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Par erstickte die Flamme der Fackel im Staub. Vollkommene Finsternis senkte sich über den Raum. Er hielt den seltsamen Stein in seinen Händen. Nach wenigen Sekunden spürte er, wie der Stein warm wurde. Als er eine Hand von ihm löste, strahlte der Stein ein schwaches silbernes Licht ab. Sobald sich Pars Augen an das Licht gewöhnt hatten, sah er, daß das Licht stark genug war, daß man die Gesichter seiner Gefährten und eine Fläche von mehreren Quadratmetern erkennen konnte.

»Wenn das Licht schwächer wird, wärmst du den Stein einfach wieder mit den Händen.«

Damson Rhee legte ihre Hand auf die seine, hielt sie fest und zog sie dann wieder weg. Das silberne Licht strahlte jetzt noch heller.

Unwillkürlich mußte Par lächeln. »Ganz guter Trick, Damson«, meinte er.

»Ein wenig von meiner eigenen Magie«, sagte sie, während ihre Augen ihn festhielten. »Straßenkunststücke eines Straßenmädchens. Nicht so wunderbar wie die echte Magie, aber zuverlässig. Kein Rauch, kein Geruch. Besser als das Licht einer Fackel, wenn wir unsichtbar bleiben wollen.«

»Viel besser«, pflichtete er bei.

Dann führte der Maulwurf sie aus dem Raum hinaus und in die Dunkelheit hinein. Damson Rhee folgte mit ihrem Stein in der Hand, hinter ihr schritt Par mit seinem Stein, und Coll bildete wie immer die Nachhut. Sie traten durch eine zweite Tür in einen Stollen hinaus, der sich an mehreren Türen und Räumen vorbei erstreckte. Sie bewegten sich völlig geräuschlos.

Par grübelte wieder über den Maulwurf nach. War er vertrauenswürdig? War der kleine Kerl der, der er vorgab zu sein, oder ein anderer? Die Schattenwesen konnten jede Gestalt annehmen. Was war, wenn der Maulwurf ein Schattenwesen war? Wieder Fragen, auf die es keine Antworten gab. Es gab niemand, dem er vertrauen konnte, dachte er freudlos, niemand außer Coll. Und Damson Rhee. Er vertraute ihr.

Oder doch nicht?

Er wehrte sich gegen den plötzlichen Zweifel, der ihn zu verschlingen drohte. Er konnte es sich nicht leisten, in diesem Augenblick solche Fragen zu stellen.

Während er wieder über das Rätsel der Schattenwesen nachdachte, über das Geheimnis, wer und was sie waren und wie sie so viele Gestalten annehmen konnten, kam ihm plötzlich die Frage in den Sinn, ob es Schattenwesen im Lager der Geächteten gab, ob der Feind, vor dem sie sich so verzweifelt zu verstecken suchten, in Wirklichkeit bereits mitten unter ihnen war. Der Verräter, dem Padishar Creel auf der Spur war, konnte ein Schattenwesen sein, das menschlich aussah, das scheinbar einer von ihnen war. Wie sollten sie es wissen? Waren sie nur mit Hilfe der Magie zu entlarven? Sollte das etwa der Zweck des Schwertes von Shannara sein, die wahre Identität des Feindes, dem sie auf der Spur waren, zu enthüllen? Diese Frage hatte er sich seit dem Augenblick gestellt, in dem Allanon ihn auf die Suche nach dem Schwert geschickt hatte. Aber wie unmöglich schien es doch, daß das magische Schwert diesen Zweck haben sollte. Es würde bis in alle Ewigkeit dauern, wollte er jeden, der möglicherweise ein Schattenwesen war, mit dem Schwert prüfen.

Plötzlich vernahm er die flüsternde Stimme Allanons: »Nur durch das Schwert kann sich die Wahrheit zeigen, und nur durch die Wahrheit können die Schattenwesen vernichtet werden.«

Wahrheit. Das Schwert von Shannara war ein magisches Symbol, das in der Lage war, Wahrheit zu enthüllen, Lügen zu zerstören und das Echte dem gegenüberzustellen, was nur den Anschein von Echtheit besaß. Diese Möglichkeiten hatte Shea Ohmsford ihm verliehen, als er den Dämonenlord vernichtet hatte.

Sie stiegen die lange, sich windende Treppe ganz nach oben. Eine geschlossene Tür in der Wand vor ihnen war verriegelt. Sie standen dicht beieinander auf dem Treppenabsatz, während sich der Maulwurf an den Riegeln zu schaffen machte. Unter leisem metallischen Kratzen öffnete er einen nach dem anderen; dann drückte er die Klinke behutsam nach unten. Par hörte, wie sein Herz in Antwort auf die Angst, die ihn durchströmte, wie wild hämmerte. Er fühlte, wie die in der Dunkelheit verborgenen Schattenwesen sie beobachteten. Er spürte ihre Gegenwart. Sein Gefühl war irrational und eingebildet, aber nichtsdestoweniger vorhanden.

Dann öffnete der Maulwurf die Tür, und sie schlüpften hastig hindurch.

Sie befanden sich in einem winzigen, fensterlosen Raum, von dessen Mitte aus sich eine Treppe nach unten in die Finsternis wand und auf dessen linker Seite eine Tür zu einem leeren Gang hinausführte. Lichtstrahlen drangen durch die Ritzen der Gangwand. Am anderen Ende des Ganges, vielleicht dreißig Meter von ihnen entfernt, bemerkten sie eine weitere verschlossene Tür.

Der Maulwurf winkte sie in den Gang hinein und machte die erste Tür hinter ihnen zu. Par ging zu einer der Ritzen in der Wand und spähte hinaus. Sie waren irgendwo im Palast, und zwar wieder über der Erde. Vor ihm erhoben sich Felsen, deren Abhänge mit Kiefern bedeckt waren. Am Himmel hingen dicke, finstere Wolken.

Par trat zurück. Es war beinahe Morgen. Sie waren die ganze Nacht hindurch gegangen.

»Liebliche Damson«, sagte der Maulwurf mit sanfter Stimme, als Par sich zu ihnen gesellte, »vor uns befindet sich eine Hängebrücke, die den Palasthof überquert. Wenn wir darüber gehen, sparen wir ziemlich viel Zeit. Wenn du und deine Freunde Wache halten wollt, werde ich mich vergewissern, daß die Schattenwesen uns nicht in die Quere kommen.«

Damson Rhee nickte. »Wo sollen wir auf dich warten?«

Sie kamen überein, daß Coll dort stehen bleiben sollte, wo er war. Par und Damson Rhee begaben sich mit dem Maulwurf zum anderen Ende des Ganges. Dort verließ sie der Maulwurf mit einem aufmunternden Lächeln, schlüpfte durch die Tür hindurch und war verschwunden.

Par und das Mädchen saßen nahe bei der Tür einander gegenüber. Er spähte durch den schwach erhellten Gang, um sich zu vergewissern, daß er Coll noch sehen konnte. Das rauhe Gesicht seines Bruders kam kurz in Sicht, und Par winkte ihm flüchtig zu. Coll winkte zurück.

Dann saßen sie in der Stille und warteten. Die Minuten gingen dahin, und der Maulwurf kehrte nicht zurück.

Par wurde langsam unbehaglich zumute. Er rückte näher an Damson Rhee heran. »Glaubst du, daß er in Ordnung ist?« fragte er flüsternd.

Sie nickte wortlos.

Par rutschte wieder weg. »Ich hasse dieses Warten.«

Sie gab keine Antwort. Sie hatte den Kopf an die Wand gelehnt und hielt die Augen geschlossen. Lange Zeit verharrte sie in dieser Stellung. Par hielt es für möglich, daß sie schlief. Als er noch einmal durch den Gang nach Coll sah, stellte er fest, daß Coll genau wie vorher dasaß, so daß er sich wieder Damson Rhee zuwandte. Ihre Augen waren jetzt offen und auf ihn gerichtet.

»Möchtest du, daß ich dir etwas aus meinem Leben erzähle, das sonst niemand weiß?« fragte sie leise.

Wortlos betrachtete er ihr Gesicht, ihre zarten, ebenmäßigen Züge, die jetzt so angespannt schienen, ihre smaragdfarbenen Augen und ihre blasse Haut, die teilweise von ihrem roten Haar verdeckt wurde. Sie kam ihm wunderschön und geheimnisvoll vor, und er wollte alles von ihr wissen. »Ja«, antwortete er.

Sie rutschte an ihn heran, bis sich ihre Schultern berührten. Sie warf ihm einen Blick zu und schaute dann weg. Er wartete.

»Wenn man jemand ein Geheimnis von sich selbst erzählt, ist es so, als gäbe man ihm damit einen Teil seiner selbst«, sagte sie. »Es ist ein Geschenk, aber es ist viel wertvoller als etwas, das man kaufen kann. Ich würde nicht sagen, daß ich vielen Menschen Dinge über mich erzähle. Ich nehme an, daß es daher kommt, daß ich nie viel mehr als mich selbst besessen habe, und deshalb möchte ich das wenige nicht auch noch weggeben.«

Sie neigte den Kopf. Ihr Haar fiel nach vorn und bedeckte ihr Gesicht gleich einem Schleier, weshalb er es nur undeutlich sehen konnte. »Aber dir möchte ich etwas geben. Du bist mir so vertraut. Von Anfang an, seit dem ersten Tag im Park. Vielleicht deshalb, weil wir beide über Magie verfügen – sie verbindet uns. Vielleicht habe ich deshalb das Gefühl, daß wir uns ähnlich sind. Ich weiß, daß deine Magie anders ist als meine, aber das macht nichts. Was zählt, ist, daß die Magie Teil unseres Lebens ist. Die Magie sind wir. Durch sie leben wir.«