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Die Häuser sahen mit jedem Schritt verkommener aus. Der Weg war seit ewigen Zeiten nicht mehr hergerichtet worden und bestand aus Löchern, die mit Abfällen und Steinen gefüllt waren. Die Frauen, die ihren alltäglichen Arbeiten nachgingen, warfen den Fremden, die an ihnen vorbeigingen, argwöhnische Blicke zu, aus denen Mißtrauen und Angst sprach.

»Culhaven, die schönste Stadt im ganzen Ostland, das Herz und die Seele des Zwergenvolkes«, sagte Morgan leise. »Ich kenne die Geschichten. Culhaven galt einst als Heiligtum, als Stätte der feinen Lebensart, als Wahrzeichen dessen, was durch Leistung erarbeitet wird.«

Einige Kinder liefen auf sie zu und bettelten um Geld. Freundlich schüttelte Morgan den Kopf, strich dem einen oder anderen übers Haar und ging weiter.

Sie bogen in eine Gasse ein, die zu einem Bach hinunterführte, der durch Müll verstopft war. Die an seinen Ufern hin- und herlaufenden Kinder stocherten mit ihren Stöcken im vorbeitreibenden Unrat. Ein Übergang brachte sie auf die andere Seite. Alles um sie herum verströmte einen fauligen Geruch.

»Wo sind die Männer?« fragte Par.

Morgan sah ihn an. »Die glücklichen unter ihnen sind tot. Die anderen sind in den Minen oder Arbeitslagern. Aus diesem Grund sieht hier alles so aus, wie es aussieht. In dieser Stadt gibt es nur noch Kinder, alte Leute und ein paar Frauen.« Er blieb stehen. »Und so ist es hier seit fünfzig Jahren. Dafür hat die Föderation gesorgt.«

Er führte sie durch eine enge Gasse zu einer Reihe von Hütten, die einen sehr viel gepflegteren Eindruck machten. Diese Heime waren frisch gestrichen, die Gärten und Rasen mustergültig. Hier war alles hell und neu und sauber.

Morgan führte sie eine Böschung hinauf zu einem kleinen Park, wo sie sich vorsichtig einem kleinen Tannenwäldchen näherten. »Seht ihr die dort?« fragte er und deutete auf die wenigen gepflegten Hütten. Par und Coll nick-ten. »Dort leben die hier stationierten Föderationssoldaten und Beamten. Die jüngeren Zwergenfrauen müssen für sie arbeiten. Die meisten müssen sogar mit ihnen leben.« Er warf ihnen einen vielsagenden Blick zu.

Sie verließen den Park und gingen einen Abhang hinunter, der zur Mitte der Ansiedlung führte. Läden und Geschäfte verdrängten jetzt die Häuser, und Fußgänger füllten die Straßen. Die Zwerge, die sie hier zu Gesicht bekamen, waren damit beschäftigt, zu kaufen und zu verkaufen, aber es waren nur wenige und auch hier meist alte. Die Straßen waren mit Fremden bevölkert, die hier Handel betrieben. Und die Soldaten der Föderation waren allgegenwärtig.

Morgan drängte die Brüder weiter, dorthin, wo sie unbemerkt bleiben würden; er zeigte ihnen alles Mögliche, und seine Stimme war bitter. »Dort drüben, das ist die Silberbörse. Man zwingt die Zwerge, das Silber aus den Minen zu fördern, wobei sie die meiste Zeit unter Tage verbringen – ihr wißt, was das heißt –, es dann zu Föderationspreisen zu verkaufen und den größten Teil ihrer Gewinne an ihre Herren abzuliefern. Und die Tiere gehören ebenfalls der Föderation. Für die Zwerge wird alles streng rationiert. Dort, das ist der Markt. Alles Gemüse und Obst wird von den Zwergen angebaut und verkauft, und der Gewinn fällt zu einem großen Teil ebenfalls an die Föderation. Jetzt wißt ihr also, wie es hier zugeht, und könnt euch ein Bild davon machen, was es für die Leute hier bedeutet, unter dem ›Schutz‹ der Föderation zu leben.«

Am Ende der Straße blieben sie stehen, in ausreichendem Abstand von einer Menschenmenge, die sich um eine Tribüne drängte, auf der Zwergenmänner und -frauen aneinandergekettet zum Verkauf angeboten wurden. Sie sahen zu, und Morgan sagte: »Hier werden die verkauft, die nicht zur Arbeit gebraucht werden.«

Er führte sie auf eine langgestreckte Anhöhe, die sich über der Stadt erhob. Die Anhöhe war ohne Leben, ein riesiger dunkler Fleck in einer baumlosen Landschaft. Einst war sie terrassenförmig angelegt gewesen; das, was jetzt noch von der Anlage übrig war, ragte gleich Grabsteinen aus der Erde.

»Wißt ihr, was das ist?« fragte er sie leise. Sie schüttelten den Kopf. »Das sind die Überreste des einstigen Meade-Gartens. Ihr kennt die Geschichte. Die Zwerge haben diesen Garten angelegt und dafür aus dem umliegenden Land Humus herbeigeschafft, Humuserde, die so schwarz war wie Kohle. Jede Blume, die die Rassen kannten, wurde gepflanzt und gehegt. Mein Vater hat gesagt, daß es das Schönste war, das er je gesehen hat. Er war einmal hier, als er noch ein kleiner Junge war.«

Morgan schwieg, während sie die Ruinen betrachteten, und fuhr dann fort: »Die Föderation hat den Garten niedergebrannt, als die Stadt in ihre Hände fiel. Und jedes Jahr wird er von neuem angezündet, damit auch ja nichts wächst.«

Während sie zurückgingen, fragte Par: »Woher weißt du das alles, Morgan? Von deinem Vater?«

Morgan schüttelte den Kopf. »Mein Vater war seit damals nie wieder hier. Ich glaube, er möchte gar nicht wissen, wie es jetzt hier aussieht, sondern es so in Erinnerung behalten, wie es einmal war. Nein, ich habe hier Freunde, die mir erzählen, was die Zwerge durchmachen, was ich bei meinen Besuchen selbst nicht sehe. Ich habe euch bisher nicht viel davon erzählt. Aber es hat sich alles erst in jüngster Vergangenheit zugetragen, im letzten halben Jahr vielleicht. Ich werde euch später mehr davon erzählen.«

Sie lenkten ihre Schritte in den ärmeren Teil der Stadt und folgten dabei einer neuen Straße, die aber ebenso abgenutzt und mit Löchern übersät war wie die anderen. Nach einem kurzen Fußmarsch bogen sie in eine Gasse ein, die zu einem weiträumigen Gebäude aus Stein und Holz führte, das aussah, als wäre es einmal eine Art Gasthaus gewesen. Das dreistöckige Gebäude war umgeben von einer überdachten Veranda, auf der sich Schaukeln und Schaukelstühle befanden. Der Hof war leer, aber ohne Müll und Unrat und voll von spielenden Kindern.

»Eine Schule?« vermutete Par.

Morgan schüttelte den Kopf. »Ein Waisenhaus.« Er führte sie durch eine Gruppe von Kindern über die Veranda zu einer Seitentür, die im Schatten einer laubüberwucherten Nische versteckt lag. Er klopfte an die Tür und wartete. Als die Tür sich einen Spalt breit öffnete, sagte er: »Habt ihr etwas zu essen für einen armen Mann?«

»Morgan!« Die Tür flog auf. Eine ältere Zwergenfrau stand in der Tür, grauhaarig und gutmütig. »Morgan Leah, was für eine angenehme Überraschung! Wie geht es dir, mein Junge?«

»Gut«, antwortete er. »Dürfen wir eintreten?«

»Natürlich. Seit wann mußt du fragen?« Die Frau trat zur Seite und machte ihnen Platz; sie umarmte Morgan und verbeugte sich vor Par und Coll. Sie schloß die Tür hinter ihnen und sagte: »Ihr habt wohl Hunger, wenn ich recht sehe?«

»Wir sind bereit, für ein gutes Mahl unser Leben zu lassen«, erklärte Morgan lachend. »Großmütterchen Elise, das sind meine Freunde, Par und Coll Ohmsford aus Shady Vale. Sie sind derzeit… heimatlos.«

»Geht es uns nicht allen so?« erwiderte Elise barsch. Sie streckte ihre schwielige Hand aus, und die Brüder ergriffen sie einer nach dem anderen. Sie betrachtete sie mit prüfendem Blick. »Hast dich wohl mit einem Bären auf einen Ringkampf eingelassen, Morgan?«

Morgan berührte vorsichtig die Schnitt- und Schürfwunden in seinem Gesicht. »Schlimmer noch als das, fürchte ich. Die Straße nach Culhaven ist nicht mehr das, was sie einmal war.«

»Genauso ist es mit Culhaven. Nehmt Platz, du und deine Freunde. Ich bringe euch Kuchen und Obst.«

Mehrere lange Tische mit Bänken standen in der Mitte der geräumigen Küche, und die drei Freunde ließen sich am ersten Tisch nieder. Die Küche war groß, aber ziemlich dunkel, die Einrichtung geradezu ärmlich. Elises geschäftiges Hantieren verriet, daß sie das versprochene Frühstück und eine Art von frischgepreßtem Saft für sie zubereitete. »Ich würde euch gern etwas Milch anbieten, aber ich muß die wenige, die ich habe, für die Kinder einteilen«, sagte sie entschuldigend.

Hungrig machten sie sich über das Frühstück her, als eine zweite Frau eintrat, ebenfalls eine Zwergin, mit schnellen Bewegungen, die an einen Vogel erinnerten und scheinbar nie zum Stillstand kamen. Sie ging schnurstracks auf Morgan zu, der sich sofort erhob und ihr einen Kuß auf die Wange hauchte.