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Als das Schwert von Leah entzweibrach und damit die Zauberkraft verloren war, hatte er begriffen, wieviel sie ihm abverlangt hatte. Er spürte die Veränderung fast auf der Stelle. Padishar Creel wollte ihn davon überzeugen, daß er unrecht hatte, daß er den Verlust bald verschmerzen würde, daß er weiterleben konnte wie zuvor. Doch er wußte jetzt, daß dem nicht so war. Er würde den Schmerz niemals verwinden, nicht vollständig. Nachdem er die Zauberkraft einmal gebraucht hatte, war er unwiderruflich ein anderer. Er konnte nicht darauf verzichten; ohne sie war er nicht mehr der gleiche Mann. Obwohl er sie nur kurze Zeit besessen hatte, hatte selbst dieser kurze Besitz eine dauerhafte Wirkung. Er dürstete danach, sie wieder zu besitzen. Ohne sie war er verloren; er war verwirrt und ängstlich. Genau das war der Grund, warum er im Kampf mit dem Kriecher nicht zu handeln vermocht hatte. Es lag nicht daran, daß er nicht wußte, was er tun sollte. Es lag daran, daß er die Zauberkraft nicht mehr beschwören konnte.

Dieses Eingeständnis kostete ihn mehr, als er sich erklären konnte. Er lebte weiter, lebte gleich einer gefühllosen Maschine, gelähmt vom Verlust der Zauberkraft. Er lebte nur in seiner Gedankenwelt und hoffte, daß keiner – insbesondere nicht Padishar Creel – sein Versagen bemerkte.

Nach einiger Zeit kam ihm Par in den Sinn. Er hatte nie zuvor darüber nachgedacht, was es für den Talbewohner bedeutete, ständig um seine Magie ringen zu müssen. Jetzt, wo er gezwungen war, sich mit der Bedeutung der Zauberkraft des Schwertes von Leah auseinanderzusetzen, glaubte Morgan zu verstehen, wie schwer es Par hatte. Wie hatte sein Freund gelernt, mit der Kraft des Wunschlieds zu leben? Was ging in ihm vor, wenn sie sich ihm versagte, wie sie es so oft auf ihrer Reise zu Allanon getan hatte? Wie wurde er mit seiner Schwäche fertig? Das Wissen, daß Par seinen Weg dennoch gefunden hatte, verlieh Morgan neue Kraft.

Gegen Mittag war der Kriecher fortgeschafft und die Schäden, die er im Lager angerichtet hatte, fast vollständig behoben. Der Regen ließ nach, als der Sturm nach Osten weiterzog. Die Wolken teilten sich, und die Sonne brach in langen Strahlen durch, die auf der grünen Weite des Parmakeils tanzten. Der Nebel verzog sich.

Die Föderation machte sich unverzüglich daran, ihre Wurfmaschinen und Belagerungstürme wieder in Stellung zu bringen und ihren Angriff auf den Zeigefinger wieder aufzunehmen. Die Wurfmaschinen schleuderten Steine, die Belagerungstürme wurden mit Bogenschützen bemannt, die einen unablässigen Pfeilhagel auf das Geächtetenlager niedergehen ließen. Es wurde jedoch nichts unternommen, um die Höhe zu stürmen. Die Geächteten konnten sich nicht wehren; die Angreifer waren zu weit weg und zu gut geschützt. Außerhalb der Höhlen gab es keine Stelle, an der die Geächteten sich hätten gefahrlos bewegen können. Es schien offensichtlich, daß der Verlust des Kriechers die Föderation nicht entmutigt hatte. Die Belagerung würde so lange fortgesetzt, bis die Verteidiger geschwächt waren und der Sturm gelingen konnte.

Auf der Anhöhe sprangen die Verteidiger zwischen den niedergehenden Pfeilen hindurch, riefen ihren Angreifern herausfordernde Worte zu und gingen ihrer Arbeit nach, so gut sie dies vermochten. Aber der Zeigefinger konnte auf Dauer nicht gehalten werden.

Morgan Leah war mit seinen eigenen Sorgen beschäftigt. Er hatte sich von den anderen entfernt und war wieder zu seinem Versteck im Espenwäldchen am äußersten Rand der Anhöhe zurückgekehrt, weit weg von den Verteidigungsstellungen des Lagers, auf die sich die Attacken der Föderation konzentrierten. Wenn er seine Unfähigkeit, mit dem Verlust der Zauberkraft des Schwertes von Leah fertig zu werden, vergaß, sah er sich gezwungen, sich mit seinem Verdacht in bezug auf die Person des Verräters auseinanderzusetzen.

Es fiel ihm schwer, einen Entschluß zu fassen. Er wußte lediglich, daß er seinen Verdacht jemand mitteilen mußte. Aber wem?

Padishar Creel? Wenn er mit ihm sprach, standen die Chancen, daß der Anführer der Geächteten ihm glaubte, fünfzig zu fünfzig; er machte sich zu diesem Zeitpunkt weder etwas aus Steff noch aus Teel und würde einfach versuchen, sie loszuwerden. Schließlich konnte niemand mit Sicherheit sagen, welcher von beiden es war – sofern es überhaupt einer von beiden war.

Morgan schüttelte den Kopf. Mit Padishar Creel konnte er nicht reden.

Steff? Wenn er mit Steff redete, entschied er sich dafür, daß Teel die Verräterin war. Das wollte er zwar glauben, aber konnte er es mit Sicherheit behaupten? Selbst wenn sie es war, wußte er, wie Steff reagieren würde. Sein Freund liebte Teel. Sie hatte ihm das Leben gerettet. Er würde kaum gewillt sein, Morgans Verdacht ohne Beweis für zutreffend zu halten. Und Morgan hatte keinen Beweis, zumindest keinen, der sich vorzeigen ließ. Sein Verdacht blieb eine Vermutung, mochte sie auch noch so durchdacht sein.

Er saß unter den Bäumen und lauschte den fernen Schreien der Verteidiger, den Geräuschen der Wurfmaschinen und Bogen, dem Knarren von Eisen und Holz, dem Schwirren der Pfeile, die durch die Luft flogen, und dem Krachen, wenn sie aufprallten. Er war einsam, ziellos umherschwimmend in einem Meer der Unentschlossenheit und des Zweifels. Er mußte etwas tun; aber der Weg, den er hätte einschlagen können, wollte sich ihm nicht zu erkennen geben. Wie sehr hatte er sich gewünscht, an dem Kampf gegen die Föderation teilzunehmen, nach Norden zu ziehen, um sich den Geächteten anzuschließen, sich auf die Suche nach dem Schwert von Shannara zu begeben, die Schattenwesen zu vernichten. Er war dazu bestimmt, etwas Großes zu bewirken, etwas Wunderbares… Etwas, das den Lauf der Geschichte verändern würde.

Jetzt war seine Stunde gekommen. Er konnte den Lauf der Geschichte verändern wie kein anderer. Und er saß da, gelähmt.

Der Nachmittag ging langsam in den Abend über, die Belagerung hielt unvermindert an, und Morgans Zwiespalt blieb bestehen. Ein einziges Mal verließ er das Wäldchen, um nach Steff und Teel zu sehen, oder genauer, um ihnen nachzuspionieren, um zu sehen, ob sie sich auf irgendeine Weise verrieten. Aber die Zwerge verhielten sich wie immer. Steff war immer noch schwach und nicht in der Lage, sich mehr als ein paar Minuten zu unterhalten, bevor ihn der Schlaf wieder übermannte; Teel war schweigsam und auf der Hut. Obwohl er beide so verstohlen beobachtete, wie er nur konnte, um etwas zu entdecken, das seinen Verdacht bestätigte, ging er mit leeren Händen von dannen.

Es war beinahe dunkel, als Padishar Creel ihn endlich fand.

»Dir scheint’s allein am besten zu gefallen, stimmt’s?«

Morgan sprang auf. »Tut mir leid, Padishar.«

Der große Mann ließ sich ihm gegenüber nieder. Sein Gesicht war mit Staub und Schweiß bedeckt. Falls er Morgans Unbehagen bemerkte, ließ er sich nichts anmerken. Er streckte die Beine aus und lehnte sich zurück, wobei er sich mit seinen Ellbogen abstützte, was ihm offensichtlich Schmerzen bereitete. »Ein miserabler Tag, Hochländer«, sagte er. Die Worte wurden von einem bitteren Seufzer begleitet. »Zweiundzwanzig Männer tot, morgen früh werden’s noch zwei mehr sein, und wir verkriechen uns wie aufgescheuchte Füchse.«

Morgan nickte, ohne zu antworten. Er dachte krampfhaft darüber nach, was er sagen sollte.

»Tatsache ist, daß es mir gar nicht gefällt, wie sich die Dinge hier entwickeln.« Padishar Creels hartes Gesicht war ohne Regung. »Die Föderation wird uns so lange belagern, bis wir vergessen haben, warum wir überhaupt hier sind, und das trägt nicht gerade zur Verwirklichung meiner Pläne bei. Eingesperrt, wie wir hier sind, sind wir niemand von Nutzen. Es wird eine andere Gelegenheit geben, um mit diesen Feiglingen abzurechnen, die nur Wesen der dunklen Magie auf uns hetzen können, anstatt uns selbst gegenüberzutreten. Deshalb habe ich beschlossen, daß es an der Zeit ist, von hier zu verschwinden.«