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»Wunderbar«, entfuhr es Jolenta. »Man wird nichts dagegen haben, wenn wir eins nehmen, nicht wahr? Wenn doch, wird man mich zu jemand Wichtigem bringen wie im Stück, und wenn er mich sieht, wird er mich nicht mehr gehen lassen. Ich verlange, daß Dr. Talos bei mir bleibt – und du, wenn du willst. Man wird für dich Verwendung finden.«

Ich erwiderte, daß ich meine Reise in den Norden fortsetzen müsse, und hob sie in das Boot, indem ich meinen Arm um ihre Taille legte, die fast so schlank wie Dorcas’ war.

Sie legte sich sofort auf das Polster nieder, wo die aufgestellten Blumenblätter ihrem vollendeten Teint Schatten spendeten. Das ließ mich an Agia denken, wie wir lachend über die Adamnische Treppe gingen und sie mit dem breitrandigen Hut prahlte, den sie nächstes Jahr tragen wollte. Agia hatte keinen Zug, der einem Vergleich mit Jolenta standhalten könnte; sie war kaum größer als Dorcas, hatte zu dicke Hüften, und ihre Brüste wirkten angesichts Jolentas überquellender Fülle mager; ihre langen, braunen Augen und hohen Wangenknochen drückten mehr Verschlagenheit und Willenskraft als Leidenschaft und Fügsamkeit aus. Dennoch hatte Agia in mir eine gesunde Brunst entfacht. Ihr Lachen war, wenn es erschallte, oft von Spott gefärbt; aber es war ein echtes Lachen. War sie lüstern, brach der Schweiß ihr aus allen Poren; Jolentas Verlangen hingegen war nur das Verlangen, begehrt zu werden, was in mir den Wunsch auslöste – nicht ihre Einsamkeit zu lindern, wie ich die verlassene Valeria hatte trösten wollen, oder für eine schmerzliche Liebe wie meine Liebe zu Thecla einen Ausdruck zu finden oder sie zu beschützen, wie ich Dorcas beschützen wollte – sondern sie zu beschämen und zu bestrafen, ihre Selbstbeherrschung zu brechen, ihre Augen mit Tränen zu füllen und ihr die Haare auszureißen, wie man das Haar von Toten verbrennt, um die entwichenen Geister zu peinigen. Sie hatte damit geprahlt, aus Frauen Tribaden zu machen. Mich hätte sie fast zum Algophilisten gemacht.

»Das ist mein letzter Auftritt, bestimmt. Ich spür’s. Es wird unter dem Publikum gewiß jemand sein …« Sie gähnte und streckte sich. Ich rechnete so fest damit, daß ihr gespanntes Mieder sie nicht mehr fassen konnte, daß ich den Blick abkehrte. Als ich wieder zu ihr hinsah, schlief sie.

Ein schmales Ruder hing hinter dem Boot herunter. Ich nahm es in die Hand und stellte fest, daß der Rumpf trotz seiner runden Form darunter einen Kiel hatte. In der Flußmitte war die Strömung ausreichend stark, so daß ich während unserer gemächlichen Fahrt nur die sanft gewellten Windungen zu durchsteuern hatte. Wie der Diener in Mönchskutte und ich Zimmerfluchten, Alkoven und Arkaden ungesehen durchschritten hatten, als er mich durch die verborgenen Gänge des Geheimen Hauses geleitete, so glitten nun auch die schlafende Jolenta und ich laut- und mühelos durch viele Meilen des Gartens. Paare lagen im weichen Gras unter Bäumen oder in bequemen Lauben und schienen zu denken, unser Gefährt sei lediglich zur Zierde und zu ihrem Ergötzen auf diese müßige Reise flußabwärts geschickt worden, oder – falls sie meinen Kopf über dem geschwungenen Blütenrand sahen – wir seien auf eigene Dinge erpicht. Einsame Philosophen meditierten auf schlichten Hockern, und Gesellschaften, nicht immer erotische, gingen ungestört in Lauben und Pavillons vonstatten.

Schließlich verübelte ich Jolenta, daß sie schlief. Ich ließ vom Ruder ab und kniete mich neben sie auf das Polster. In ihrem schlummernden Gesicht lag trotz aller Künstlichkeit eine Reinheit, die ich nie beobachtet hatte, wenn sie wach war. Ich küßte sie, und ihre großen, kaum geöffneten Augen wirkten fast wie Agias lange Augen, wie auch ihr rotgoldenes Haar beinahe braun schien. Ich knöpfte ihr Gewand auf. Sie kam mir benommen vor, ob wegen einer Schlafdroge in den dicken Polstern oder wegen des langen Spaziergangs im Freien und der Bürde ihrer so üppigen Leibesfülle. Ich entblößte ihre Brüste, eine jede beinahe so groß wie ihr Kopf, und jene weißen Schenkel, die zwischen sich gleichsam ein frisch geschlüpftes Küken bargen.

Als wir zurückkehrten, wußte jeder, wo wir gewesen waren, obschon sich Baldanders wohl nichts daraus machte. Dorcas weinte insgeheim, während sie sich eine Weile zurückzog, denn sie kam mit geröteten Augen und einem heldenmütigen Lächeln wieder. Dr. Talos war zugleich erzürnt und entzückt. Ich bekam den Eindruck (den ich bis heute habe), daß er Jolenta nie besessen hatte, obschon sie sich von allen Männern auf Urth nur ihm ganz freiwillig hingegeben hätte.

Die bis zur Dämmerung verbleibenden Wachen brachten wir damit zu, Dr. Talos’ Feilschen mit verschiedenen Hofbeamten des Hauses Absolut anzuhören oder zu proben. Da ich bereits angedeutet habe, was es bedeute, auf Dr. Talos’ Bühne zu agieren, will ich nun den ungefähren Text wiedergeben – nicht wie er auf den schmutzigen Zetteln existiert hat, die wir an diesem Nachmittag von Hand zu Hand gereicht und die oft nur einen Hinweis zum Improvisieren enthalten haben, sondern wie ihn ein fleißiger Sekretär im Publikum festgehalten hätte; und wie er tatsächlich festgehalten worden ist von jenem dämonischen Zeugen, der hinter meinen Augen wohnt.

Aber zunächst müßt ihr euch unser Amphitheater vorstellen. Der Rand der Urth ist wieder einmal mühsam über die rote Scheibe geklettert; Fledermäuse mit langen Schwingen flattern in der Höhe, und der fahle Mond steht tief im Osthimmel. Stellt euch eine sanft ansteigende Senke vor, tausend Schritt oder mehr von Rand zu Rand, inmitten sanft gewellter, grasbedeckter Hügel. Es sind Türen in diesen Hügeln, manche nicht größer als der Eingang zu einem gewöhnlichen Zimmer, andere so breit wie die Tore einer Basilika. Diese Türen stehen offen, und dunstig-weiches Licht dringt durch sie heraus. Gepflasterte Wege schlängeln sich zum kleinen Portal unseres Proszeniums herab; sie sind übersät mit Männern und Frauen in närrischen Kostümen – Kostümen, die dem Altertum nachempfunden sind, so daß ich mit meinem bruchstückhaften Geschichtswissen von Thecla und Meister Palaemon kaum eins davon erkenne. Diener, mit Servierbrettern beladen, die sich unter den Bechern und Kelchen, köstlichen Fleischspeisen und duftenden Pasteten biegen, schreiten durch die Gästeschar. Schwarze Sessel aus Samt und Ebenholz, feingliedrig wie Grillen, sind gegenüber unserer Bühne aufgestellt, aber die meisten Besucher ziehen es vor zu stehen. Während der ganzen Vorstellung herrscht ein unentwegtes Kommen und Gehen, und viele bleiben nur für ein Dutzend Sätze. Laubfrösche quaken in den Bäumen, die Nachtigallen trillern, und auf den Hügeln schreiten die wandelnden Statuen in vielen Posen. Alle Bühnenrollen werden von Dr. Talos, Baldanders, Dorcas, Jolenta oder mir gespielt.

XXIV

Dr. Talos’ Schauspieclass="underline"

Eschatologie und Genesis

Eine Aufführung (wie er behauptet) von Teilen des verschollenen Buchs der Neuen Sonne

Personen

Gabriel

Der Riese Nod

Meschia, erster Mann

Meschiane, erste Frau

Jahi

Der Autarch

Die Contessa

Ihre Zofe

Zwei Soldaten

Eine Statue

Ein Prophet

Der Generalissimus

Zwei Dämonen (verkleidet)

Der Inquisitor

Sein Vertrauter

Engel

Die Neue Sonne

Die Alte Sonne

Der Mond

Der Hintergrund ist dunkel. GABRIEL tritt auf, in goldenem Licht gebadet und ein kristallenes Clarino tragend.

GABRIEL: Zum Gruß. Ich habe Euch die Bühne bereitet – das ist schließlich meine Aufgabe. Die Alte Sonne ist untergegangen. Sie wird nicht wieder am Himmel erscheinen. Morgen wird die Neue Sonne aufgehn, und meine Geschwister und ich werden sie willkommen heißen. Heut’ nacht … Heut’ nacht weiß man nicht. Alle schlafen. Schwere, langsame Schritte. NOD kommt.