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Der große Mann bewegte sich mit einer Geschwindigkeit an Par und Coll vorbei, die sie nicht für möglich gehalten hätten. Er traf den ersten der Sucher, der den Hintereingang versperrte, mit einem Fußtritt, so daß der Kopf des Mannes nach hinten flog. Dann blitzten ein kurzes Schwert und ein Dolch, und die anderen beiden sanken ebenfalls zu Boden.

»Hierher, schnell!« rief er Par und Coll zu.

Sie folgten seinem Ruf sofort. Eine dunkle Gestalt krallte sich an ihnen fest, als sie vorbeigingen, aber Coll schüttelte den Mann ab. Er griff hinter sich, um sich zu vergewissern, daß sein Bruder dicht bei ihm war; seine große Hand legte sich schwer auf Pars zarte Schulter. Par schrie gequält auf. Coll dachte meist nicht daran, wie stark er war.

Sie verließen die Bühne und erreichten den hinteren Gang, wobei der große Fremde ihnen immer einige Schritte voraus war. Irgend jemand versuchte sie aufzuhalten, aber der Fremde schritt über ihn hinweg. Das Getöse, das aus dem Raum hinter ihnen drang, war ohrenbetäubend, und Flammen züngelten überall, leckten gierig am Boden und an den Wänden. Der Fremde führte sie schnell den Gang hinunter und durch die Hintertür in eine Seitengasse. Dort wurden sie von zwei weiteren grüngekleideten Männern erwartet. Wortlos umringten sie die Brüder und drängten sie vom Bierhaus weg. Par warf einen Blick zurück. Die Flammen schlugen bereits aus den Fenstern und bahnten sich ihren Weg hinauf zum Dach.

Sie eilten die Seitenstraße hinunter, vorbei an verwunderten Gesichtern und weit aufgerissenen Augen, bogen in einen Durchgang ein, von dem Par geschworen hätte, daß er ihn noch nie gesehen hatte, obwohl er die Gegend genau kannte, gingen durch zahllose Türen und Zimmer und standen schließlich auf einer vollkommen anderen Straße. Keiner sprach. Der Fremde bedeutete seinen Gefährten, Ausschau zu halten, und zog Par und Coll in einen dunklen Hauseingang.

Vom Laufen waren sie alle außer Atem. Der Fremde blickte abwechselnd von einem zum anderen. »Man sagt, etwas Bewegung sei gut für die Verdauung. Was meint ihr? Seid ihr in Ordnung?«

Die Brüder nickten. »Wer bist du?« fragte Par.

»Junge, ich gehöre sozusagen zur Familie. Erkennst du mich nicht? Ich glaube nicht. Warum solltest du auch? Schließlich haben wir beide uns nie kennengelernt. Aber die Lieder sollten dich daran erinnern.« Er ballte die linke Hand zur Faust und zielte dann auf Pars Nase. »Erinnerst du dich jetzt?«

Verwirrt blickte Par zu Coll, aber sein Bruder schien genauso verwirrt zu sein wie er. »Ich glaube nicht…«, setzte er an.

»Ja, ja, es spielt jetzt keine Rolle. Alles zu seiner Zeit.« Er rückte näher. »In dieser Gegend bist du nicht mehr sicher, mein Junge. Ganz sicher nicht in Varfleet und höchstwahrscheinlich nicht in ganz Callahorn. Vielleicht nirgendwo. Weißt du, wer dieser Mann dort war? Der Häßliche mit der Flüsterstimme?«

Par versuchte den massigen Sprecher mit der leisen Stimme einzuordnen. Es gelang ihm nicht. Er schüttelte langsam den Kopf.

»Felsen-Dall«, sagte der Fremde, der jetzt sehr ernst schien. »Erster Sucher, der oberste Säuberer höchstpersönlich. Sitzt im Koalitionsrat, wenn er nicht gerade Ungeziefer zerquetscht. Aber an dir hat er ein besonderes Interesse, wenn er bis nach Varfleet gekommen ist, um dich festzunehmen. Das gehört nicht zur normalen Ungeziefervertilgung. Er ist auf der Jagd nach einem größeren Tier. Er glaubt, daß du gefährlich bist, mein Junge – sehr gefährlich sogar, denn sonst hätte er sich nicht auf den weiten Weg gemacht. Bloß gut, daß ich dich gesucht habe. Ja, das habe ich wirklich. Habe gehört, daß Felsen-Dall hinter dir her war, und wollte verhindern, daß er dich kriegt. Aber denk dran, daß er nicht aufgeben wird. Du bist ihm einmal entwischt, doch das wird ihn in seinem Vorhaben nur bestärken. Er wird auch weiterhin hinter dir her sein.«

Er hielt inne und beobachtete die Wirkung seiner Worte. Par starrte ihn mit offenem Mund an. Der Fremde fuhr fort: »Dieser Zauber, dein Singen, das ist echter Zauber, stimmt’s? Ich hab’ genug von der anderen Sorte gesehen, um das beurteilen zu können. Du könntest diesen Zauber für einen guten Zweck verwenden, mein Junge, vorausgesetzt natürlich, daß du das willst. In diesen Bierhäusern und Hinterhöfen vergeudest du ihn nur.«

»Was meinst du damit?« fragte Coll, in dem plötzlich ein Verdacht aufstieg.

Der Fremde lächelte freundlich. »Die Bewegung braucht solchen Zauber«, sagte er leise.

Coll schnaubte. »Du bist ein Geächteter!«

Der Fremde machte eine kurze Verbeugung. »Ja, mein Junge, und ich bin stolz darauf. Wichtiger ist jedoch, daß ich als freier Mann geboren wurde und mich keinen Föderationsgesetzen unterordne.« Er kam näher. »Du selbst willst dich doch auch nicht unterordnen, stimmt’s? Gib es zu.«

»Kaum«, antwortete Coll abwehrend. »Die Frage ist jedoch, ob die Geächteten so viel besser sind.«

»Harte Worte, mein Junge!« rief der andere aus. »Bloß gut, daß ich nicht so leicht zu verletzen bin.« Er lächelte verschmitzt.

»Was willst du von mir?« unterbrach ihn Par schnell, dessen Verstand langsam wieder funktionierte. Er hatte an Felsen-Dall gedacht. Er kannte seinen Ruf, und die Aussicht, von ihm gejagt zu werden, flößte ihm Angst ein. »Du willst, daß wir uns mit euch zusammentun, nicht wahr?«

Der Fremde nickte. »Ich glaube, ihr würdet bald sehen, daß es sich lohnt.«

Aber Par schüttelte den Kopf. Daß sie die Hilfe des Fremden angenommen hatten, um den Klauen der Sucher zu entkommen, war eine Sache. Aber die Bewegung, der sie beitreten sollten, war etwas ganz anderes. Das wollte wohl überlegt sein. »Ich glaube, wir müssen das Angebot für heute ablehnen«, sagte er ruhig. »Vorausgesetzt natürlich, wir können uns frei entscheiden.«

»Natürlich könnt ihr euch frei entscheiden!«

»Dann müssen wir leider nein sagen. Aber wir danken dir für das Angebot und ganz besonders für deine Hilfe da drin.«

Der Fremde, wieder voller Ernst, ließ seinen Blick kurz auf ihm ruhen. »Das habe ich gern getan, glaub mir. Ich wünsche dir nur das Beste, Par Ohmsford. Hier, ich hab’ etwas für dich.« Er zog einen Ring vom Finger, der in Silber gefaßt war und das Zeichen eines Falken trug. »Meine Freunde kennen den Ring. Wenn du Hilfe brauchst – oder falls du deine Meinung ändern solltest –, geh damit zur Kiltan-Schmiede am Nordrand der Stadt und frag nach dem Bogenschützen. Kannst du dir das merken?«

Par zögerte, nahm jedoch den Ring und nickte. »Aber warum…?«

»Weil uns viel verbindet, mein Junge«, sagte der andere leise, der eine solche Frage erwartet hatte. Er streckte eine Hand aus und legte sie auf seine Schulter. Er sah dabei auch Coll an. »Die Vergangenheit verbindet uns, und damit ein Band, das so stark ist, daß es von mir fordert, für euch da zu sein, wann immer ich kann. Mehr noch, es fordert, daß wir gemeinsam gegen die Gefahren, die diesem Land drohen, kämpfen. Vergeßt das nicht. Eines Tages, da bin ich sicher, wird es so weit sein – wenn es uns gelingt, so lange am Leben zu bleiben.«

Er lächelte die Brüder an. Sie erwiderten seinen Blick schweigend. Der Fremde zog seine Hand zurück. »Es wird Zeit, daß wir gehen. Und zwar möglichst schnell. Die Straßen verlaufen alle zum Fluß hin. Ihr könnt von hier aus hingehen, wohin ihr wollt. Aber nehmt euch in Acht. Und seid auf der Hut. Die Sache ist noch nicht ausgestanden.«

»Ich weiß«, sagte Par und streckte seine Hand aus. »Willst du uns wirklich nicht deinen Namen nennen?«

Der Fremde zögerte. »Ein andermal«, sagte er. Er schüttelte Par und dann Coll kräftig die Hand, bevor er seine Gefährten durch einen Pfiff zu sich rief. Er winkte einmal, und schon war er wie ein Schatten verschwunden.

Par starrte sekundenlang auf den Ring und richtete dann seinen Blick fragend auf Coll. Irgendwo ganz in der Nähe hörten sie lauter werdende Rufe. »Ich glaube, die Frage wird warten müssen«, sagte Coll. Par steckte den Ring in seine Tasche. Leise verschwanden sie in der Nacht.

3

Es war beinahe Mitternacht, als Par und Coll das Hafenviertel von Varfleet erreichten, und zum ersten Mal bemerkten sie, wie wenig sie darauf vorbereitet waren, Felsen-Dall und seinen Suchern zu entkommen. Da keiner von beiden irgendwann daran gedacht hatte, daß eine Flucht notwendig werden würde, hatten sie nichts bei sich, das ihnen auf einer längeren Reise hätte von Nutzen sein können. Sie hatten keinen Proviant, keine Decken, keine Waffen, mit Ausnahme ihrer langen Messer, nichts, womit sie ein Lager hätten errichten können, nichts, um sich vor schlechtem Wetter zu schützen, und was am allerschlimmsten war, sie hatten kein Geld. Der Besitzer des Bierhauses war ihnen einen Monat lang ihr Geld schuldig geblieben. Und das Geld, das sie sich vorher gespart hatten, war mit allen anderen Besitztümern im Feuer verlorengegangen. Sie besaßen lediglich das, was sie auf dem Leib trugen. Das Hafenviertel bestand aus unzähligen Bootshäusern, Stegen, Reparaturwerkstätten und Lagerschuppen. Das ganze Viertel war hell beleuchtet, Hafenarbeiter und Fischer tranken und scherzten im Schein der Öllampen. Ausschmiedeeisernen Öfen und Fässern stieg Qualm auf, und die Luft war erfüllt von Fischgeruch. »Vielleicht haben sie die Suche für heute nacht eingestellt«, bemerkte Par. »Ich meine die Sucher. Vielleicht nehmen sie sie erst morgen früh wieder auf – oder vielleicht auch nie.« Coll warf ihm einen Blick zu und zog vielsagend eine Augenbraue hoch. »Vielleicht können Kühe auch fliegen.« Er schaute weg. »Wir hätten darauf bestehen sollen, daß man uns für unsere Arbeit sofort bezahlt. Dann wären wir jetzt nicht in der Klemme.«