Par atmete tief ein. »Cogline war schon zu Zeiten Brin Ohmsfords ein alter Mann. Das war vor dreihundert Jahren.«
Ganz unerwartet lachte der andere. »Ein alter Mann! Was weißt du schon von alten Männern, Par Ohmsford? Tatsache ist, daß du keinen blassen Schimmer hast!« Er lachte und schüttelte dann den Kopf. »Hör zu. Allanon hat fünfhundert Jahre gelebt, bevor er starb! Das stellst du doch nicht in Frage, oder? Ich glaube nicht, da du ja die Geschichte so bereitwillig erzählst! Was ist also so erstaunlich daran, daß ich seit dreihundert Jahren lebe?« Er hielt inne, und der Ausdruck in seinen Augen war überraschenderweise schelmisch. »Meine Güte, was hättest du erst gesagt, wenn ich dir erzählt hätte, daß ich tatsächlich schon sehr viel länger lebe?« Mit einer Handbewegung tat er die Ant-wort ab. »Nein, laß nur, bemüh dich nicht. Beantworte mir statt dessen folgende Frage. Was weißt du über mich? Über den Cogline aus deinen Geschichten? Sag’s mir.«
Verwirrt schüttelte Par den Kopf. »Daß er ein Einsiedler war und mit seiner Enkelin Kimber Boh im Wildewald gelebt hat.
Daß meine Vorfahrin Brin Ohmsford und ihr Gefährte Rone Leah ihn gefunden haben, als sie…«
»Ja, ja, aber was weißt du über ihn? Denk doch darüber nach, wie du mich jetzt kennengelernt hast.«
Par hob die Schultern. »Daß er Pulver benutzte, das explodierte. Daß er sich mit den alten Wissenschaften beschäftigte.« Er erinnerte sich jetzt an die Einzelheiten aus den Geschichten über Cogline, und während sie ihm durch den Sinn gingen, mußte er zugeben, daß die Behauptungen des alten Mannes vielleicht doch nicht so weit hergeholt waren. »Er verfügte über die verschiedensten Zauberkräfte, über all die, die die Druiden gehabt hatten. Du meine Güte! Wenn du Cogline bist, mußt du immer noch über die Zauberkräfte verfügen. Stimmt’s? Ist deine Magie der meinen ähnlich?«
Coll blickte plötzlich sorgenvoll drein. »Par!«
»Wie deine?« fragte der alte Mann schnell. »Magie wie im Wunschlied? Nie und nimmer! Keinesfalls so unberechenbar wie die! Daran hat die Magie der Druiden und Elfen schon immer gekrankt – daß sie so unberechenbar war! Die Zauberkraft, über die ich verfüge, basiert auf Wissenschaften und wurde in jahrelanger Praxis erprobt. Sie wirkt nicht aus eigenem Antrieb; sie entwickelt sich nicht wie lebendige Materie!« Mit einem grimmigen Lächeln auf seinem alten Gesicht hielt er inne. »Aber andererseits muß ich zugeben, daß meine Zauberkraft nicht singen kann.«
»Bist du wirklich Cogline?« fragte Par leise, wobei seine Stimme sein Staunen verriet.
»Ja«, flüsterte der alte Mann. »Ja, Par.« Er drehte sich geschwind zu Coll um, der im Begriff war, ihn zu unterbrechen, und legte einen schmalen, knochigen Finger auf seine Lippen. »Pst, junger Ohmsford, ich weiß, daß du mir immer noch nicht glaubst, und dein Bruder auch nicht, aber hört mir einen Augenblick zu. Ihr seid Kinder aus dem Elfenhaus von Shannara. Es waren ihrer nicht viele, und immer wurden hohe Erwartungen an sie gestellt. Ich glaube, man wird euch das Gleiche abverlangen. Vielleicht sogar noch mehr. Es ist mir nicht gestattet, in die Zukunft zu schauen. Wie ich euch schon sagte, bin ich nur ein Bote, und nicht einmal ein besonders guter. Ein unfreiwilliger Bote, um die Wahrheit zu sagen. Aber ich bin der einzige, der Allanon geblieben ist.«
»Aber warum gerade du?« warf Par ein, und sein schmales Gesicht hatte jetzt einen sorgenvollen Ausdruck.
Der alte Mann zögerte. Es herrschte eine Totenstille, als er zu sprechen begann. »Weil ich irgendwann einmal ein Druide war, aber das ist so lange her, daß ich mich kaum noch daran erinnere. Ich studierte die Gesetze der Magie und die Gesetze der alten Wissenschaften und entschied mich für die letzteren. Ich habe damit jeglichen Anspruch auf die ersteren aufgegeben. Allanon kannte mich, oder besser gesagt, er hatte von mir gehört, und erinnerte sich an mich. Nein, wartet. Ich habe ein bißchen übertrieben, als ich sagte, ich sei ein Druide gewesen. Das stimmt nicht, denn ich war lediglich ein Schüler. Aber Allanon hat sich trotzdem an mich erinnert. Als er mich aufsuchte, sprach er zu mir von Druide zu Druide, obwohl ich zugeben muß, daß er nicht viel gesagt hat. Er hat niemanden außer mir, der das, was getan werden muß, tun könnte, das heißt, dich und die anderen aufzusuchen und sie von der Richtigkeit der Träume zu überzeugen. Ihr habt die Träume inzwischen alle geträumt – Wren und Walker Boh und du. Ihr habt alle erfahren, welche Gefahren die Zukunft in sich birgt. Aber keiner hat reagiert. Deshalb hat er mich geschickt.«
Mit einem Blinzeln versuchte er die Erinnerung zu verscheuchen. »Ich war einst ein Druide, und ich übe die Magie der Druiden auch heute noch aus. Keiner hat davon gewußt. Weder meine Enkelin Kimber noch eure Vorfahren, überhaupt niemand. Wißt ihr, ich habe viele verschiedene Leben gelebt. Der Cogline, der Brin Ohmsford zum Maelmord begleitet hat, war Cogline der Einsiedler, ein halber Wahnsinniger und ein halber Krüppel, der immer seine magischen Pulver mit sich herumtrug, in die allerhand seltsames Zeug gemischt war. Das war ich damals; das war der Mensch, zu dem ich mich entwickelt hatte. Ich habe danach jahrelang gebraucht, noch lange nach dem Tod von Kimber, bis ich wieder in der Lage war, wieder wie ich selbst zu handeln und zu sprechen.«
Er seufzte. »Der Druidenschlaf hat mich am Leben erhalten. Ich kannte das Geheimnis; ich hatte es mir angeeignet, bevor ich die Druiden verließ. Es gab oftmals Zeiten, in denen ich keinen Gebrauch davon machen wollte, sondern bereit war, mich dem Tod auszuliefern, anstatt mich ans Leben zu klammern. Aber irgend etwas hat mich davon abgehalten, und wenn ich jetzt so darüber nachdenke, könnte es sehr wohl Allanon gewesen sein, der aus seinem Grab heraus dafür gesorgt hat, daß die Druiden nach seinem Tod wenigstens einen Sprecher hatten.«
Er bemerkte den fragenden Ausdruck in Pars Augen, kannte die Frage, noch bevor sie gestellt wurde, und schüttelte schnell den Kopf. »Nein, nein, nicht ich. Ich bin nicht der Sprecher, den er braucht! Mir bleibt kaum genügend Zeit, um die Botschaft, die er mir aufgetragen hat, weiterzugeben. Allanon weiß das. Er würde mich nicht fragen, ob ich ein Leben führen will, das ich einst verschmäht habe. Er wird einen anderen fragen.«
»Mich?« fragte Par sofort.
Der alte Mann schwieg. »Vielleicht. Warum fragst du ihn nicht selbst?«
Keiner sprach ein Wort, als sie in der Dunkelheit um das Feuer herum kauerten. Die Schreie der Nachtvögel hallten schwach über das Wasser des Regenbogensees; es schien Par, als sei dieser gespenstische Klang irgendwie Ausdruck seiner eigenen Unsicherheit. »Ich möchte ihn fragen«, sagte er schließlich. »Ich glaube sogar, daß ich ihn fragen muß.«
Der alte Mann spitzte den Mund. »Dann mußt du es tun.«
Coll machte Anstalten, etwas zu sagen, besann sich aber dann eines Besseren. »Die ganze Angelegenheit will wohl bedacht sein«, sagte er schließlich.
»Dafür bleibt wenig Zeit«, brummte der alte Mann.
»Dann sollten wir die Zeit, die uns bleibt, nicht unnütz vergeuden«, erwiderte Coll sachlich.
Par schaute seinen Bruder einen Augenblick an, dann nickte er. »Coll hat recht. Ich muß darüber nachdenken.«
Der Alte zuckte die Schultern, gab auf diese Weise zu erkennen, daß er seine Aufgabe erledigt hatte, und erhob sich. »Ich habe dir die Nachricht, die mir aufgetragen wurde, überbracht. Deshalb werde ich mich jetzt wieder auf den Weg machen. Ich muß noch andere aufsuchen.«
Überrascht erhoben sich Par und Coll ebenfalls.
»Du verläßt uns jetzt, heute nacht noch?« fragte Par rasch. Irgendwie hatte er damit gerechnet, daß der alte Mann bei ihnen bleiben werde, um weiterhin zu versuchen, ihn vom Sinn der Träume zu überzeugen.
»Ich halte es für das Beste. Je eher ich meine Reise fortsetze, desto früher wird sie beendet sein. Ich habe dir ja gesagt, daß ich dich zuerst aufgesucht habe.«
»Aber wie willst du Wren und Walker finden?« wollte Coll wissen.