah zu Coll hinüber. Er stand regungslos in der Dunkelheit. »Wir sind noch immer ziemlich weit weg von der Schlucht. Wir müssen durch die Katakomben unter dem Palast, um die Stelle zu erreichen, von wo aus wir hinuntersteigen können. Der Maulwurf kennt den Weg. Aber wir müssen äußerst vorsichtig sein. Gestern, als er den Stollen durchsucht hat, waren noch keine Schattenwesen da, aber das könnte sich geändert haben.«

Par warf einen Blick auf den Maulwurf. Er hockte an einer Wand und beobachtete sie mit funkelnden Augen. Eine Hand streichelte unablässig das Haar auf seinem Arm.

»Bist du sicher, daß wir ihm trauen können?« meinte Par zu Damson Rhee.

Der Ausdruck auf ihrem blassen Gesicht veränderte sich nicht, aber ihr Blick schien in weite Ferne gerichtet. »So sicher, wie man nur sein kann.« Sie hielt inne. »Glaubst du, daß wir eine Wahl haben?«

Langsam schüttelte Par den Kopf.

Damson Rhee lächelte ironisch. »Dann sollten wir uns darüber keine Sorgen machen, glaubst du nicht auch?«

Sie hatte recht, natürlich. Nichts konnte seinen Verdacht zerstreuen, solange er nicht gewillt war umzukehren, und er hatte bereits beschlossen, unter keinen Umständen umzukehren.

»Die werden wir jetzt nicht mehr brauchen«, sagte Damson Rhee und wies auf die Fackel. Sie reichte sie Par und kramte dann in ihren Taschen, bis sie ein Paar weiße Steine mit silbernen Streifen hervorholte. Sie behielt den einen und gab Par den anderen. »Lösch die Fackel«, wies sie ihn an. »Dann nimm den Stein in deine Hände und wärme ihn. Wenn du die Wärme spürst, öffne deine Hände.«