»Ja, Meister.«
»Willst du dich nicht anbieten, das für mich zu erledigen? Ein junger Bursche wie du, voller Saft. Sag nicht, du bist noch unbehaart.«
Endlich verstand ich, was er meinte, und erwiderte, ich hätte nicht gewußt, das sei zulässig, da ich noch ein Lehrling sei; falls er es aber beföhle, würde ich selbstverständlich gehorchen.
»Das würdest du bestimmt. Sie ist nicht schlecht, weißt du. Aber groß, und ich mag keine großen Weiber. Da war vor einer Generation oder so der Bastard eines Beglückten in dieser Familie, darauf kannst du dich verlassen. Blut lügt nicht, sagt man, obwohl nur wir die volle Bedeutung davon ermessen können. Willst du es tun?«
Er hielt mir den Becher hin, und ich goß ein. »Wenn Ihr’s wünscht, Meister.« In Wahrheit schien es mir höchst verlockend, da ich noch keine Frau besessen hatte.
»Kannst nicht. Ich muß. Was, wenn man von mir Rechenschaft verlangte? Außerdem muß ich es bestätigen – die Papiere unterzeichnen. Seit zwanzig Jahren bin ich Meister der Gilde und habe noch nie Papiere gefälscht. Du glaubst wohl, ich kann’s nicht.«
Dieser Gedanke war mir ebensowenig durch den Kopf gegangen wie das Gegenteil (daß er noch über etwas Potenz verfüge) hinsichtlich Meister Palaemon, dessen weißes Haar, hängende Schultern und Augenglas den Eindruck erweckten, er sei schon immer altersschwach gewesen.
»Nun, schau her!« sagte Meister Gurloes und wuchtete sich aus dem Stuhl.
Er war einer von jenen, die selbst dann, wenn sie stark trunken sind, gerade gehen und deutlich sprechen können, und er schritt recht zuversichtlich zu einem der Wandschränke, obschon ich für einen Moment dachte, er würde den blauen Porzellantiegel, den er herausnahm, fallenlassen.
»Dies ist eine seltene und starke Droge.« Er hob den Deckel ab und zeigte mir ein dunkelbraunes Pulver. »Es wirkt immer. Du wirst es eines Tages brauchen, also solltest du Bescheid wissen. Nimm nur so viel, wie unter deinen Fingernagel geht, auf eine Messerspitze, verstehst du? Nähmst du zuviel, könntest du dich ein paar Tage lang nicht mehr aus dem Haus trauen.«
»Ich werd’s mir merken, Meister«, entgegnete ich.
»Natürlich ist es ein Gift. Das sind sie alle, und das ist das beste – ein bißchen mehr als das brächte einen um. Und man darf es erst nach dem Mondwechsel wieder nehmen, verstanden?«
»Vielleicht solltet Ihr Euch die Dosis von Bruder Corbinian abwiegen lassen, Meister.« Corbinian war unser Apotheker; ich hatte schreckliche Angst, Meister Gurloes würde vor meinen Augen einen Löffel voll schlucken.
»Ich? Ich brauch’s nicht.« Verächtlich schloß er den Deckel und knallte den Tiegel aufs Regal im Schrank.
»Das ist gut, Meister.«
»Außerdem …« – er winkte mir – »habe ich das.« Aus seiner Gürteltasche zog er einen eisernen Phallus. Er hatte eine Länge von ungefähr eineinhalb Spannen und war an der Wurzel mit einem Lederriemen versehen.
Es muß euch idiotisch vorkommen, die ihr dies lest, aber zunächst habe ich mir trotz der übertriebenen, wirklichkeitsgetreuen Nachbildung nicht vorstellen können, wozu er gut sei. Ich hatte eine unsinnige Ahnung, daß der Wein ihn kindisch gemacht hätte wie einen Knaben, der annimmt, es gäbe keinen wesentlichen Unterschied zwischen seinem hölzernen Roß und einem echten Reittier. Mir war zum Lachen zumute.
›»Mißbrauchen‹, so nennen sie es. Hier, siehst du, haben sie uns einen Ausweg offengehalten.« Er klatschte mit dem eisernen Phallus in die Hand – die gleiche Geste, fiel mir ein, wie der Menschaffe, der mich mit seiner Keule bedroht hatte. Jetzt hatte ich verstanden. Ekel packte mich.
Aber diesen Ekel würde ich jetzt nicht einmal empfinden, wäre ich wieder in der gleichen Situation. Ich hatte nicht Mitleid mit der Klientin, denn an sie dachte ich überhaupt nicht; mich stieß lediglich ab, daß Meister Gurloes trotz seiner Leibesfülle und großen Kraft gezwungen war, sich auf das braune Pulver zu verlassen, und noch schlimmer, auf den eisernen Phallus, den er mir zeigte, dieses Ding, das von einer Statue hätte abgesägt sein können und es vielleicht auch war. (Dennoch sah ich ihn bei anderer Gelegenheit, als die Sache unverzüglich angegangen werden mußte, weil zu befürchten war, die Anordnung könnte anderweitig nicht ausgeführt werden, ehe die Klientin stürbe, augenblicklich und ohne Pulver oder Phallus und ohne Mühe handeln.)
Meister Gurloes war also ein Feigling. Dennoch war seine Feigheit vielleicht besser als der Mut, den ich an seiner Stelle gehabt hätte, denn Mut ist nicht immer ein Vorzug. Ich war mutig (als solches wird so etwas erachtet), als ich gegen die Menschenaffen kämpfte, indes war mein Mut nicht mehr als eine Mischung aus Tollkühnheit, Überraschung und Verzweiflung; im Stollen, wo nun kein Anlaß mehr zur Furcht mehr bestand, bekam ich Angst und hätte mir fast den Schädel an der niedrigen Decke eingeschlagen; aber ich hielt nicht inne oder verlangsamte auch nur meinen Schritt, bis ich vor mir die Öffnung entdeckte, die der gelobte Mondschein sichtbar machte. Dann allerdings hielt ich inne; mich in Sicherheit wähnend, wischte ich mein Schwert notdürftig mit dem zerrissenen Mantelsaum sauber und steckte es in die Scheide.
Sodann hängte ich es mir über die Schulter und schwang mich hinaus und hinab, indem ich mit den triefend nassen Stiefeln nach den Gesimsen tastete, die mir beim Aufstieg Halt gegeben hatten. Ich war gerade zum dritten gelangt, als dicht bei meinem Kopf zwei Bolzen ins Gestein schlugen. Einer davon mußte mit der Spitze in einen Riß im alten Gestein eingedrungen sein, denn er blieb, weiße Funken verströmend, darin stecken. Ich war zu Tode erschrocken und hoffte in den wenigen Augenblicken, bis der nächste noch näher aufprallen und mich fast blenden würde, daß es sich nicht um solche Armbrüste handelte, die beim Spannen ein neues Geschoß einlegten und somit in kürzester Zeit wieder schußbereit waren.
Als der dritte Bolzen an der Wand explodierte, wußte ich, daß es solche waren, und ließ mich fallen, ehe der Schütze, der mich verfehlt hatte, noch einmal abdrücken könnte.
Wo der Bach aus der Minenöffnung stürzte, befand sich, wie ich mir hatte denken können, ein tiefes Becken, wo mich abermals ein Tauchgang erwartete, was aber keine Rolle mehr spielte, da ich bereits durchnäßt war; das Bad löschte sogar die glühenden Teilchen, die an Gesicht und Armen hafteten.
Geschickt unter Wasser fortzutauchen, das stand hier außer Frage. Die Strudel erfaßten mich wie ein Stück Holz und wirbelten mich an die Oberfläche, wo sie wollten. Das war zu meinem allergrößten Glück ein ganzes Stück stromabwärts, so daß ich meine Angreifer von hinten sah, als ich das Ufer erklomm. Diese starrten zusammen mit der Frau, die in ihrer Mitte stand, auf die Stelle, wo sich der Wasserfall ergoß.
Zum letzten Mal in dieser Nacht zückte ich Terminus Est und rief: »Hier, Agia!«
Ich hatte mir schon gedacht, daß sie es war, und als sie sich umwandte (schneller als einer der beiden Männer bei ihr), sah ich ihr Gesicht im Mondschein. Es war ein für mich gräßliches Gesicht (so anmutig trotz aller Selbstverachtung), denn es bedeutete, daß Thecla bestimmt tot war.
Der Mann, der sich mir am nächsten befand, war so töricht, seine Armbrust an die Schulter zu legen, ehe er den Schuß auslöste. Ich duckte mich und schnitt ihm mit einem Hieb die Beine unter dem Leib ab, während der Bolzen des zweiten wie eine Sternschnuppe über meinen Kopf schwirrte.
Während ich mich wieder aufrichtete, ließ der zweite Mann die Armbrust fallen und zog seinen kurzen Säbel. Agia war schneller und hatte mit ihrer Klinge auf meinen Hals eingestochen, ehe es ihm gelang, seine Waffe aus der Scheide zu lösen. Ich wich Agias erstem Hieb aus und parierte den zweiten, obschon Terminus Est zum Fechten ungeeignet war. Ein Angriff meinerseits drängte sie zurück.