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Nichts.

Nachdenklich runzelte er die Stirn. Wo war der Behälter, der den schwarzen Elfenstein enthielt?

Er ließ seinen Blick ein zweites Mal durch die Halle schweifen, durchbohrte mit seinen Augen den Schleier aus grünlichem Licht, prüfte jeden einzelnen Schatten. Irgend etwas mußte er übersehen haben. Aber was?

Er schloß kurz die Augen und ließ seine Gedanken auf Suche gehen. Irgend etwas spürte er, etwas Winziges, das scheinbar seinen Namen flüsterte. Er riß die Augen auf. Sein Gesicht straffte sich. Das winzige Etwas befand sich nicht in der Wand, sondern im Boden unter ihm.

Wieder setzte er sich in Bewegung, ging jedoch schnurstracks durch die Halle; er ließ sich durch sein Gefühl, das ihm verhieß, daß am anderen Ende etwas auf ihn wartete, leiten. Er kam zu dem Schluß, daß es der schwarze Elfenstein war. Er entfernte sich von den Statuen und ihren Schätzen, weg von den Grabkammern, die er jetzt nicht einmal mehr wahrnahm, während sich seine Augen auf eine Stelle ungefähr in der Mitte der Halle richteten.

Als er die Stelle erreichte, stieß er auf einen rechteckigen Stein, der auf dem Boden lag. Auf der Oberfläche waren Runen eingehauen, Inschriften, die so verwittert waren, daß er sie nicht entziffern konnte.

Er kniete nieder, eine einsame Gestalt in der Mitte der Halle, die selbst die Toten flohen. Er strich über die steinernen Inschriften und versuchte erneut, sie zu entziffern. Dann verließ ihn die Geduld, und er gab auf. Mit beiden Händen drückte er gegen den Stein. Ohne großen Widerstand konnte er den Stein zur Seite schieben.

Das darunter befindliche Loch war dunkel, so daß er nichts ausmachen konnte. Doch da war etwas…

Seine Vorsicht, die ihm bisher so gute Dienste geleistet hatte, außer Acht lassend, steckte er seine Hand in die Öffnung hinein.

In derselben Sekunde schlang sich irgend etwas um seine Hand und packte ihn. Einen Augenblick spürte er einen unbeschreiblichen Schmerz und dann Taubheit. Er versuchte sich loszureißen, aber er konnte sich nicht bewegen. Panik erfüllte ihn. Noch immer konnte er nicht sehen, was sich in dem Loch befand.

In seiner Verzweiflung gebrauchte er die Magie, beschwor mit seiner freien Hand Licht und schickte es rasch in das Loch.

Das, was er sah, erfüllte ihn mit eisiger Kälte. Er sah keinen Elfenstein. Statt dessen hatte sich eine Schlange seiner Hand bemächtigt. Aber es handelte sich um keine gewöhnliche Schlange. Er erkannte, daß diese Schlange sehr viel gefährlicher war. Es war eine Asphinx, eine Kreatur aus uralter Zeit, die zur gleichen Zeit erschaffen worden war wie ihre riesigen Gegenstücke in den davor liegenden Höhlen, die Sphinxe. Aber die Asphinx war eine Kreatur aus Fleisch und Blut, die sich erst, wenn sie zugestoßen hatte, in Stein verwandelte. Und was sie berührte, verwandelte sich ebenfalls in Stein.

Walker Boh biß die Zähne zusammen. Seine Hand hatte sich bereits gräulich verfärbt, während die Asphinx sie immer noch eng umschlungen hielt, war tot und hart und mit dem Boden verbunden, von dem er sie nicht mehr losreißen konnte.

Er wehrte sich gegen die Kreatur mit all seinen Kräften. Aber es gab kein Entkommen. Er war im Stein gefangen, verbunden mit der Asphinx und dem Höhlenboden, als hielten ihn Ketten.

Angst erfaßte ihn, durchfuhr ihn gleich einem Messer, das sich in sein Fleisch bohrte. Er war vergiftet. Ebenso wie sich seine Hand in Stein verwandelte, würde sich der Rest seines Körpers in Stein verwandeln. Langsam. Unerbittlich.

Bis er eine steinerne Statue war.

29

Der Morgen brachte dem Zeigefinger einen Wetterumschwung, da der Sturm von Tyrsis nach Norden zum Parmakeil weiterwanderte. Es war noch dunkel, als die ersten Wolken am Himmel aufzogen und den Mond und die Sterne verdeckten. Dann legte sich der Wind. Ein paar Tropfen fielen auf die Gesichter der Wachen des Geächtetenlagers und wurden immer mehr. Dunstschwaden stiegen aus dem unterhalb liegenden Waldland auf. Als die Dämmerung anbrach, war aus dem anfänglichen Schauer ein anhaltender Regen geworden, der alle, selbst die Wachen, einen Unterschlupf suchen ließ. Aus diesem Grund bemerkte niemand den Kriecher. Er mußte den Wald im Schutz der Dunkelheit verlassen und sich auf den Weg nach oben gemacht haben. Das kratzende Geräusch, das er verursachte, während er kletterte, das Schaben seiner Klauen und seines Panzers, während er sich mühsam nach oben zog, all diese Geräusche wurden verschluckt vom fernen Donnergrollen, vom prasselnden Regen und den Bewegungen der Menschen und Tiere im Lager. Zudem waren die Wachen müde und der festen Überzeugung, daß sich vor dem Morgen nichts ereignen würde. Der Kriecher hatte die Anhöhe fast erreicht, bevor sie ihren Fehler erkannten und lauthals losschrien. Die Schreie ließen Morgan aus dem Schlaf hochfahren. Er war in dem kleinen Espenwäldchen eingeschlafen, während er darüber nachgrübelte, wie er mit seinem Verdacht am besten umgehen konnte. Eingehüllt in seinen Jagdmantel, der ihn vor der Kälte schützte, lag er zusammengerollt unter den Wipfeln der Bäume. Seine verkrampften Muskeln schmerzten, so daß er nicht gleich stehen konnte. Doch aus den Schreien hörte er schon bald Panik und Todesangst. Er zwang sich aufzustehen, zog sein Breitschwert, das er auf dem Rücken trug, und stolperte in den Regen hinaus.

Auf der Anhöhe herrschte ein heilloses Chaos. Überall liefen Männer hin und her und griffen nach Waffen. Vereinzelt flackerten Fackeln auf, aber ihr Licht wurde vom Regen fast augenblicklich ausgelöscht. Mit den anderen eilte Morgan dahin, um die Ursache des wahnsinnigen Treibens auszumachen.

Und dann sah er ihn. Der Kriecher hatte die Anhöhe erklommen, war aus dem Abgrund emporgestiegen und erhob sich jetzt drohend über der Festung der Geächteten, während sich seine Klauen in den Fels eingruben, an dem er sich festhielt.

Leichtfertig drängten die Geächteten nach vorn, ergriffen Pfähle und Speere, um sie in den gewaltigen Körper des Monsters zu rammen. Doch der Kriecher war riesengroß; er ragte über ihnen wie eine riesige Mauer empor. Voll Entsetzen verlangsamte Morgan seine Schritte. Sie hätten ebenso gut versuchen können, den Lauf eines Flusses zu verändern. Kein Wesen von dieser Größe konnte allein mit menschlicher Kraft unschädlich gemacht werden.

Der Kriecher warf sich mitten in seine Angreifer. Die Pfähle und Speere zersplitterten. Die Männer, die unter ihn zu liegen kamen, starben noch im gleichen Augenblick, andere wurden von seinen Klauen in die Höhe geschleudert. Ein Teil der Befestigungsanlage des Zeigefingers brach unter dem Gewicht der Bestie zusammen. Die Geächteten wichen zurück, als er zwischen sie fuhr, Waffen, Ausrüstungen und Zelte zertrümmerte und seine Klauen nach allem ausstreckte, was sich bewegte. Schwerter und Messer sausten auf seinen Körper nieder, aber der Kriecher schien sich davon nicht beirren zu lassen. Er drängte unablässig weiter, griff nach den Männern, die vor ihm zurückwichen, zerstörte alles, was sich ihm in den Weg stellte.

»Es lebe die Freiheit!« ertönte ein gellender Schrei. »Zu mir!«

Padishar Creel war wie aus dem Nichts aufgetaucht, eine leuchtend rote Gestalt inmitten von Regen und Nebel, und scharte jetzt seine Männer um sich. Sie antworteten ihm mit wilden Schreien, während sie sich um ihn drängten. Eilig ließ er Gruppen bilden; die eine Hälfte griff den Kriecher mit riesigen Pfählen an, um seine Klauen abzuwehren, während die andere auf die Seiten und den Rücken des Monsters einhieb. Der Kriecher krümmte und wand sich, ging jedoch unaufhaltsam weiter.

Plötzlich waren Axhind und seine Bergtrolle da; ihre riesigen Körper waren von Kopf bis Fuß in Rüstungen gehüllt, und sie schwangen ihre gewaltigen Streitäxte. Als sie den Kriecher frontal angriffen, richteten sie ihre Äxte in erster Linie auf die Klauen. Drei von ihnen wurden von ihm schnell zerfetzt. Aber die anderen schlugen mit solcher Entschlossenheit auf ihn ein, daß sie seine linke Klaue zertrümmerten. Augenblicke später trennten sie sie vollständig vom Körper des Kriechers ab.

Dieser wurde langsamer. Der Boden hinter ihm war mit leblosen Leibern bedeckt. Unfähig, sich zu entscheiden, was er tun sollte, verharrte Morgan regungslos zwischen dem Monster und den Höhlen. Er sah, wie sich die Bestie aufrichtete, bis ihr Oberkörper in der Luft stand wie eine Schlange, die zum Angriff ansetzt. Die Geächteten und die Trolle wichen zurück.