Entsetzen erfüllte die Geächteten. Es war klar, daß jetzt keiner mehr daran glaubte, daß der Kriecher noch aufzuhalten war. Was sollten sie tun, wenn er vor ihnen stand? Konnten ihn, den Speere und Pfeile nicht verletzten, Schwerter aufhalten? Die zu Tode geängstigten Geächteten konnten sich den Ausgang des Kampfes ziemlich gut vorstellen.
Nur Axhind und seine Bergtrolle schienen von den Ereignissen um sie herum unberührt. Sie standen am äußersten Rand der Verteidigungslinien der Geächteten, wo sie mit kampfbereiten Waffen einen Vorsprung schützten, der von der Höhe über die Felswände hing. Sie schienen nicht nervös. Sie beobachteten Padishar Creel mit einem Ausdruck auf ihren Gesichtern, der besagte, daß sie gespannt auf seine nächsten Schritte warteten.
Padishar Creel hatte etwas entdeckt, das allen anderen entgangen war, und es ließ ihn erneut Hoffnung schöpfen. »Chandos!« schrie er, während er seine Männer zurück auf ihre Posten drängte, als er an den Brustwehren entlangschritt. Sein kräftiger, schwarzbärtiger Stellvertreter erschien. »Bringt mir das ganze Öl, das wir haben, Kochöl, Reinigungsöl, alles! Spar dir deine Fragen für später auf! Los, mach schon!«
Chandos machte den Mund zu und eilte davon. Padishar Creel schritt auf Morgan und die Zwerge zu. »Macht einen Aufzug fertig!« rief er seinen Männern zu. Dann hielt er unerwartet inne. »Steff, wie verhalten sich diese Kriecher auf schlüpfrigem Untergrund? Wie halten sie sich fest?«
Steff sah ihn verständnislos an. »Das weiß ich nicht.«
»Aber sie müssen sich doch festhalten, wenn sie klettern, oder nicht?« beharrte der andere. »Was passiert, wenn sie sich nicht festhalten können?« Er wandte sich ab, ohne auf eine Antwort zu warten. Der Morgen war drückend heiß, und der Schweiß rann ihm in Strömen über den Körper. Er streifte seinen Umhang ab und warf ihn gereizt zur Seite. Er schnappte sich von einem der anderen Geächteten einen Kreuzgürtel, schnallte ihn um, ergriff eine kurze Axt, schob sie durch eine der Gürtelschnallen und machte sich auf den Weg zu den Aufzügen. Morgan, der allmählich begriff, was der Geächtete vorhatte, folgte ihm. Chandos eilte herbei, gefolgt von einem Haufen von Männern, die Fässer von verschiedenen Größen herbeischleppten.
»Einladen!« lautete Padishars Befehl. Während sie einluden, legte er die Hände auf die breiten Schultern seines Stellvertreters. »Ich begebe mich mit dem Aufzug hinunter zu dem Klettermonster und schütte ihm das Öl über den Kopf.«
»Padishar!« Chandos war entsetzt.
»Hör mir zu! Der Kriecher kann nicht zu uns heraufkommen, wenn er nicht klettern kann, und er kann nicht klettern, wenn er sich nicht festhalten kann. Das Öl wird alles so rutschig machen, daß dieses Monster nicht mehr weiterkommt. Möglicherweise stürzt es sogar hinunter.« Er lächelte grimmig. »Wäre das nicht ein wunderschönes Ende der Geschichte?«
Mit einem entsetzten Ausdruck in den Augen schüttelte Chandos den Kopf. Die Trolle hatten sich zu ihnen gesellt und hörten zu. »Glaubst du, daß die Föderation dich nach unten kommen läßt? Ihre Bogenschützen werden dich in Stücke schießen.«
»Nicht, wenn ihr sie davon abhaltet.« Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. »Außerdem, alter Freund, bleibt uns doch gar keine andere Wahl, oder?« Er sprang in den Aufzug und kauerte sich dicht an das Geländer, um eine möglichst kleine Zielscheibe abzugeben. »Gebt nur acht, daß ihr mich nicht fallen laßt«, schrie er und ergriff die Axt.
Der Aufzug wurde über die Klippe gebracht. Chandos, der ihn schnell hinunterließ, sorgte dafür, daß der Aufzug über der Stelle schwebte, wo der Kriecher sich seinen Weg nach oben bahnte; er war bereits ziemlich weit oben, ein großer schwarzer Fleck, der sich über den Felsen schob. Ein wildes Geheul erhob sich auf der Seite der Föderationsarmee, als die Soldaten begriffen, was geschah, und ganze Reihen von Bogenschützen drängten nach vorne. Die Geächteten warteten. Da sie von ihrer Befestigung aus ungehindert zurückschießen konnten, gelang es ihnen, den Angriff in wenigen Minuten abzuwehren. Sogleich drängten weitere Reihen von Bogenschützen nach vorne, die einen Pfeilregen auf den Felsen und den sinkenden Aufzug niedergehen ließen. Die Geächteten erwiderten den Angriff der Föderation. Wieder konnten sie ihn abwehren.
Mittlerweile waren die Wurfmaschinen herbeigeschafft worden, und riesige Steinblöcke rollten haarscharf an dem Aufzug vorbei, während die Scharfschützen der Föderation sich einschossen. Ein Schwall von Steinen prasselte auf den Aufzug und warf ihn gegen die Felswand. Holz splitterte und krachte. Darunter hob der Kriecher den Kopf, um nach oben zu schauen.
Morgan Leah stand am Rand des Abgrunds und beobachtete die Szene voller Entsetzen; Steff und Teel standen neben ihm. Der Aufzug mit Padishar Creel schaukelte, als würde er von einem starken Wind erfaßt.
»Haltet ihn fest!« schrie Chandos den Männern an den Seilen zu.
Aber es war unmöglich. Das Seil rutschte, und während sie sich bemühten, es wieder hochzuziehen, wurden sie an den Rand des Abgrunds gezerrt, wo sie verzweifelt versuchten, sich selbst festzuhalten. Die Pfeile der Föderation überzogen die Anhöhe, und zwei der Männer an den Seilen fielen zu Boden. Keiner nahm ihren Platz ein, da in der Verwirrung des Angriffs keiner wußte, was er tun sollte. Chandos sah mit weit aufgerissenen Augen über seine Schulter zurück. Das Seil glitt immer weiter nach unten.
Morgan schoß nach vorne. Doch Axhind war schneller. Mit einer Geschwindigkeit, die seine Größe Lügen strafte, sprang der Älteste der Bergtrolle zwischen den Herumstehenden hindurch und ergriff das Seil mit seinen riesigen Händen. Die anderen ließen das Seil verwirrt los. Ganz allein hielt der riesige Troll den Aufzug und Padishar Creel. Dann erschien ein weiterer Troll und dann noch zwei. Nachdem sie sicheren Halt gefunden hatten, zogen sie das Seil hoch, während Chandos am Rande des Abgrunds seine Befehle hinausschrie.
Morgan wagte noch einmal einen Blick über den Rand. Am Fuße der Felswand starben die Soldaten der Föderation haufenweise. Ihre Reihen boten jetzt ein Bild der Verwirrung. Wurfmaschinen schleuderten Geschosse nach oben, und Pfeile flogen von überall her durch die Luft. Der Aufzug baumelte noch immer am Seil, wie ein winziger Köder, der scheinbar nur Handbreiten über dem schwarzen Ungeheuer schwebte, das sich stetig näher an sie heranarbeitete.
Dann plötzlich, fast unerwartet, befand sich Padishar Creel in Sichtweite; er schlug jetzt mit seiner kurzen Axt auf das erste Ölfaß ein, dessen Inhalt sich über die Felswand auf den Kriecher ergoß. Der Kopf und der Oberkörper der Bestie wurden durchtränkt von der glänzenden Flüssigkeit, und der Kriecher hörte auf, sich zu bewegen. Der Inhalt des zweiten Fasses folgte dem ersten, dann der des dritten. Der Kriecher und die Felswand waren über und über mit Öl bedeckt. Pfeile aus den Köchern der Föderationssoldaten umschwirrten Padishar Creel, der jetzt eine wunderbare Zielscheibe abgab. Dann traf ihn ein Pfeil, gleich darauf ein zweiter, und er sank zu Boden.
»Zieht ihn herauf!« schrie Chandos.
Die Trolle zerrten sogleich an dem Seil, während die Geächteten, die sich in der Nähe befanden, vor Zorn aufheulten und einen Pfeilhagel auf die Reihen der Föderationsbogenschützen niedergehen ließen.
Aber Padishar war bereits wieder auf den Beinen; er zerschlug die letzten beiden Ölfässer und goß das Öl die Felswand hinunter auf den Kriecher. Das Monster hing jetzt dort, ohne sich zu bewegen, und ließ das Öl über sich fließen.
Ein Geschoß aus der Wurfmaschine traf den Aufzug und zertrümmerte ihn. Die Geächteten schrien laut auf, als der Aufzug in die Tiefe stürzte. Aber Padishar Creel stürzte nicht; er bekam das Seil zu fassen und baumelte hin und her, während die Pfeile und Steine ihn umschwirrten. Seine Brust und seine Arme waren mit Blut bedeckt, und die Muskeln seines Körpers krampften sich unter der Anstrengung, die es ihn kostete, sich festzuhalten, zusammen.