Выбрать главу

»Meine Güte, ich habe keine Ahnung, was wir tun sollen«, antwortete Coll. »Ich weiß nur, daß es viele unbeantwortete Fragen gibt, und ich glaube nicht, daß wir uns für irgend etwas entscheiden sollten, solange wir nicht wenigstens einige Antworten kennen.«

Par nickte gelassen. »Du meinst wohl, nicht vor dem neuen Mond.«

»Bis dahin sind es noch mehr als drei Wochen, wie du wohl weißt.«

Pars Augen verengten sich. »Das ist nicht so viel Zeit, wie du meinst. Wie sollen wir denn in dieser kurzen Zeit alle Fragen beantworten?«

Coll sah ihn mit großen Augen an. »Weißt du, daß du unmöglich bist?« Er drehte sich um und ging vom Ufer zu ihrem Lagerplatz zurück, wo sich immer noch Decken und Kochgeräte befanden, und fing an, sie zum Boot hinunterzutragen. Er würdigte Par keines Blickes.

Par stand schweigend da und beobachtete seinen Bruder. Er mußte daran denken, wie Coll ihn während eines Ausflugs aus den Stromschnellen des Rappahalladran gezogen und somit vor dem Ertrinken bewahrt hatte. Er war im Fluß untergegangen, und Coll war gezwungen gewesen, nach ihm zu tauchen. Weil er von Fieberanfällen geschüttelt wurde, hatte ihn Coll anschließend nach Hause getragen. Es schien, als hätte Coll sich schon immer um ihn gekümmert. Plötzlich fragte er sich, warum dem so war, da doch er derjenige war, der über Zauberkräfte verfügte.

Coll hatte das Boot beladen, und Par ging auf ihn zu. »Es tut mir leid«, sagte er.

Coll schaute ihn einen Augenblick ernst an, dann ging ein Grinsen über sein Gesicht. »Nein, das ist nicht wahr.

Das sagst du nur so.«

Par mußte ebenfalls grinsen. »Nein, das tu’ ich nicht.«

»Das tust du doch. Du willst mir nur Sand in die Augen streuen, damit du, wenn wir draußen auf dem See sind und ich keine Möglichkeit habe, meine eigenen Wege zu gehen, wieder mit deinen verflixten Reden anfangen kannst.« Coll lachte jetzt lauthals los.

Par versuchte möglichst gekränkt auszusehen. »Also gut, du hast recht. Es tut mir nicht leid.«

»Ich wußte es!« Coll triumphierte.

»Aber du liegst falsch, was den Grund meiner Entschuldigung betrifft. Ich habe lediglich versucht, die Schuldgefühle loszuwerden, die ich als älterer Bruder immer gehabt habe.«

»Mach dir nichts draus!« Coll hielt sich den Bauch. »Du warst schon immer ein schrecklicher älterer Bruder.«

Par schubste ihn, und Coll schubste zurück, und einen Augenblick waren all ihre Meinungsverschiedenheiten vergessen. Sie lachten und warfen einen letzten Blick auf den Lagerplatz, bevor sie ihr Boot vom Ufer abstießen, um, als sie tieferes Wasser erreichten, hineinzuklettern. Coll nahm wortlos die Paddel in die Hand und begann zu rudern.

Sie ruderten am Ufer entlang in westlicher Richtung, und während sie die wärmende Sonne auf ihrer Haut genossen, lauschten sie dem Vogelgezwitscher, das aus dem Schilf und den Bäumen zu ihnen herüberdrang. Sie saßen eine Zeitlang schweigend nebeneinander, glücklich über die neugewonnene Nähe zwischen ihnen und sorgsam darauf bedacht, einen neuen Streit zu vermeiden.

Dennoch ertappte sich Par dabei, wie er sich in Gedanken mit der Sache beschäftigte, und er war sicher, daß es Coll ebenso erging. In einem Punkt mußte er seinem Bruder recht geben – es gab viele unbeantwortete Fragen. Als er sich die Ereignisse des vergangenen Abends noch einmal durch den Kopf gehen ließ, wünschte er, er hätte dem alten Mann mehr Fragen gestellt. Wußte der alte Mann beispielsweise, wer der Fremde war, der sie in Varfleet gerettet hatte? Der alte Mann wußte jedenfalls, daß sie in Schwierigkeiten geraten waren, und mußte demzufolge auch wissen, wie sie entkommen waren. Es war ihm gelungen, sie aufzuspüren, zuerst in Varfleet, dann auf dem Mermidon, und er hatte die Waldfrau verscheucht, und zwar scheinbar ohne große Mühe. Er verfügte über irgendeine Kraft, vielleicht über die Magie der Druiden, vielleicht über die Wissenschaft der alten Welt, aber er hatte weder ihren Namen noch ihre Wirkung preisgegeben. Und in welcher Beziehung stand er zu Allanon? Oder hatte er nur eine Behauptung aufgestellt, die jeder Grundlage entbehrte? Und warum hatte er so schnell aufgegeben, als Par erklärte, er müsse es sich noch überlegen, ob er Allanon am Hades-horn treffen wolle? Hätte er nicht vielmehr versuchen müssen, Par zu diesem Treffen zu überreden?

Die Frage jedoch, die Par am meisten beunruhigte, konnte er unmöglich mit Coll besprechen, denn sie betraf Coll selbst. Aus seinen Träumen wußte Par, daß er gebraucht wurde, genauso wie seine Base Wren und sein Onkel Walker Boh. Der alte Mann hatte bestätigt, daß Par, Wren und Walker Boh gerufen waren.

Warum hatte niemand von Coll gesprochen?

Diese Frage konnte er beim besten Willen nicht beantworten. Zuerst hatte er vermutet, daß es damit zusammenhing, daß er über die Zauberkraft verfügte und Coll nicht, daß der Ruf in irgendeiner Weise mit dem Wunschlied zu tun hatte. Aber warum wurde dann Wren gebraucht? Auch Wren besaß keine Zauberkraft. Mit Walker Boh war es natürlich etwas anderes, denn es gab viele Gerüchte, die besagten, daß er etwas über Magie wußte, das die anderen nicht wußten. Aber nicht Wren. Und auch nicht Coll. Trotzdem war Wren ausdrücklich genannt worden und Coll nicht.

Diese eine Frage trug mehr als alle anderen zu seiner Unentschlossenheit bei. Er wollte den Grund der Träume erfahren; falls der alte Mann die Wahrheit über Allanon gesprochen hatte, wollte er wissen, was der Druide zu sagen hatte. Er wollte jedoch nichts damit zu tun haben, wenn er sich deswegen von Coll trennen mußte. Coll war ihm mehr als ein Bruder; er war sein bester Freund, sein engster Vertrauter und Gefährte, im Grunde genommen sein anderes Selbst. Par hatte nicht die Absicht, sich auf eine Sache einzulassen, bei der nicht beide willkommen waren.

Andererseits hatte der alte Mann Coll nicht verboten mitzukommen. Auch die Träume hatten dies nicht getan. Weder der alte Mann noch die Träume hatten davon abgeraten. Sie hatten ihn schlichtweg unbeachtet gelassen.

Aber warum?

Der Morgen verstrich nur langsam, und plötzlich kam Wind auf. Die Brüder benutzten ihre Zeltplane und eines der Ruder als Segel und Mast, und schon bald segelten sie über das schäumende Wasser des Regenbogensees. Mehr als einmal wären sie fast gekentert, wären sie nicht jedesmal, wenn der Wind sich plötzlich drehte, in Alarmbereitschaft gewesen, und hätten sie nicht jedesmal mit ihrem ganzen Gewicht dagegengehalten, wenn das Boot umzukippen drohte. Sie nahmen Kurs nach Südwest, und bereits am frühen Nachmittag erreichten sie die Mündung des Rappahalladran.

Dort brachten sie das Boot in einer kleinen Bucht an Land, bedeckten es mit Schilfgras und Zweigen und machten sich mit Decken und Kochgerät auf den Weg flußaufwärts in Richtung Dulnwald. Es schien ihnen jedoch schon bald vorteilhafter, weil zeitsparender, den Fluß zu verlassen und landeinwärts in das Hochland von Leah vorzudringen. Sie hatten seit dem Vorabend nicht mehr über ihr Reiseziel gesprochen, obwohl sie stillschweigend übereingekommen waren, das Thema später zu erörtern. Sie hatten es natürlich nicht erörtert. Keiner von beiden hatte das Thema zur Sprache gebracht, weder Coll, weil sie in die Richtung gingen, in die er sowieso gehen wollte, noch Par, denn Coll hatte recht, wenn er sagte, daß eine Reise zurück nach Callahorn wohl überlegt sein wolle.

Merkwürdigerweise hatten sie, obwohl sie seit dem frühen Morgen weder über die Träume noch den alten Mann gesprochen hatten, unabhängig voneinander begonnen, ihre jeweiligen Standpunkte zu überdenken und sich einander anzunähern – insgeheim räumten sie ein, daß der andere vielleicht doch nicht so unrecht hatte.

Als sie schließlich wieder anfingen, die Angelegenheit zu besprechen, konnten sie dies ohne Streit tun. Es war inzwischen Nachmittag geworden. Eine hügelige Landschaft breitete sich vor ihnen aus, ein Teppich aus Gras und wilden Blumen, mit breitblättrigen Bäumen und Buschwerk. Der Nebel, der das Hochland das ganze Jahr über einhüllte, hatte sich vor dem hellen Sonnenlicht zurückgezogen und hing jetzt gleich einzelnen Wattebäuschen an den Spitzen der Bergkämme und Felsen.