Dann wird sie fortgewirbelt in einem Zimmer, dessen Wände und Decke und Boden allesamt aus Spiegeln sind. Zweifellos ist es ihre Erinnerung an ihr Abbild in diesen Spiegeln, die ich sehe, aber nach ein, zwei Schritten verschwindet sie in der Dunkelheit, und ich sehe sie nicht mehr.
Als Jonas zurückkehrte, hatte ich meinen Kummer bezähmt und vermochte sogar, bei ihm den Eindruck zu erwecken, ich sähe mir gerade unsere Reittiere näher an. »Der schwarze ist für dich«, meinte er, »und der Schimmel natürlich für mich, obwohl beide offenbar für einen jeden von uns zu wertvoll sind, wie der Seemann zum Chirurgen sagte, der ihm die Beine abnahm. Wohin geht es?«
»Zum Haus Absolut.« Ich sah sein ungläubiges Gesicht. »Hast du nicht gehört, was mir Vodalus in der Nacht gesagt hat?«
»Ich hörte, daß davon die Rede war, aber nicht, daß wir dorthin sollten.«
Ich bin, wie schon gesagt, kein guter Reiter, trotzdem habe ich den Fuß in den Steigbügel des Rappen gestellt und mich hochgeschwungen. Das Roß, das ich vorgestern abend von Vodalus gestohlen hatte, war mit einem hohen Soldatensattel ausgerüstet, der zwar unmenschlich hart war, aus dem man aber nicht so leicht stürzen konnte; dieser Rappe hingegen trug ein fast flaches Ding aus gepolstertem Samt, das sowohl weich als auch tückisch war. Kaum hatte ich die Beine um ihn geschlungen, als er auch schon eifrig zu tänzeln begann.
Es war vielleicht die unmöglichste Zeit, zugleich aber auch die einzige Zeit, die blieb. »An wieviel erinnerst du dich?« fragte ich.
»Bezüglich der Frau in der Nacht? An nichts.« Jonas umging den Rappen, band die Zügel des Schimmels los und sprang auf. »Ich habe nicht gegessen. Vodalus beobachtete dich, aber nachdem sie die Droge geschluckt hatten, beachtete mich keiner mehr. Außerdem habe ich die Kunst gelernt, mich essend zu stellen, ohne es allerdings wirklich zu tun.«
Ich sah ihn verblüfft an.
»Auch bei dir habe ich das mehrmals angewandt – beim gestrigen Frühstück, zum Beispiel. Ich habe nicht viel Appetit und finde das sehr nützlich, wenn ich in Gesellschaft bin.« Während er den Schimmel einen Waldweg hinab lenkte, rief er über die Schulter zurück: »Zufällig kenne ich die Strecke recht gut, zumindest das erste Stück davon. Aber würdest du so nett sein und mir sagen, was uns dorthin führt?«
»Dorcas und Jolenta werden dort sein«, antwortete ich. »Und ich habe für unsern Herrn, Vodalus, etwas zu erledigen.« Weil wir mit großer Sicherheit beobachtet wurden, hielt ich es für besser zu verschweigen, daß ich keineswegs die Absicht dazu hatte.
Hier muß ich, damit diese Erzählung meiner Laufbahn keine Ewigkeit dauert, die Ereignisse der folgenden Tage kurzerhand überspringen. Während unseres Rittes berichtete ich Jonas alles, was mir Vodalus gesagt hatte, und viel mehr. Wir hielten in Dörfern und Städten, auf die wir stießen, Rast, und wo wir weilten, waltete ich bedarfsgemäß meines Amtes – nicht weil wir das Geld, das ich mir verdiente, unbedingt gebraucht hätten (denn wir besaßen die Säckel von Chatelaine Thea, den Großteil meines Lohnes von Saltus und Jonas’ Verkaufserlös für das Gold des Menschenaffen), sondern um keinen Argwohn zu erregen.
An unserm vierten Morgen jagten wir noch immer gen Norden. Der Gyoll sonnte sich zu unserer Rechten wie ein träger Drache, die verbotene Straße bewachend, die an seinem Ufer verwilderte. Am Vortag hatten wir patrouillierende Ulanen gesehen, Männer auf Rossen wie den unsrigen, mit Lanzen bewehrt, ähnlich jenen, die am Erbärmlichen Tor die Reisenden niedergemetzelt hatten.
Jonas, dem seit unserem Aufbruch nicht wohl zumute war, murmelte: »Wir müssen uns beeilen, wenn wir noch heut’ abend in die Nähe des Hauses Absolut kommen wollen. Ich wünschte, Vodalus hätte dir mitgeteilt, wann diese Feier beginnt und wie lange sie in etwa dauert.« »Ist es noch weit zum Haus Absolut?« fragte ich.
Er deutete auf eine Insel im Fluß. »Ich glaube, mich daran zu erinnern. Als ich zwei Tage davon entfernt war, erfuhr ich von Pilgern, das Haus Absolut sei in der Nähe davon. Sie warnten mich vor den Prätorianern und wußten offenbar, wovon sie redeten.«
Seinem Beispiel folgend, hatte ich mein Roß in einen Trab wechseln lassen. »Warst du zu Fuß?«
»Mit dem Merychippus – ich glaube, das arme Tier werde ich nicht wiedersehn. Offengestanden war es in seinen besten Zeiten langsamer als diese Renner in ihren schlechtesten, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie doppelt so schnell sind.«
Ich wollte schon einwenden, Vodalus hätte uns wohl kaum geschickt, wenn er es nicht für möglich gehalten hätte, daß wir das Haus Absolut rechtzeitig erreichten, als etwas eine Handbreit an meinem Kopf vorbeiglitt, das mir zunächst wie eine große Fledermaus vorgekommen war.
Wenn ich auch keine Ahnung hatte, was es war, Jonas wußte es. Er rief mir etwas zu, das ich nicht verstehen konnte, und peitschte mit seinem Zügelende auf meinen Renner ein. Er sprang an, so daß ich fast gestürzt wäre, und im nächsten Augenblick jagten wir in wildem Galopp davon. Ich erinnere mich, zwischen zwei Bäumen mit keiner Spanne Platz zu beiden Seiten hindurchgeschossen zu sein und das Ding zu sehen, das sich wie ein Rußfleck vom Himmel abgezeichnet hat. Im nächsten Augenblick ratterte es durchs Geäst hinter uns.
Als wir vom Waldrand in die trockene Wasserrinne dahinter wechselten, war es nicht mehr zu sehen; aber als wir den Talgrund erreichten und die jenseitige Böschung anritten, tauchte es aus den Bäumen auf, zerfetzter denn je.
Ein Stoßgebet lang war mir, als hätte es uns aus den Augen verloren, denn es schwebte in die falsche Richtung, nur um dann im flachen Segelflug auf uns niederzustoßen. Ich hatte Terminus Est gezückt und lenkte den Rappen zwischen das flatternde Ding und Jonas.
So schnell unsre Renner auch waren, es näherte sich viel schneller. Hätte ich eine Stoßwaffe besessen, hätte ich es beim Niederschnellen wohl aufspießen können, was ihm sicherlich den Garaus gemacht hätte. So mußte ich es eben mit einem zweihändigen Hieb erwischen. Es war wie ein Schlag durch die Luft, und offenbar war das Ding sogar für meine beißende Schneide zu leicht und zäh. Im nächsten Moment riß es entzwei wie ein Lumpen, wobei ich kurz eine Hitze spürte, als wäre das Türchen eines Ofens geöffnet und lautlos wieder geschlossen worden.
Ich wollte absteigen, um es mir anzusehn, aber Jonas schrie und winkte mir. Wir hatten den hohen Wald von Saltus weit hinter uns gelassen und ritten in ein zerklüftetes Land mit steilen Hängen und struppigen Zedern. Ein solcher Hain stand auf der Kuppe eines Hügels; tolldreist drangen wir in das Dickicht ein, flach auf den Hals unserer Renner geduckt.
Bald wurde das Geäst so dicht, daß sie nur noch im Schritt vorwärtskamen. Sogleich stießen wir auf eine blanke Felswand und waren zum Anhalten gezwungen. Nachdem wir nicht mehr durch das Geäst brachen, konnte ich hinter uns noch etwas hören – ein dürres Rascheln, wie wenn ein verwundeter Vogel durch die Wipfel flatterte. Der heilsame Zedernduft drückte auf meine Lungen.
»Wir müssen hier raus«, brüllte Jonas, »oder wenigstens in Bewegung bleiben!« Ein Aststumpf hatte ihm die Wange aufgeschrammt; beim Sprechen rann ihm das Blut herunter. Nachdem er sich in alle Richtungen umgesehen hatte, entschied er sich für rechts, zum Fluß hin, und drosch auf seinen Schimmel ein, um ihn in ein schier undurchdringliches Dickicht zu treiben.
Ich ließ ihn vorausgehen und einen Weg bahnen, weil ich überlegte, daß ich das Ding bei einem neuen Angriff wohl am besten abwehren könnte. Bald entdeckte ich es zwischen den graugrünen Nadeln; sogleich bemerkte ich ein zweites, dem ersten sehr ähnliches, nur ein kurzes Stück dahinter.