Nun wendete sich das Schicksal. Der Bärtige, der Terminus Est hielt, versuchte es zu ziehen, da er aber mit der richtigen Handhabung eines so langen Schwertes nicht vertraut war – man mußte die Parierstange mit der einen, das Mundblech der Scheide mit der anderen Hand ergreifen und die Klinge durch das Öffnen der Arme nach links und rechts lösen – versuchte er, es herauszuziehen, als würde er ein Kraut aus dem Boden reißen. Bei diesem plumpen Unterfangen wurde er von einem der wiegenden Schritte des Baluchitheriums überrascht, so daß er gegen den Mann mit dem Narbengesicht torkelte. Die Schneiden der Klinge, die so scharf waren, daß sie ein Haar gespalten hätten, schnitten sie beide; der Mann mit dem Narbengesicht wich erschrocken zurück, und Jonas, der einen Fuß um denjenigen des narbigen Mannes hakte und mit der Schuhsohle des anderen gegen sein Bein drückte, beförderte ihn über den Rand der Reitkanzel.
Währenddessen hatte der Schwarzbärtige Terminus Est fallengelassen und starrte auf seine Wunde, die sehr lang, wenn auch gewiß nicht tief war. Ich kannte diese Waffe wie die eigene Hand, und im Nu hatte ich mich gedreht und gebückt und das Heft gepackt, das ich mir dann zwischen die Absätze klemmte, um die Fesseln um meine Handgelenke zu durchtrennen. Der Schwarzbärtige zückte ein Messer und wollte mich erstechen, hätte ihm Jonas nicht einen Tritt zwischen die Beine versetzt.
Er beugte und krümmte sich, und bevor er sich wieder aufrichten konnte, war ich längst aufgesprungen und stand mit Terminus Est bereit.
Durch eine Muskelkontraktion hat er sich krampfhaft aufgebäumt, wie man es oft erlebt, wenn man das Opfer nicht hat niederknien lassen; ich glaube, das spritzende Blut ist für den Tierbändiger das erste Anzeichen gewesen (so schnell ist alles gegangen), daß etwas nicht gestimmt hat. Er blickte über die Schulter, und ich erwischte ihn recht ordentlich mit einem waagrechten Schwertstreich, den ich, aus der Kanzel gelehnt, einhändig führte.
Sein Kopf war kaum auf den Boden gefallen, als das Baluchitherium zwischen zwei große Bäume trat, die so eng beieinander standen, daß es sich anscheinend hindurchzwängen mußte wie eine Maus durch einen Mauerspalt. Dahinter erstreckte sich eine freie Lichtung, wie ich sie in diesem Wald noch nicht gesehen hatte – bewachsen mit Gras und Farnen und übersät mit sonnigen Flecken, die ohne grüne Schattierung hell wie Königsgelb funkelten. Hier hatte unter einem Baldachin aus blühendem Rankengeflecht Vodalus seinen Thron errichten lassen; und hier saß er, wie es sich fügte, als wir eindrangen, an der Seite von Chatelaine Thea und richtete und belohnte seine Anhänger.
Jonas bemerkte nichts von alledem, da er noch auf dem Boden der Kanzel lag, wo er sich mit dem Messer die Hände freischnitt. Ich hingegen sah um so besser, aufrecht und angelehnt auf dem schaukelnden Rücken des Baluchitheriums stehend, das Schwert, das nun rot bis zum Heft war, erhoben. Hundert Gesichter wandten sich uns zu, darunter das Gesicht des Beglückten auf dem Throne und das herzförmige Gesicht seiner Gefährtin; und in ihren Augen sah ich, was sie in diesem Moment sehen mußten: das gewaltige Tier, von einem kopflosen Mann geritten, mit blutüberströmten Flanken; mich selbst in stolzer Pose obenauf, mit Schwert und rußschwarzem Mantel.
Wäre ich abgesprungen, um zu fliehen, oder hätte ich versucht, das Baluchitherium zu einem schnelleren Gang anzutreiben, wäre ich umgekommen. Bestärkt vom Geist, der über mich gekommen war, als ich die uralten, sorgsam konservierten Leichen im Schutt der Minen und die ewigen Bäume sah, blieb ich, wie ich war, und das nun führungslose Baluchitherium schritt unentwegt voran (Vodalus’ Anhänger wichen zur Seite um ihm Platz zu machen), bis es an das Podest, das den Thron und den Baldachin trug, gelangte. Dort hielt es an, und der Tote kippte nach vorne und fiel vor Vodalus’ Füße aufs Podest. Ich beugte mich aus der Kanzel und schlug dem Tier mit der flachen Klinge an das eine und das andere Bein, so daß es niederkniete.
In Vodalus’ Miene trat ein feines Lächeln, das viele Dinge barg, aber Belustigung war auch darunter und vielleicht das Ausschlaggebende. »Ich schickte meine Männer, den Scharfrichter zu holen«, sagte er. »Ich sehe, es ist gelungen.«
Ich salutierte, indem ich das Schwertheft vor meine Augen hielt, wie wir es zu tun gelehrt worden waren für den Fall, daß ein Beglückter einer Hinrichtung auf dem Großen Platz beiwohnte. »Sieur, sie haben Euch das Gegenteil eines Scharfrichters gebracht – es gab eine Zeit, da wäre Euer Kopf auf frisch ausgehobene Erde gerollt, wäre ich nicht gewesen.«
Er blickte mich nun genauer an, musterte mein Gesicht anstelle von Schwert und Mantel und erwiderte sogleich: »Ja, du warst der Jüngling. Ist es schon so lange her?«
»Lange genug, Sieur.«
»Wir wollen das persönlich bereden, aber nun bin ich mitten in einer allgemeinen Aussprache. Stell dich dorthin!« Er deutete auf eine Stelle links vor dem Podest.
Ich kletterte, gefolgt von Jonas, vom Rücken des Baluchitheriums, und zwei Knechte führten das Tier fort. Dann warteten wir und lauschten Vodalus, der seine Befehle erteilte, seine Pläne vermittelte und Strafen aussprach, was etwa eine Wache dauerte. All das menschliche Prunkwerk von Säulen und Bögen ist lediglich eine Nachahmung der Stämme und Laubkronen des Waldes in sterilem Stein, und hier habe ich den Eindruck gewonnen, daß sich die beiden bis auf die graue oder weiße Farbe des einen und der braunen und hellgrünen des anderen kaum unterschieden. Ich glaubte nun auch zu verstehen, warum alle Soldaten des Autarchen und die Scharen der Beglückten Vodalus nicht zu bezwingen vermochten – er besaß die mächtigste Festung der Urth, viel größer noch als unsere Zitadelle, mit der ich sie verglichen hatte.
Schließlich entließ er die Menge, und alle Männer und Frauen kehrten an ihre Stellung zurück, während er vom Podest stieg und mit mir sprach, wobei er sich zu mir herabbeugte, wie ich mich über ein Kind gebeugt hätte.
»Du hast mir einst gedient«, sagte er. »Deshalb will ich dein Leben schonen, was immer auch geschehe, obschon es vielleicht erforderlich ist, daß du noch eine Weile mein Gast bleibst. Wirst du mir, da dein Leben nicht mehr in Gefahr schwebt, noch einmal dienen?«
Der Eid für den Autarchen, den ich anläßlich meiner Erhebung abgelegt hatte, hatte nicht die Kraft, der Erinnerung an jenen nebligen Abend, mit dem ich diese Erzählung meines Lebens begann, zu widerstehen. Ein Eid ist nur eine schwache Ehrensache verglichen mit dem Wohl, das wir anderen zuteilwerden lassen, was eine Sache von Seele und Geist ist; rette einem das Leben, und du bist ein Leben lang sein. Mir ist oft zu Ohren gekommen, man finde keine Dankbarkeit. Das stimmt nicht – wer das sagt, hat stets an der falschen Stelle gesucht. Wer sich wirklich für das Wohl eines anderen einsetzt, befindet sich im Augenblick auf einer Stufe mit dem Pancreator und wird aus Dankbarkeit für diese Erhebung dem anderen sein Lebtag dienen; und so sprach ich zu Vodalus.
»Gut!« sagte er und klopfte mir auf die Schulter. »Komm! Nicht weit von hier steht eine gedeckte Tafel. Setz dich mit deinem Freund zu mir, wenn du willst, und ich sage dir, was zu tun ist!«
»Sieur, ich habe schon einmal Schande über meine Zunft gebracht. Daß ich das nicht wieder muß, ist das einzige, worum ich bitte.«
»Nichts, was du tust, wird bekannt werden«, erwiderte Vodalus. Und das genügte mir.
X
Thea
Mit etwa einem Dutzend Begleitern verließen wir zu Fuß die Lichtung und fanden eine halbe Meile entfernt im Wald eine Tafel vor. Ich bekam den Platz zu Vodalus Linker, und während die übrigen aßen, tat ich nur so und weidete meine Augen an ihm und seiner Dame, die ich mir so oft ins Gedächtnis zurückgerufen hatte, als ich unter den Lehrlingen in unserem Turm auf meiner Pritsche lag.
Als ich ihn, wenigstens in meinem Geiste, gerettet hatte, war ich noch ein Knabe gewesen, und einem Knaben erscheinen alle Erwachsenen groß, wenn sie nicht gerade von zwergenhafter Statur sind. Wie ich nun sah, war Vodalus ebenso groß wie Thecla oder größer und Theclas Halbschwester Thea so groß wie sie. Nun wußte ich, daß sie wahrhaft von beglücktem Geblüt und nicht nur Waffenträger wie Sieur Racho waren.