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Der Gedanke an die Schattenwesen erinnerte ihn daran, in welcher Gefahr er sich befand. Er würde später noch Zeit genug finden, sich zu gratulieren, später, wenn Coll und er diesem Rattenloch entflohen waren.

In den steinernen Sockel des Marmorblocks, in dem das Schwert ruhte, waren Stufen eingelassen, und er machte sich daran hinaufzusteigen. Aber er hatte erst eine Stufe erklommen, als sich etwas aus der Wand hinter ihm löste. Er erstarrte.

Schattenwesen!

Aber er erkannte sofort, daß er sich getäuscht hatte. Es war kein Schattenwesen. Es war ein Mann, ganz in Schwarz gekleidet, in Mantel und Kapuze, die Abzeichen eines Wolfskopfes auf seiner Brust.

Pars Angst verringerte sich nicht, als er begriff, wen er vor sich hatte. Der Mann, der auf ihn zukam, war Felsen-Dall. Am Eingang des Kuppelbaus wartete ein ungeduldiger Coll. Er stand mit dem Rücken zur Wand, unweit der Tür, und ließ seine Blicke durch den Nebel schweifen. Nichts bewegte sich. Kein Laut drang an sein Ohr. Er war allein, so schien es; und doch fühlte er sich nicht allein. Das Licht der Dämmerung drang schwach durch die Baumwipfel.

Par ist bereits zu lange weg, dachte er. So viel Zeit darf er nicht brauchen.

Er warf einen schnellen Blick auf die schwarze Öffnung des Kuppelbaus. Noch fünf Minuten wollte er warten; dann wollte er selbst hineingehen. Felsen-Dall blieb ein Dutzend Schritte vor Par stehen, streckte wie beiläufig seine Hand aus und zog die Kapuze seines Mantels zurück. Sein Gesicht war unmaskiert, trotzdem warf das Halblicht des Kuppelbaus so viel Schatten darauf, daß es praktisch unkenntlich war. Aber Par hätte ihn jederzeit erkannt. Das eine und bisher einzige Zusammentreffen im »Blue Whisker« in jener Nacht vor vielen Wochen war nichts, was er jemals vergessen würde. Er hatte gehofft, daß sich diese Zusammenkunft nicht wiederholte; doch nun standen sie einander von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Felsen-Dall, Erster Sucher der Föderation, der Mann, der ihn durch ganz Callahorn verfolgt und ihm viele Male dicht auf den Fersen gewesen war, hatte ihn schließlich eingeholt.

Die Tür, durch die Par eingetreten war, stand weiterhin offen. Er machte sich zur Flucht bereit.

»Bleib, Par Ohmsford«, sagte der andere, als hätte er seine Gedanken gelesen. »Gibst du so schnell auf? Läßt du dir so leicht Angst einjagen?«

Par zögerte.

Felsen-Dall war ein großer, hochgewachsener Mann; sein Gesicht, das von einem roten Bart gerahmt wurde, schien, als wäre es aus Stein gemeißelt, so hart und bedrohlich wirkte es. Doch seine Stimme – und Par hatte sie ebenfalls nicht vergessen – war weich und unwiderstehlich.

»Solltest du dir nicht zuerst anhören, was ich zu sagen habe?« fuhr der große Mann fort. »Was kann es schon schaden? Ich warte hier schon geraume Zeit auf dich.«

Par starrte ihn an. »Du hast gewartet?«

»Gewiß. Du mußtest früher oder später hierherkommen, nachdem du dich für das Schwert von Shannara entschieden hattest. Du bist sicher hier, um es zu holen. Dann habe ich also recht daran getan zu warten, nicht wahr? Wir haben viel zu bereden.«

»Das glaube ich nicht.« Pars Gedanken überschlugen sich. »Du hast versucht, mich und Coll in Varfleet festzunehmen. Du hast meine Eltern in Shady Vale eingesperrt. Du bist seit Wochen hinter mir und meinen Gefährten her.«

Felsen-Dall verschränkte die Arme. Par bemerkte wieder, daß der linke Arm bis zum Ellbogen behandschuht war. »Wie wär’s, wenn ich hier stehe und du dort?« bot der große Mann an. »Auf diese Weise kannst du den Raum jederzeit verlassen. Ich werde dich nicht daran hindern.«

Par holte tief Luft und trat zurück. »Ich traue dir nicht.«

Der große Mann zuckte mit den Schultern. »Warum solltest du auch? Aber du willst doch das Schwert von Shannara, oder nicht? Wenn du es haben willst, mußt du zuvor mich anhören. Und danach kannst du es, wenn du willst, an dich nehmen. Ist das ein faires Angebot?«

Par spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. »Warum solltest du mir solch einen Handel anbieten, nachdem du nichts unversucht gelassen hast, was mich davon abhalten konnte, das Schwert von Shannara in meinen Besitz zu bringen?«

»Dich davon abhalten?« Der andere lachte, ein tiefes, angenehmes Lachen. »Par Ohmsford, hast du auch nur einmal daran gedacht, mich um das Schwert von Shannara zu bitten? Hast du jemals die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß ich es dir einfach geben könnte? Wäre das nicht einfacher gewesen, als sich durch die Stadt zu schleichen und zu versuchen, es wie ein ganz gemeiner Dieb zu stehlen?« Er schüttelte langsam den Kopf. »Es gibt so vieles, was du nicht weißt. Laß es mich dir erzäh- len.«

Par blickte sich unsicher um, überzeugt, daß dies ein Trick war, um ihn zur Unachtsamkeit zu verleiten. Der Kuppelbau war ein Irrgarten von Schatten. Par rieb heftig den Stein, den Damson Rhee ihm gegeben hatte, um seine Leuchtkraft zu vergrößern.

»Ah, glaubst du, daß ich jemand in der Dunkelheit verstecke, glaubst du das?« Felsen-Dall flüsterte. »Nun denn!« Er hob die behandschuhte Hand, machte eine schnelle Bewegung, und der Raum wurde von Licht durchflutet.

Par rang überrascht nach Luft und trat noch einen Schritt zurück.

»Glaubst du, Par Ohmsford, daß du der einzige bist, der über Magie gebietet?« fragte Felsen-Dall ruhig. »Du siehst, du bist nicht der einzige. Tatsache ist, daß ich über eine Magie verfüge, die viel größer ist als deine, größer vielleicht als die der alten Druiden. Außerdem gibt es noch andere wie mich. In den Vier Ländern gibt es viele, die die Magie der alten Welt besitzen, aus einer Welt vor den Vier Ländern und den Großen Kriegen und selbst vor den Menschen.«

Wortlos starrte Par ihn an.

»Willst du mir jetzt zuhören? Solange du noch kannst?«

Par schüttelte den Kopf, nicht als Antwort auf die Frage, die ihm gestellt worden war, sondern aus Unglauben. »Du bist ein Sucher«, sagte er schließlich. »Du verfolgst die, die Magie anwenden. Jede Anwendung, auch durch euch, ist verboten.«

Felsen-Dall lächelte. »So hat es die Föderation bestimmt. Aber hat dich das davon abgehalten, deine Magie zu benutzen, Par? Oder deinen Onkel, Walker Boh? Oder irgendeinen anderen, der über sie verfügt? Es ist in der Tat ein lächerlicher Erlaß. Die Föderation träumt von Eroberung und der Errichtung eines Reiches, von der Vereinigung der Länder und der Rassen unter ihrer Herrschaft. Der Koalitionsrat entwirft und plant und glaubt, er sei auserwählt zu regieren, weil es den Rat der Rassen und die Druiden nicht mehr gibt. Er hält das Verschwinden der Elfen für einen Segen. Er bemächtigt sich des Südlandes, bedroht Callahorn, bis Callahorn sich unterwirft, und vernichtet die eigensinnigen Zwerge. Er wertet all dies als Beweis für sein Recht auf die Herrschaft. Er hält sich selbst für allwissend. In einem letzten Akt der Arroganz ächtet er die Magie. Er macht sich nicht ein einziges Mal die Mühe zu fragen, welchen Zweck die Magie hat – er mißachtet sie einfach!… Tatsache ist, daß die Föderation aus Narren besteht, die nichts von der Bedeutung der Magie wissen. Es war die Magie, die unsere Welt erschaffen hat, die Welt, in der sich die Föderation allen anderen überlegen glaubt. Aus der Magie wird alles geboren, sie macht alles möglich. Und die Föderation sollte eine solche Macht behandeln, als wäre sie bedeutungslos?« Er richtete sich auf, reckte sich dem Licht, das er gerufen hatte, entgegen. »Sieh mich an, Par Ohmsford«, flüsterte er.

Sein Körper begann zu leuchten, um sich sodann aufzulösen. Par verfolgte das Schauspiel mit Entsetzen. Eine dunkle Gestalt erhob sich in das Halblicht, in ihren Augen loderte ein hochrotes Feuer. »Siehst du?« flüsterte Felsen-Dalls körperlose Stimme mit einer Spur von Genugtuung. »Ich bin genau das, was die Föderation vernichten würde, und sie hat nicht die geringste Ahnung davon!«