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Die Brüder schwiegen. Par dachte an seinen Onkel und erinnerte sich an die Geschichten über Walker Boh, die man sich hinter vorgehaltener Hand erzählte. Er war ein selbsternannter Gelehrter des Lebens, der behauptete, Visionen zu haben; er blieb dabei, daß er Dinge sehen und spüren konnte, die andere nicht sehen und spüren konnten. Es gab Gerüchte, die besagten, daß er eine unbekannte Art von Zauberkraft besaß. Irgendwann hatte er das Vale verlassen und war ins Ostland gezogen. Das war vor fast zehn Jahren gewesen. Obwohl Par damals noch ein Kind gewesen war, erinnerte er sich gut daran.

Plötzlich räusperte sich Coll, rutschte nach vorn und schüttelte den Kopf. Par war sicher, daß sein Bruder Morgan erklären würde, wie lächerlich seine Idee sei, doch statt dessen fragte er: »Und wie finden wir Walker?«

In einem kurzen Augenblick der Verwunderung sah Par zu Morgan und Morgan zu Par. Beide hatten erwartet, daß Coll sich einem solch unerhörten Plan widersetzen und ihn als tollkühn abtun würde. Aber damit hatten sie nicht gerechnet.

Coll bemerkte die Blicke der beiden und sagte: »An eurer Stelle würde ich meine Gedanken nicht laut aussprechen. Keiner von euch kennt mich so gut, wie er mich zu kennen glaubt. Wer gibt mir also eine Antwort auf meine Frage?«

Morgan unterdrückte schnell ein Schuldgefühl. »Zuerst gehen wir nach Culhaven. Ich habe dort einen Freund, der uns sicher sagen kann, wo Walker sich aufhält.«

»Culhaven?« fragte Coll mißbilligend. »Culhaven ist föderationsbesetztes Land.«

»Aber trotzdem sind wir dort sicher«, beharrte Morgan. »Die Föderation sucht dort ganz bestimmt nicht nach euch, und wir halten uns ja höchstens einen oder zwei Tage dortauf. Wir werden uns sowieso nicht allzu oft in der Öffentlichkeit zeigen.«

»Und unsere Familien? Sie werden sich bestimmt Sorgen um uns machen.«

»Meine nicht. Mein Vater ist daran gewöhnt, daß er mich wochenlang nicht zu Gesicht bekommt. Er ist davon überzeugt, daß ich unzuverlässig bin. Und für Jaralan und Mirianna ist es besser, wenn sie nicht wissen, wo ihr seid. Ganz zweifellos machen sie sich auch so schon genug Sorgen.«

»Was ist mit Wren?« fragte Par.

Morgan schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie wir Wren finden können. Wenn sie immer noch bei den Fahrenden ist, kann sie überall und nirgends sein.« Er hielt inne. »Außerdem weiß ich nicht, welche Hilfe Wren für uns sein könnte. Sie war ein kleines Mädchen, als sie das Vale verließ, Par. Uns bleibt keine Zeit, beide zu finden. Walker Boh scheint mir da vielversprechender.«

Par nickte langsam. Mit unsicherem Blick blickte er Coll an, und Coll gab seinen Blick zurück. »Was meinst du?«

Coll seufzte. »Ich meine, wir hätten in Shady Vale bleiben sollen. Ich glaube, wir hätten im Bett bleiben sollen.«

»Ach komm, Coll Ohmsford!« rief Morgan scherzhaft aus. »Denk an das Abenteuer! Ich verspreche, daß ich auf dich aufpasse.«

Coll sah Par an. »Muß ich mich jetzt sicher fühlen?«

Par atmete tief ein. »Ich bin dafür, wir gehen.«

Coll warf ihm einen eindringlichen Blick zu und nickte. »Also gut, was haben wir schon zu verlieren?«

Die Sache war also entschieden. Wenn er später daran zurückdachte, wußte er, daß er im Grunde genommen nicht überrascht war. Schließlich war alles eine Frage der Entscheidung, und egal, wie man es sah, die anderen Möglichkeiten boten wenig, das für sie sprach.

Den nächsten Morgen verbrachten sie damit, Vorräte aus der Vorratskammer für die Reise zusammenzupacken. Die Brüder fanden Waffen, Decken, Mäntel und Ersatzkleidung, die ihnen zum Teil ganz gut paßte. Sie packten gepökeltes Fleisch, Gemüse und Obst sowie Käse und Butter ein, des weiteren Kochgeräte und Medikamente. Sie versorgten sich mit allem, was sie brauchten, da in der Hütte alles reichlich vorhanden war. Gegen Mittag waren sie soweit, daß sie sich auf den Weg machen konnten.

Als sie das Haus verließen und die Tür hinter sich verriegelten, traten sie in einen grauen, wolkenverhangenen Tag hinaus; der Regen war in ein Nieseln übergegangen, der Boden unter ihren Füßen nicht mehr fest und staubig, sondern feucht und nachgiebig wie ein Schwamm. Sie machten sich wieder auf den Weg zum Regenbogensee, den sie vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen hofften. Morgans Plan für die erste Etappe der Reise war einfach. Sie würden diesmal mit dem Boot, das die Brüder an der Mündung des Rappahalladran zurückgelassen hatten, am südlichen Ufer entlangsegeln und zwar in ausreichender Entfernung vom Tiefland von Clete, den Schwarzen Eichen und dem Nebelsumpf, den Gebieten, die Gefahren bargen, denen man am besten aus dem Weg ging. Am gegenüberliegenden Seeufer wollten sie den Silberfluß erreichen und seinem Lauf bis nach Culhaven folgen.

Der Plan war gut, wenn auch nicht problemlos. Morgan hätte es vorgezogen, den Regenbogensee im Schutz der Dunkelheit zu überqueren, mit dem Mond und den Sternen als Wegweiser. Aber als sich der Tag dem Ende zuneigte und der See in Sicht kam, zeigte es sich, daß die Nacht ohne Mond und Sterne bleiben und ihnen demzufolge kein Licht den Weg weisen würde. Falls sie versuchten, den See unter diesen Bedingungen zu überqueren, mußten sie sich darauf gefaßt machen, daß sie zu weit nach Süden abtrieben und schließlich doch noch den Gefahren in die Arme liefen, die sie zu umgehen gehofft hatten.

Sie beschlossen deshalb, am Ufer zu bleiben. Nachdem sie sich vergewissert hatten, daß ihr Boot immer noch seetüchtig war, verbrachten sie ihre erste Nacht auf einem kalten, durchnäßten Lagerplatz in der Nähe des Seeufers und träumten von angenehmeren Zeiten. Der Morgen brachte einen gewissen Wetterumschwung. Es hörte auf zu regnen und wurde wärmer, doch die Wolken und der vom See aufsteigende Nebel hüllten den See von einem Ende bis zum anderen völlig ein.

Unsicher schauten Par und Coll sich um.

»Er wird sich verziehen«, versicherte ihnen ein ungeduldiger Morgan.

Sie stießen das Boot ins Wasser und ruderten so lange, bis sie im aufkommenden Wind ihr Behelfssegel hissen konnten. Die Wolken stiegen in die Höhe, und der Himmel klärte ein wenig auf, aber der Nebel blieb auch weiterhin wie Schafswolle auf der Wasseroberfläche liegen und deckte alles mit einem undurchdringlichen Schleier zu. Selbst der Mittag und der Nachmittag brachten keine Veränderung, und schließlich mußte sogar Morgan zugeben, daß er jede Orientierung verloren hatte.

Beim Anbruch der Dunkelheit befanden sie sich immer noch auf dem See, und schon bald war die Nacht um sie herum kohlrabenschwarz. Der Wind legte sich, und das Boot schaukelte in der Stille. Sie beschlossen zu essen, nicht etwa, weil sie besonders hungrig waren, sondern weil sie essen mußten. Danach versuchten sie abwechselnd zu schlafen.

»Erinnerst du dich an die Geschichten von Shea Ohms-ford und an das Wesen, das im Nebelsumpf hauste?« flüsterte Coll Par irgendwann zu. »Ich wäre keineswegs überrascht, wenn wir heute nacht herausfinden würden, ob das alles wahr war!«

Die lautlose Nacht, der ein bevorstehendes Unheil anzuhaften schien, verstrich nur langsam. Sie verging jedoch ohne Zwischenfälle, und am Morgen hob sich der Nebel, der Himmel hellte sich auf, und die Freunde stellten erfreut fest, daß sie sich sicher in der Mitte des Sees befanden und nur die Spitze ihres Bootes nach Norden wies. Erleichtert neckten sie sich gegenseitig ob ihrer Angst, drehten das Boot nach Osten und wechselten sich beim Rudern ab, während sie auf eine Brise warteten. Schon bald verzog sich der Nebel vollständig, die Wolken rissen auf, und sie sichteten das Südufer des Regenbogensees. Gegen Mittag erhob sich eine Brise aus nordöstlicher Richtung, so daß sie ihre Ruder verstauen und Segel setzen konnten.

Die Zeit verstrich, und das Boot segelte nach Osten. Das Tageslicht wich bereits der hereinbrechenden Dunkelheit, als sie schließlich das andere Seeufer erreichten und ihr Boot in einer baumgeschützten Bucht in der Nähe der Mündung des Silberflusses an Land zogen. Sie verbargen das Boot im Schilf, befestigten es sorgfältig mit Tauen und machten sich auf den Weg landeinwärts. Die Sonne war jetzt beinahe untergegangen, und der Himmel nahm eine rosarote Farbe an, während sich im schwächer werdenden Licht eine neue Mischung aus tiefhängenden Wolken und Nebelschwaden abzeichnete. Es war immer noch ruhig im Wald. Sie hörten, wie der Fluß träge an seine Ufer schwappte. Sie fühlten sich von Schatten umgeben, die Bäume drängten sich scheinbar enger aneinander, und das Licht wurde schwächer und schwächer. Bereits nach kurzer Zeit hatte die Dunkelheit sie vollständig eingehüllt.