Bald fand ich mich auf dem weichen Waldboden sitzend wieder, zwischen Jonas zu meiner Rechten und einem niedrigen Holzstuhl zu meiner Linken. Der Waffenträger hatte sich rechts von Jonas niedergelassen, und die übrigen Anwesenden hatten (fast wie wenn sie auf unsere Ankunft gewartet hätten) einen Kreis gebildet, dessen Mitte eine rauchige orangefarbene Laterne darstellte, die von einem Baum hing.
Nicht mehr als ein Drittel der Audienzbesucher auf der Lichtung war hier versammelt, aber aus den Kleidern und Waffen schloß ich, daß es sich hauptsächlich um hochgestellte Persönlichkeiten und daneben um einige Vertreter begünstigter Stammtruppen handelte. Es kamen vier bis fünf Männer auf jede Frau; aber die Frauen wirkten ebenso kriegerisch wie die Männer und mindestens so begierig auf den Festbeginn.
Wir hatten eine Weile gewartet, als Vodalus bühnengerecht aus der Dunkelheit auftauchte und den Kreis betrat. Alle Anwesenden erhoben sich und ließen sich wieder nieder, nachdem er auf dem Holzstuhl neben mir Platz genommen hatte.
Fast augenblicklich erschien ein Mann in der Livree eines höheren Dieners eines großen Hauses und stellte sich in die Mitte des Kreises unter die orangefarbene Lampe. Er trug ein Servierbrett mit einer großen und kleinen Flasche und einem Kristallkelch darauf. Ein Gemurmel hob an – wohl weniger in Form von Sprache, sondern allerhand kleinen Lauten der Zufriedenheit, wie keuchenden Atemstößen und schmatzendem Lippenlecken. Der Mann mit dem Servierbrett verharrte regungslos, bis dies seinen Lauf genommen hatte, und trat dann gemessenen Schrittes vor Vodalus.
Hinter mir hörte ich Theas Säuselstimme sagen: »Der Alzabo, von dem ich dir erzählt habe, ist in der kleineren Flasche. In der anderen befindet sich eine Kräutermixtur, die lindernd auf den Magen wirkt. Nimm einen ganzen Schluck von der Mischung.«
Vodalus wandte sich ihr mit erstaunter Miene zu.
Sie betrat den Kreis, indem sie zwischen Jonas und mir und sodann zwischen Vodalus und dem Mann mit dem Servierbrett hindurchging, und nahm schließlich zur Linken von Vodalus ihren Platz ein. Vodalus beugte sich ihr zu und wollte ihr etwas sagen, aber der Mann mit dem Servierbrett hatte begonnen, den Inhalt der Flaschen im Kelch zu mischen, und er hielt den Moment offenbar für sehr unpassend.
Das Servierbrett wurde im Kreise geschwenkt, um die Flüssigkeit sanft in eine Drehbewegung zu versetzen. »Sehr gut«, sagte Vodalus. Er nahm den Kelch mit beiden Händen vom Servierbrett, setzte ihn an die Lippen und reichte ihn weiter zu mir. »Wie die Chatelaine schon gesagt hat, mußt du einen ganzen Schluck nehmen. Nimmst du weniger, reicht es nicht aus, und du wirst nicht teilhaben können. Nimmst du mehr, so bringt dir das keinen Vorteil; es ist eine Verschwendung der sehr kostbaren Droge.«
Ich trank aus dem Kelch, wie er mich geheißen hatte. Die Mixtur schmeckte bitter, war kalt und stank, was mich an einen längst vergangenen Wintertag erinnerte, an dem ich das äußere Abflußrohr der Gesellenquartiere hatte reinigen müssen. Im ersten Moment wurde mir wie am Bach wieder speiübel, und es kam mir hoch, obschon mein Magen eigentlich schon leer war. Ich würgte und schluckte und reichte Jonas den Kelch, woraufhin ich im Mund starken Speichelfluß bemerkte.
Er hatte mindestens die gleichen Schwierigkeiten wie ich, aber schließlich brachte er es hinter sich und übergab den Kelch dem Waldgrafen, der unsere Wächter angeführt hatte. Nun machte der Kelch langsam die Runde. Offenbar reichte der Inhalt für zehn Leute; als das Gefäß leer war, wischte der Mann in Livree den Rand ab, füllte es wieder aus den Flaschen auf dem Servierbrett und ließ es weiterkreisen.
Allmählich löste sich scheinbar die feste Form, die einem rundlichen Gegenstand zu eigen ist, auf, und der Diener wurde zur bloßen Silhouette, zur bunten Holzfigur. Das erinnerte mich an die Marionetten, die ich im Traum gesehen hatte, als ich in Baldanders Bett schlief.
Auch der Kreis, in dem ich saß, wirkte, obwohl er bestimmt aus dreißig bis vierzig Menschen bestand, wie ausgeschnitten aus Papier und wie eine Spielzeugkrone verbogen. Vodalus zu meiner Linken und Jonas zu meiner Rechten machten einen normalen Eindruck; aber sowohl der Waffenträger als auch Thea erschienen schon halb wie ein Büd.
Als der Mann in Livree zu ihr gelangte, erhob sich Vodalus und schwebte mit so freien und grazilen Bewegungen, als hätte ihn der Nachtwind getragen, zur orangefarbenen Laterne. Im orangefarbenen Licht wirkte er weit entfernt, dennoch spürte ich seinen Blick, wie man die Hitze der Kohlenpfanne, in der die Brandeisen vorglühen, spürt.
»Es ist ein Eid zu schwören vor der Teilnahme«, sagte er, und die Bäume über uns nickten feierlich. »Beim zweiten Leben, das ihr erhaltet, schwört ihr, daß ihr die hier Versammelten nie verraten werdet? Und daß ihr ohne Zögern oder Bedenken bis in den Tod, wenn’s sein muß, Vodalus als eurem erwählten Führer zu gehorchen bereit seid?«
Ich wollte mit den Bäumen nicken, aber als dies nicht ausreichend schien, sagte ich: »Ich bin bereit«, und Jonas: »Ja.«
»Und daß ihr wie Vodalus jedem gehorcht, den Vodalus über euch stellt?«
»Ja.«
»Ja.«
»Und daß ihr diesen Eid über jeden Eid setzt, den ihr geschworen habt oder noch schwören werdet?«
»Ja«, antwortete Jonas.
»Ja«, sagte ich.
Der Wind hatte sich gelegt. Es war, als hätte ein rastloser Geist die Versammlung heimgesucht, um sogleich wieder zu verschwinden. Vodalus saß abermals auf dem Stuhl neben mir. Er beugte sich zu mir. Falls er lallte, fiel es mir nicht auf; in seinen Augen jedoch las ich, daß er unter dem Einfluß des Alzabos stand, vielleicht ebenso stark wie ich.
»Ich bin kein Gelehrter«, begann er, »aber ich weiß, es ist gesagt worden, daß sich zum höchsten Zweck oft das gemeinste Mittel gesellt. Nationen vereint der Handel, das schöne Elfenbein und erlesene Holz von Altären und Reliquien das gekochte Gedärm niedriger Tiere, Männer und Frauen die Ausscheidungsorgane. So sind auch wir vereint – du und ich. So werden wir beide sogleich mit einem Mitmenschen vereint, der – einstweilen wieder stark – in uns aufleben wird durch den Saft, den man aus dem Bregen eines der schmutzigsten Tiere preßt. So treibt auch Mist Blüten.«
Ich nickte.
»Dies haben uns unsere Verbündeten gelehrt, die warten, bis die Menschheit wieder geläutert ist und bereit, sich ihnen zur Eroberung des Universums anzuschließen. Es wurde gebracht von den anderen mit niederträchtigen Absichten, die sie zu verbergen trachteten. Ich sage dir das, weil du, wenn du zum Haus Absolut gehst, diesen vielleicht begegnest, welche das Volk Cocogens nennt und der Gebildete Extrasolarianer oder Hierodulen. Sei auf der Hut, diesen auf keine Weise aufzufallen, denn wenn sie dich genauer besehen, erkennen sie an gewissen Zeichen, daß du Alzabo benutzt hast.«
»Zum Haus Absolut?« Der Gedanke verwehte den Nebel der Droge, wenn auch nur für einen Augenblick.
»Gewiß! Ich habe dort einen Gefährten, dem ich bestimmte Instruktionen übermitteln muß, und ich habe erfahren, daß die Schauspielertruppe, zu der du einst gehört hast, dort in ein paar Tagen auftreten darf. Ihr wirst du dich wieder anschließen und bei dieser Gelegenheit das, was ich dir gebe«, er kramte in seiner Tunika, »übergeben an jemand, der zu dir sagt: ›Die pelagische Argosie sieht Land.‹ Und sollte er dir seinerseits eine Botschaft mitteilen, kannst du sie demjenigen anvertrauen, der zu dir sagt: ›Ich bin vom eichenen Penetralium.‹«
»Herr«, versetzte ich, »in meinem Kopf dreht sich alles.« (Dann, lügend:) »Ich kann mir diese Worte nicht merken –ehrlich, ich hab’ sie schon vergessen. Habe ich richtig gehört, daß Dorcas und die anderen im Haus Absolut sein werden?«
Vodalus drückte mir nun einen kleinen Gegenstand in die Hand, der die Form eines Messers hatte, aber kein Messer war. Ich sah ihn mir an; es war ein Stahl, wie man ihn zusammen mit Flint zum Feuerschlagen benutzt. »Du wirst sie dir merken«, sagte er. »Und du wirst niemals deinen Eid für mich vergessen. Viele von denen, die du hier siehst, sind, wie sie glauben, nur einmal gekommen.«