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Morgan beugte sich vor. »Fliehen?«

»Durch die Hintertür, von der wir gesprochen haben. Ich meine, daß du es wissen solltest. Ich brauche deine Hilfe.«

Morgan starrte ihn an. »Meine Hilfe?«

Padishar Creel setzte sich langsam auf. »Ich will, daß jemand eine Nachricht nach Tyrsis bringt – zu Damson und den Talbewohnern. Sie müssen wissen, was hier geschehen ist. Ich würde selber gehen, aber ich muß bleiben, um meine Männer in Sicherheit zu bringen. Deshalb habe ich gedacht, daß du vielleicht interessiert wärst.«

Morgan willigte sofort ein. »Das bin ich. Ich gehe.«

Der andere hob warnend die Hand. »Nicht so schnell. Wir werden den Zeigefinger nicht sofort verlassen, wahrscheinlich erst in drei oder vier Tagen. Die Verletzten sind noch nicht transportfähig. Aber ich möchte, daß du schon eher gehst. Morgen, wenn’s dir recht ist. Damson ist ein kluges Mädchen, aber sie ist eigensinnig. Seit du mich gefragt hast, ob sie möglicherweise versuchen könnte, die Talbewohner hierher zu bringen, habe ich ein wenig über die Sache nachgedacht. Sie könnte es tatsächlich versuchen. Du mußt sicherstellen, daß sie es nicht tut.«

»Das werde ich.«

»Also durch die Hintertür, wie ich schon gesagt habe. Und du gehst allein.«

Morgan runzelte die Stirn.

»Allein, mein Junge. Deine Freunde bleiben hier. Erstens kannst du nicht durch Tyrsis laufen mit einem Paar Zwerge im Schlepptau. Die Föderation würde euch innerhalb von zwei Minuten in Ketten legen. Und zweitens können wir kein Risiko eingehen nach all dem Verrat, der begangen worden ist. Keiner darf von deinem Vorhaben erfahren.«

Der Hochländer überlegte. Padishar Creel hatte recht. Es hatte wenig Sinn, unnötige Risiken einzugehen. Besser war es, allein zu gehen und niemand von seinem Vorhaben zu erzählen – ganz besonders nicht Steff und Teel. Er war drauf und dran, Padishar Creel von seinem Verdacht zu berichten, besann sich aber dann eines Besseren und nickte.

»Gut. Die Sache ist also geregelt. Bleibt nur noch eins.« Padishar Creel stand auf. »Folge mir.« Er führte Morgan durch das Lager in die größte Höhle, an der Stelle vorbei, wo die Verwundeten versorgt wurden, und in die dahinterliegenden Gewölbe. Von dort aus gelangten sie zu einem guten Dutzend Gängen, die in alle Richtungen auseinanderliefen und irgendwo in der Dunkelheit endeten. Auf dem Weg in die Gänge ergriff Padishar Creel eine Fackel und entzündete sie. Er führte den Hochländer zwischen Vorräten hindurch zu der tiefsten Stelle der Höhle, zu einer Wand, vor der sich Kisten auftürmten. Hier war es still.

Padishar Creel reichte Morgan die Fackel und streckte beide Hände aus, erfaßte mit den Fingern eine Kiste und zog. Ein ganzer Teil der Wand bewegte sich und gab einen dahinterliegenden Gang frei.

»Hast du gesehen, wie ich’s gemacht habe?« fragte Padishar Creel leise.

Morgan nickte.

Padishar Creel nahm die Fackel wieder an sich. Morgan beugte sich vor. Der Geheimgang wand sich in den Felsen hinein, bis er in der Dunkelheit verschwand.

»Der Gang führt durch den ganzen Felsen hindurch«, sagte Padishar Creel. »Wenn du bis zum Ende gehst, kommst du über dem Parmakeil südlich der Drachenzähne und östlich des Kennonpasses heraus.« Er sah Morgan scharf an. »Wenn du versuchen solltest, durch die anderen Gänge hinauszugelangen, würden wir dich wahrscheinlich nie Wiedersehen. Verstanden?« Er stieß die Geheimtür wieder zu und trat zurück. »All das zeige ich dir jetzt, weil ich, wenn du dich auf den Weg machst, nicht bei dir sein werde. Ich werde draußen sein und dir den Rücken freihalten.« Er lächelte sein hartes Lächeln. »Das Beste ist, wenn du schnell hindurchgehst.«

Sie gingen zum Ausgang zurück und traten auf die Anhöhe hinaus. Es war bereits dunkel. Der Anführer der Geächteten blieb stehen, reckte sich und sog die Abendluft ein. »Hör mir gut zu, mein Junge«, sagte er leise. »Da ist noch etwas. Du mußt aufhören, darüber nachzudenken, was mit dem Schwert, das du trägst, geschehen ist. Du kannst diese Last nicht mit dir herumschleppen und gleichzeitig einen klaren Kopf behalten; die Last ist zu schwer, selbst für einen kräftigen Kerl wie dich. Leg sie ab. Laß sie hinter dir. Du besitzt genügend Mut, um dich ohne das Schwert durchzuschlagen.«

Padishar Creel weiß, was sich heute morgen zugetragen hat, erkannte Morgan plötzlich. Er weiß es und gibt mir zu verstehen, daß alles in Ordnung ist.

Padishar Creel drehte sich um und verschwand in der Dunkelheit. Morgan hätte ihm um ein Haar nachgerufen. Er wollte ihm von seinem Verdacht über den Verräter erzählen. Er wäre von der Last, das Geheimnis ganz allein zu tragen, erlöst worden.

Er kämpfte mit seiner Unentschlossenheit jetzt genau so, wie er den ganzen Tag mit ihr gerungen hatte. Aber wieder einmal verlor er den Kampf. Danach schlief er unter den Espen, eingehüllt in seinen Mantel. Die Erde war nach dem morgendlichen Regen wieder trocken; die Nacht war warm und die Luft erfüllt mit den Düften des Waldes. Sein Schlaf war tief und traumlos. Sorgen und Unentschlossenheit fielen von ihm ab.

Und dann wurde er wach.

Eine Hand legte sich auf seine Schulter, hielt ihn fest. Die Berührung erschreckte ihn dermaßen, daß er einen Augenblick glaubte, er werde angegriffen. Er warf seinen Mantel von sich und sprang wild um sich fuchtelnd auf. Da bemerkte er, daß er Steff vor sich hatte.

Eingehüllt in seine Decke und mit zu Berge stehenden Haaren kauerte der Zwerg vor ihm am Boden; sein narbiges Gesicht war blaß und trotz der nächtlichen Kühle schweißüberströmt. In seinen dunklen Augen brannte das Fieber, und aus seinem Blick sprachen Entsetzen und Verzweiflung. »Teel ist fort«, flüsterte er rauh.

Morgan atmete tief ein. »Wohin?« brachte er schließlich heraus, während seine Hand immer noch fest auf dem Dolchknauf an seinem Gürtel lag.

Steff schüttelte den Kopf; sein keuchender Atem erfüllte die nächtliche Stille. »Ich weiß es nicht. Vor ungefähr einer Stunde ist sie aufgestanden. Ich habe sie beobachtet. Sie hat geglaubt, daß ich schlafe, aber…« Seine Stimme versagte. »Irgend etwas stimmt nicht, Morgan. Irgend etwas.« Er konnte kaum noch sprechen. »Wo ist sie?«

Im gleichen Augenblick wußte Morgan die Antwort.

30

Genau in derselben Nacht machte sich Par Ohmsford zum letzten Mal auf den Weg hinunter in die Schlucht, um das Schwert von Shannara zu gewinnen.

Die Dunkelheit hatte sich bereits über die Stadt Tyrsis gesenkt. Regen und Dunst hatten sich in einen dichten Nebel verwandelt, der die Dächer und Wände der Häuser, die Karren und Stände auf den Märkten, ja selbst die Pflastersteine der Straße einhüllte und ihren Blicken entzog. Weder Mond noch Sterne waren zu sehen, und die Lichter der Stadt flackerten wie Kerzen, die jeden Augenblick auszugehen drohten.

Damson Rhee führte die Talbewohner, die die Kapuzen ihrer Mäntel tief in ihre Gesichter gezogen hatten, aus dem Schuppen der Gärtnerei. Sie waren buchstäblich allein in den leeren Straßen. Jedesmal, wenn sie Passanten begegneten, was einmal, höchstens zweimal geschah, nahmen sie deren Gegenwart kaum mehr als einen Augenblick wahr. Geräusche, die an ihr Ohr drangen, entbehrten sowohl eines Ursprungs wie einer Richtung.

Nach einer Weile verlangsamte Damson Rhee ihren Schritt. Sie hatten die schmalen Steintreppen erreicht, die sich zu den Abwasserkanälen hinunterwanden. Sie warf einen Blick auf Par und Coll; ihre grünen Augen waren hart. Dann begann sie mit dem Abstieg. Die Talbewohner folgten ihr. Keiner sprach. Par war sich nicht sicher, ob er hätte sprechen können, wenn er es versucht hätte. Sein Mund und seine Kehle fühlten sich an, als seien sie voll Watte.

Damson Rhee brachte eine Fackel hervor, mit der sie ihnen leuchtete, während sie sich lautlos vorwärtsbewegten. Par blickte abwechselnd von Damson Rhee zu Coll. Ihre Gesichter waren blaß und angespannt.

Sie brauchten weniger als eine Stunde, bis sie bei dem Maulwurf anlangten. Als sie aus dem trockenen Brunnen herausstiegen, wartete er bereits auf sie; er kauerte im Schatten.