Es geschah etwas ganz anderes. Die Menschenaffen flohen weder kreischend, noch setzten sie zu neuen Angriffen an. Vielmehr wichen sie zurück, bis den nächsten etwa sechs Schritte von mir trennten, bückten sich nieder und drückten das Gesicht auf den Grubenboden. Es herrschte wieder Stille wie beim Eintritt in die Mine; bis auf das Murmeln des Baches war kein Laut zu vernehmen. Nun jedoch konnte ich alles sehen von den Stapeln matter Silberbarren neben mir bis ins hinterste Ende, wo die Menschaffen von einer verfallenen Mauer herabgestiegen waren, die sich meinem Auge damals als Flecke weißlichen Feuers dargeboten hatte.
Rückwärts setzte ich mich in Bewegung. Das ließ die Menschenaffen aufblicken, und ihre Gesichter waren die Gesichter von Menschen. Als ich sie so sah, wußte ich um die mühsamen Äonen in der Finsternis, aus denen ihre Fänge und Glotzaugen und Schlappohren hervorgegangen waren. Wir, so sagen die Gelehrten, sind einmal Affen, glückliche Affen in Wäldern gewesen, die vor so langer Zeit den Wüsten haben weichen müssen, daß sie namenlos sind. Greise nehmen wieder kindliches Gebaren an, wenn die Jahre schließlich ihren Verstand umwölken. Kann es nicht sein, daß die Menschheit (wie ein Greis) in ihrer Erscheinung sich zum Bild von damals rückentwickelt, wenn die alte Sonne schließlich stirbt und wir im Dunkeln über die Gebeine unserer Vorfahren schlurfen? Ich sah unsere Zukunft – zumindest eine Zukunft – und es dauerten mich diejenigen, die in den dunklen Schlachten gesiegt hatten, mehr als jene, die in der endlosen Nacht ihr Blut vergossen hatten.
Ich tat also (wie gesagt) einen Schritt zurück, dann einen zweiten, und noch immer versuchte keiner, mich aufzuhalten. Daraufhin fiel mir Terminus Est ein. Es galt zu fliehen, aber hätte auch die schrecklichste Schlacht gewütet, ich hätte mich verachtet, hätte ich es zurückgelassen.
Ich konnte unbehelligt gehen, aber ohne meine Klinge, das hätte ich nicht ertragen können. Ich schritt langsam wieder vorwärts und suchte im Schein der Klaue das glänzende Schwert.
Hierbei erhellten sich die Gesichter jener wunderlichen, verzerrten Menschengestalten, und ich las in ihren Augen die Hoffnung, ich bliebe bei ihnen, so daß die Klaue und ihr blaues Licht für immer ihres wären. Wie entsetzlich scheint es mir nun, da ich die Worte niederschreibe; dennoch wäre es das, glaube ich, in Wirklichkeit nicht gewesen. So bestialisch sie auch wirkten, ich entdeckte in jedem rohen Gesicht tiefe Bewunderung; seien sie auch in vielerlei Hinsicht schlechter als wir, dachte ich (und denke ich jetzt), in mancher Hinsicht sind diese mit greulicher Unschuld begnadeten Menschen der verborgenen unterirdischen Städte besser.
Von Seite zu Seite suchte ich, von Ufer zu Ufer; aber ich fand nichts, obschon mir so war, als schiene das Licht der Klaue heller und immer noch heller, bis zuletzt jeder steinerne Zahn, der von der Decke dieser großen Höhle hing, hinter sich einen scharfumrissenen, pechschwarzen Schatten warf. Schließlich rief ich den hockenden Männern zu: »Mein Schwert … Wo ist mein Schwert? Hat’s einer von euch genommen?«
Ich hätte sie nicht angesprochen, hätte mich die Befürchtung, ich könnte es verlieren, nicht halb wahnsinnig gemacht; aber wie es schien, verstanden sie mich. Sie fingen zu murmeln an und gaben mir – ohne aufzustehen – Zeichen, daß sie nicht mehr kämpfen würden, wobei sie ihre Keulen und Speere aus gespitzten Knochen vorstreckten, auf daß ich sie nähme.
Dann vernahm ich neben dem Rauschen des Wasser und dem Gemurmel der Menschenaffen einen neuen Laut, der mich sofort verstummen ließ. Wenn ein Oger von den Säulen der Welt fräße, würde das Knirschen seiner Zähne genauso klingen. Das Bett des Baches (worin ich noch stand) bebte unter meinen Füßen, und das Wasser, das bisher so klar gewesen war, führte eine feine Schlammwolke, als würde sich eine Rauchfahne durch den Strom winden. Von tief unten hörte ich einen Schritt wie das Stapfen eines Turmes am Jüngsten Tag, wenn alle alten Städte von Urth, wie man sagt, sich aus Staub und Schutt erheben und der Dämmerung der Neuen Sonne entgegenschreiten.
Und dann einen zweiten.
Mit einemmal erhoben sich die Menschenaffen und flohen geduckt in das hintere Höhlenende, lautlos und flugs wie eine Schar flatternder Fledermäuse. Das Licht ging mit ihnen, denn die Klaue hatte, wie ich befürchtete, offenbar nicht für mich, sondern für sie geschienen.
Ein dritter Schritt drang von tief unten herauf, und gleichzeitig erlosch der letzte Schimmer; aber in diesem Moment, diesem letzten Lichtschimmer, erblickte ich Terminus Est im tiefsten Wasser. Im Dunkeln bückte ich mich danach, steckte die Klaue in meinen Stiefelschaft und hob mein Schwert auf; dabei stellte ich fest, daß mein Arm nicht mehr gefühllos und offenbar wieder so kraftvoll wie vor dem Kampf war.
Ein vierter Tritt hallte durch das Bergwerk, und ich ergriff die Flucht, wobei ich mich mit dem ausgestreckten Schwert vorantastete. Was für eine Kreatur wir da aus den Wurzeln des Kontinents gerufen haben, glaube ich nun zu wissen.
Damals aber wußte ich’s nicht, wußte gleichfalls nicht, ob sie das Gebrülle der Menschenaffen, das Licht der Klaue oder etwas anderes geweckt hatte. Ich wußte nur, daß tief unter uns etwas war, wovor die Menschenaffen trotz ihrer schrecklichen Erscheinung und Vielzahl davonstoben wie Funken vor dem Wind.
VII
Die Meuchelmörder
Wenn ich mir den zweiten Durchgang durch den zur Außenwelt führenden Stollen ins Gedächtnis zurückrufe, kommt es mir so vor, als habe er eine Wache oder länger beansprucht. Meine Nerven sind, von einem unbarmherzigen Gedächtnis geplagt, wohl nie die besten gewesen. Damals waren sie zum Zerreißen gespannt, so daß drei Schritte scheinbar eine Ewigkeit dauerten. Ich hatte natürlich Angst. Seit meiner Kindheit hat man mich nicht mehr einen Feigling genannt, und gelegentlich haben verschiedene Leute meinen Mut gelobt. Ich habe die Pflichten als Mitglied meiner Zunft erfüllt, ohne mit der Wimper zu zucken, habe mich sowohl persönlich als auch im Krieg dem Kampf gestellt, habe Gipfel erklommen und bin mehrmals um ein Haar ertrunken. Aber ich glaube, die sogenannten Mutigen und die zur Memme abgestempelten unterscheiden sich nur darin, daß die letzteren Angst vor der Gefahr, die ersteren Angst nach der Gefahr verspüren.
Gewiß kann keinen in einer äußerst bedrohlichen Lage große Furcht packen, da er sich viel zusehr auf die eigentliche Sache konzentriert und das zur Begegnung oder Entkommen Erforderliche sein Denken mit Beschlag belegt. Der Feigling ist also ein Feigling, weil er seine Angst mitbringt; Leute, die wir für feige halten, belustigen uns zuweilen mit ihrer Verwegenheit, falls sie vorher nicht gewarnt sind, was ihnen drohe.
Meister Gurloes, den ich als Knabe für einen Mann von unerschrockenem Mut hielt, war zweifellos ein Feigling. In der Zeit, in der Drotte unser Lehrlingswart war, hatten Roche und ich abwechselnd die Meister Gurloes und Palaemon zu bedienen; eines Nachts, als Meister Gurloes sich in seine Stube zurückgezogen, mich aber zum Bleiben und Nachschenken aufgefordert hatte, zog er mich ins Vertrauen.
»Junge, kennst du die Klientin Ia? Tochter eines Waffenträgers und recht hübsch.«
Als Lehrling hatte ich mit Klienten wenig zu tun; ich schüttelte den Kopf.
»Sie ist zu mißbrauchen.«
Ich hatte keine Ahnung, was er meinte, also antwortete ich: »Ja, Meister.«
»Das ist die größte Schande, die über eine Frau kommen kann. Oder über einen Mann. Mißbraucht zu werden. Durch einen Folterer.« Er deutete auf seine Brust, warf den Kopf zurück und betrachtete mich. Er hatte einen erstaunlich kleinen Kopf für einen so großen Mann; hätte er ein Hemd oder eine Jacke getragen (was er natürlich nie tat), wäre man zu glauben versucht gewesen, es sei gepolstert.