Steff streckte die Hand aus, um ihn zurückzuhalten, stolperte und fiel. Wie von Sinnen schrie er: »Teel!«
Teel wirbelte herum. In der Hand hielt sie eine Eisenstange, auf deren glatter Oberfläche, wo sie die Winde getroffen hatte, schimmernde Kerben zu sehen waren. Morgan konnte das Ausmaß des Schadens jetzt deutlich erkennen. Teels Haar schimmerte golden im Licht. Unter ihrer Maske starrte sie sie an, einem Stück Leder, in dem es nur zwei dunkle Löcher gab.
Mit seinen großen Händen umfaßte Padishar Creel sein Breitschwert und hob die Klinge ins Licht. »Das war’s, Mädchen«, schrie er ihr entgegen.
Das Echo seiner Worte erfüllte die Höhle, und Steff kam torkelnd auf die Beine. »Padishar, warte!« heulte er auf.
Morgan warf sich ihm entgegen, bekam ihn am Arm zu fassen und riß ihn herum. »Nein, Steff, das ist nicht Teel! Nicht mehr!«
Steffs Augen glänzten vor Zorn und Angst.
Morgan sprach jetzt leise. »Hör mich an. Das ist ein Schattenwesen, Steff. Wie lange ist es her, seit du das Gesicht unter der Maske zum letzten Mal gesehen hast? Hast du es angeschaut? Es ist nicht mehr Teels Gesicht. Teel gibt es schon lange nicht mehr.«
Der Zorn und die Angst Steffs verwandelten sich in Entsetzen. »Morgan, nein! Ich würde es wissen! Ich würde es wissen, wenn es nicht mehr Teel wäre!«
»Steff, hör mir zu…«
Steff riß sich los, und Morgan packte ihn erneut. »Steff, schau dir an, was sie getan hat! Sie hat uns verraten!«
»Nein!« schrie der Zwerg und versetzte ihm einen Schlag.
Morgan sackte zusammen, die Härte des Schlages machte ihn benommen. Seine erste Reaktion war Überraschung; er hatte es nicht für möglich gehalten, daß Steff immer noch solche Kräfte besaß. Er stützte sich auf Hände und Knie und beobachtete, wie der Zwerg Padishar Creel nachrannte, während er ihm etwas zurief, das der Hochländer nicht verstehen konnte.
Steff hatte den großen Mann eingeholt, als er nur noch ein paar Schritte von Teel entfernt war. Der Zwerg warf sich von hinten auf Padishar Creel, packte den Arm, mit dem er das Schwert hielt, und drückte ihn nach unten. Außer sich vor Zorn schrie Padishar Creel auf und versuchte sich zu befreien, ohne Erfolg.
In dieser Verwirrung schlug Teel zu. Mit erhobener Eisenstange sprang sie sie wie eine Katze an. Die Eisenstange sauste auf sie nieder, und in wenigen Sekunden lagen Padishar Creel und Steff blutend auf dem Boden der Höhle.
Morgan kam taumelnd auf die Beine.
Ohne Hast ging sie auf ihn zu, und während sie sich ihm näherte, drängten sich ihm plötzlich alle Erinnerungen an sie auf. Er sah sie als kleines, verwahrlostes Mädchen, das er in Culhaven in der Küche von Großmütterchen Elise und Tantchen Jilt kennengelernt hatte, ihr honigfarbenes Haar, das unter den Falten ihrer Kapuze kaum sichtbar war, und ihr Gesicht, das unter der ledernen Maske verborgen war. Er sah, wie sie am Lagerfeuer den Gesprächen der kleinen Gruppe lauschte, die durch das Wolfsktaaggebirge marschiert war. Er sah, wie sie sich am Fuß der Drachenzähne, bevor sie aufbrachen, um den Geist von Allanon zu finden, an Steff ankuschelte – mißtrauisch und scheu.
Er verscheuchte die Bilder, zwang sich, sie so zu sehen, wie sie jetzt war, ein Wesen, das Padishar Creel und Steff niedergestreckt hatte; sie war zu schnell und zu stark, als daß sie das hätte sein können, was sie vorgab zu sein. Trotzdem fiel es ihm schwer zu glauben, daß sie ein Schattenwesen war, und noch schwerer, die Tatsache hinzunehmen, daß sie alle vollkommen getäuscht worden waren.
Er riß das Breitschwert hoch und wartete. Er mußte schnell sein. Er erinnerte sich an die Bestien in der Schlucht. Eisen hatte nicht ausgereicht, sie zu töten.
Teel kauerte sich zusammen, als sie sich ihm näherte. Der Blick, mit dem sie ihn bedachte, war hart und unmißverständlich. Morgan täuschte einen Scheinangriff vor, um in der gleichen Sekunde einen Schlag gegen die Beine des Mädchens zu führen. Sie wich dem Schlag mühelos aus. Er ließ das Schwert erneut niedergehen – einmal, zweimal. Sie parierte die Hiebe, und der Aufprall des Schwertes auf die Eisenstange fuhr ihm durch Mark und Bein. Sie kauerten einander gegenüber, hieben in Scheinattacken aufeinander ein und warteten darauf, daß der andere sich zu einer Unvorsichtigkeit würde hinreißen lassen.
Dann ließ er das Breitschwert in einer Reihe von Hieben auf die Eisenstange niedersausen, und die Klinge zerbrach. Er stürmte mit dem Stumpf auf die Stange los, erwischte sie mit dem Schwertknauf und entriß sie ihr. Stange und Schwert flogen in hohem Bogen in die Dunkelheit.
Im gleichen Augenblick warf sich Teel auf Morgan, und ihre Hände griffen nach seiner Kehle. Sie war unglaublich stark. Es blieb ihm nur ein Augenblick zu handeln, während er nach hinten fiel. Seine Hand faßte nach dem Dolch an seinem Gürtel, riß ihn heraus und rammte ihn in ihre Brust. Überrascht wich sie zurück. Er stieß mit den Beinen nach ihr, zog den Dolch aus seinem Stiefel, stieß ihn ihr in die Seite und schlitzte ihr Fleisch auf.
Sie erwischte ihn mit einem Schlag ihres Handrückens und traf ihn so hart, daß er das Gleichgewicht verlor. Mit einem erstickten Schrei ging er zu Boden; der Schlag hatte ihn so hart getroffen, daß ihm die Luft wegblieb. Sterne tanzten vor seinen Augen, aber schließlich gelang es ihm, sich aufzuraffen.
Teel hatte sich nicht von der Stelle gerührt; die Dolche ragten immer noch aus ihrem Körper. Sie streckte die Hand nach ihnen aus, riß sie heraus und warf sie zur Seite.
Sie weiß, daß ich ihr nichts anhaben kann, dachte er voller Verzweiflung. Sie weiß, daß ich nichts besitze, womit ich ihr Einhalt gebieten könnte.
Sie schien vollkommen unverletzt, als sie auf ihn zu- kam. Er konnte keine Regung hinter ihrer dunklen Maske erkennen, nichts in ihren Augen; er sah nur eine Leere, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Während er zur Seite wich, suchte er den Höhlenboden nach einer brauchbaren Waffe ab. Sein Blick fiel auf die Eisenstange, nach der er in seiner Verzweiflung sofort die Hand ausstreckte.
Teel schien das keineswegs zu stören. Durch ihren ganzen Körper schien eine Bewegung zu gehen, als ob das Wesen, das in ihr lebte, Kräfte sammelte.
Morgan wich zu der Erdspalte zurück. Konnte es ihm gelingen, das Wesen nahe genug zum Abgrund zu locken, um ihm dann einen Stoß zu versetzen? Konnte er es auf diese Weise töten? Er wußte es nicht. Alles, was er wußte, war, daß er der einzige war, der es aufhalten konnte, der verhindern konnte, daß es die Geächteten an die Föderation verriet. Wenn er versagte, würden sie alle sterben.
Aber ich bin nicht stark genug – nicht ohne die Zauberkraft!
Er war nur noch wenige Schritte vom Rand der Spalte entfernt. Teel verkürzte den Abstand zwischen ihnen mit schnellen Schritten. Er versuchte sie mit der Stange zu treffen, doch sie bekam sie zu fassen, entriß sie ihm und schleuderte sie weg.
Dann war sie auch schon auf ihm. Ihre Hände umklammerten seine Kehle, raubten ihm die Luft, erstickten ihn. Mit aller Kraft versuchte er sich loszureißen, aber sie war viel zu stark. Vor lauter Schmerz kniff er die Augen zusammen; gleichzeitig spürte er einen kupferartigen Geschmack im Mund. Plötzlich fiel etwas Schweres über ihn.
»Teel, nicht!« hörte er jemand schreien, mit einer fast unmenschlichen, von Schmerz gepeinigten Stimme.
Steff!
Die Hände gaben etwas nach, und er sah, daß Steff auf Teel lag, sie festhielt und nach hinten zerrte. Blut rann ihm über das Gesicht. Eine klaffende Schädelwunde entstellte ihn.
Morgans rechte Hand tastete nach seinem Gürtel und fand den Knauf des Schwertes von Leah.
Teel riß sich von Steff los. Zorn stach aus ihren Augen. Sie riß Steffs Dolch aus der Scheide und stieß ihn tief in seine Brust. Steff stürzte nach hinten.
Teel wandte sich um, um Morgan den Todesstoß zu versetzen, und während sie sich halb über ihn beugte, stieß er ihr die zerbrochene Schwertklinge in den Bauch.
Schreiend bäumte sie sich auf, so daß Morgan erschrak. Seine Hände hielten den Knauf des Schwertes fest umklammert. Dann geschah etwas sehr Seltsames. Das Schwert von Leah wurde warm und leuchtete. Er spürte, wie es sich regte und zum Leben erwachte.