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»Ich hörte ihre Stimme, als du praktisch neben mir standest. Wird sie’s wieder versuchen?«

Ich wartete und überlegte, während er den kleinen Sattel in die Geschirrkammer trug. Als er zurück war, erwiderte ich: »Ja, bestimmt wird sie das. Ich habe ihr kein Versprechen abverlangt, wenn du das meinst. Sie würde es sowieso nicht halten.«

»Dann hätte ich sie getötet.«

»Ja«, meinte ich, »das wäre vernünftig gewesen.«

Wir gingen gemeinsam aus dem Stall. Es war nun so hell im Hof, daß wir den Brunnen und die breite Eingangstür sehen konnten.

»Ich glaube nicht, daß es richtig gewesen wäre – ich will nur sagen, daß ich es getan hätte. Ich hätte mir vorgestellt, im Schlaf erdolcht zu werden, irgendwo in einem schmutzigen Bett zu sterben, und ich hätte ausgeholt. Es wäre nicht richtig gewesen.« Jonas hob den Streitkolben, den der Menschenaffe zurückgelassen hatte, und führte damit in Nachahmung eines Schwertstreichs einen wuchtigen, gnadenlosen Schlag aus. Der Kopf blitzte im Licht auf, und wir machten große Augen. Er war aus gehämmertem Gold.

Keiner von uns hatte Lust, sich den Festlichkeiten anzuschließen, die der Jahrmarkt für jene, welche die ganze Nacht durchzecht hatten, noch zu bieten hatte. Wir zogen uns auf das Zimmer zurück, das wir uns teilten, und bereiteten uns aufs Schlafengehen vor. Als Jonas mir anbot, das Gold mit mir zu teilen, lehnte ich ab. Bis jetzt besaß ich Geld im Überfluß und den Vorschuß auf meinen Lohn, während er von meiner Großzügigkeit lebte. Nun war ich froh, daß er sich nicht mehr in meiner Schuld stehend fühlen müßte. Zugleich schämte ich mich, als ich sah, daß er mir hinsichtlich seines Goldes völlig vertraute, und als ich mich besann, wie sorgsam ich die Existenz der Klaue vor ihm verborgen hatte (und sogar noch verbarg). Ich fühlte mich verpflichtet, ihm davon zu erzählen, was ich aber nicht tat; statt dessen richtete ich es so ein, daß die Klaue beim Ausziehen des nassen Stiefels in die Schuhkappe rutschte.

Ich erwachte gegen Mittag und weckte, nachdem ich mich vergewissert hatte, daß die Klaue noch dort war, Jonas, der mich darum gebeten hatte. »Auf dem Markt gibt es bestimmt Schmuckhändler, die dafür einiges zahlen«, sagte er. »Zumindest kann ich mit ihnen handeln. Willst du mich begleiten?«

»Wir müssen etwas essen, woraufhin es Zeit für mich wird, den Gang zum Schafott anzutreten.« »An die Arbeit also.«

»Ja.« Ich hatte meinen Mantel aufgehoben. Er war arg zerrissen, und meine Stiefel waren stumpf und noch feucht.

»Eine der Mägde hier kann ihn dir nähen. Er wird zwar nicht wieder wie neu aussehn, doch um einiges besser als jetzt.« Jonas öffnete die Tür. »Komm mit, wenn du Hunger hast! Was siehst du dich denn so nachdenklich um?«

In der Gaststube wurde uns ein gutes Mahl aufgetragen, während die Frau Wirtin sich in einem Nebenraum mit Nadel und Faden meines Mantels annahm. Dabei erzählte ich Jonas, was sich unter dem Berg zugetragen hatte, und schloß mit den Schritten, die ich aus der Tiefe vernommen hatte.

»Du bist ein seltsamer Mann«, war alles, was er sagte.

»Du bist noch seltsamer. Du willst nicht, daß die Leute es erfahren, aber irgendwie bist du ein Fremdling.«

Er lächelte. »Ein Cocogentile?«

»Ein Fremdländer.«

Jonas schüttelte den Kopf und nickte dann. »Ja, das bin ich wohl. Aber du – du hast einen Talisman, der dich über Alpträume gebieten läßt, und du hast einen Silberschatz entdeckt. Dennoch sprichst du davon, wie ein anderer übers Wetter redet.«

Ich nahm einen Bissen Brot. »Es ist seltsam, du hast recht. Aber das Seltsame liegt in der Klaue selbst, nicht in mir. Und was das Sprechen darüber angeht, warum nicht? Würde ich dein Gold stehlen, könnte ich es verkaufen und den Erlös ausgeben, aber ich glaube nicht, daß es für denjenigen, der die Klaue stehlen würde, gut ausginge. Ich weiß nicht, warum ich das glaube, aber ich glaub’s, und gestohlen hat die Klaue natürlich Agia. Was das Silber angeht …«

»Und sie dir in die Tasche gesteckt?«

»In die Tasche, die an meinem Gürtel hängt. Wohlgemerkt war sie überzeugt, ihr Bruder würde mich töten. Dann wollten sie Anspruch auf meine Leiche erheben – so lautete ihr Plan – um Terminus Est und meine Gildentracht zu bekommen. So hätte sie nicht nur mein Schwert und meine Kleider, sondern auch die Klaue besessen, wobei man mir, nicht ihr, die Schuld gegeben hätte, wäre sie entdeckt worden. Ich erinnere mich …«

»Woran?«

»Daß die Pelerinen uns aufgehalten haben, als wir uns haben fortmachen wollen. Jonas, glaubst du, es stimmt, daß einige Leute die Gedanken anderer lesen können?«

»Natürlich.«

»Nicht jeder ist sich da so sicher. Meister Gurloes trat immer für diese Möglichkeit ein, Meister Palaemon indes wollte davon nichts hören. Ich glaube jedoch, die Oberpriesterin der Pelerinen hat es gekonnt, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Sie wußte, daß Agia etwas genommen hatte und ich nicht. Sie ließ Agia zum Durchsuchen ausziehen, ich aber wurde nicht durchsucht. Nachher zerstörten sie ihre Kathedrale, wofür wohl die verlorene Klaue der Grund war – immerhin war es die Kathedrale der Klaue.«

Jonas nickte versonnen.

»Aber ich wollte dich etwas ganz anderes fragen. Ich möchte wissen, was du von den Schritten im Berg hältst. Jeder kennt Erebus und Abaia und die anderen Wesen des Meeres, die eines Tages an Land kommen werden. Nichtsdestoweniger glaube ich, du weißt mehr darüber als wir anderen.«

Jonas Gesicht, das bis jetzt so offen gewesen war, wurde verschlossen und zurückhaltend. »Und wieso glaubst du das?«

»Weil du ein Seemann gewesen bist und wegen der Geschichte über die Bohnen – die Geschichte, die du am Tor erzählt hast. Du mußt mein braunes Buch gesehen haben, als ich oben gelesen habe. Es nennt alle Geheimnisse der Welt oder zumindest das, was verschiedene Gelehrte als solche erachtet haben. Ich habe es nicht ganz, nicht einmal halb gelesen, obwohl Thecla und ich alle paar Tage einen Abschnitt gelesen und in den Zeiten zwischen den Lesungen darüber disputiert haben. Wie mir aufgefallen ist, sind alle Erklärungen in diesem Buch einfach und kindisch.«

»Wie meine Geschichte.«

Ich nickte. »Deine Geschichte könnte diesem Buch entnommen sein. Als ich es zu Thecla brachte, nahm ich an, es sei für Kinder oder für solche Erwachsene gedacht, die an kindischem Zeug Gefallen finden. Aber als wir über einige der darin ausgeführten Gedanken gesprochen hatten, wurde mir klar, daß sie so ausgedrückt sein mußten oder überhaupt nicht auszudrücken wären. Hätte der Verfasser eine neue Methode der Weinherstellung oder die besten Liebespraktiken beschreiben wollen, hätte er eine komplexe und exakte Sprache verwenden können. Aber in dem Buch, das er tatsächlich schrieb, mußte er sagen: ›Am Anfang war nur das Hexameron‹, oder: ›Es gilt nicht, die Statue still stehen zu sehen, sondern die Stille stehen zu sehn.‹ Das, was ich aus der Tiefe hörte – war das eins davon?«

»Ich hab’s nicht gesehen.« Jonas erhob sich. »Ich gehe jetzt raus, um die Keule zu verkaufen, aber vorher will ich dir noch sagen, was ihren Männern früher oder später alle Frauen sagen: ›Ehe du weitere Fragen stellst, überlege dir, ob du wirklich eine Antwort hören willst.‹«

»Eine Frage noch«, sagte ich, »die letzte, das versprech’ ich dir. Als wir durch die Mauer passierten, erklärtest du, die Gestalten, die wir da drinnen sahen, seien Soldaten, hier stationiert, um Abaia und die übrigen abzuwehren. Sind die Menschenaffen gleichartige Soldaten? Und falls ja, was können Krieger in Menschengröße ausrichten, wenn unsere Widersacher groß wie Berge sind? Und wieso haben die alten Autarchen keine menschlichen Soldaten benutzt?«

Jonas hatte die Keule in einen Lappen gewickelt und legte sie von einer Hand in die andere, während er vor mir stand. »Das sind drei Fragen, von denen ich nur die zweite mit Gewißheit beantworten kann. Bei den anderen werde ich raten, allerdings binde ich dich an dein Versprechen; das ist das letzte Mal, daß wir über so etwas reden.