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»Sie hat mir Stachys genommen! Jetzt ist sie tot. Verstehst du? Sie war doch unschuldig, aber wie bin ich froh!«

Ich nickte abermals und schritt wieder eine Runde übers Schafott, den Kopf in die Höhe haltend.

»Ich habe sie getötet!« kreischte Eusebia. »Nicht du …«

»Wenn du meinst«, rief ich zu ihr hinab.

»Unschuldig! Ich hab’ sie gekannt – so sorgsam. Sie hätte sich etwas aufgespart – Gift für sich selbst. Sie wäre in den Tod gegangen, ehe ihr sie hättet ergreifen können.«

Hethor packte sie am Arm und deutete auf mich. »Mein Herr und Meister! Meiner!«

»Also war’s jemand anders. Oder vielleicht doch eine Krankheit …«

Ich rief: »Allein in der Hand des Demiurgen liegt alle Gerechtigkeit!« Die Leute krakeelten immer noch, obschon ich sie inzwischen zumindest ein wenig hatte besänftigen können.

»Aber sie hat mir Stachys gestohlen, und nun ist sie hinüber.« Dann lauter denn je: »O wie wunderbar! Es ist aus mit ihr!« Daraufhin tauchte Eusebia ihr Gesicht in das Bukett, als wollte sie ihre Lungen bis zum Platzen mit dem widerlichen Rosenduft füllen. Ich ließ Morwennas Haupt in den dafür vorgesehenen Korb fallen und wischte meine Schwertklinge mit dem roten Flanelltuch, das Jonas mir reichte, sauber. Als ich wieder zu Eusebia blickte, lag sie leblos in einem Kreis von Schaulustigen auf dem Boden ausgestreckt.

Zunächst machte ich mir darüber keine Gedanken, weil ich vermutete, daß in ihrem großen Freudestaumel das Herz versagt hatte. Später an diesem Nachmittag ließ der Alkalde das Bukett vom Apotheker untersuchen, der in den Blüten ein starkes, tückisches Gift feststellte, das ihm unbekannt war. Morwenna muß es, wie ich vermute, beim Besteigen des Blutgerüsts in der Hand gehalten und es bei unserem Rundgang nach der Brandmarkung in die Blumen gestreut haben.

Es sei mir gestattet, hier innezuhalten und gleichsam von Geist zu Geist etwas zu sagen, obschon uns vielleicht die Abgründe von Äonen trennen. Was ich bis jetzt niedergeschrieben habe – vom versperrten Tor bis zum Jahrmarkt zu Saltus –, umfaßt den Großteil meines erwachsenen Lebens, denn was noch zu berichten bleibt, betrifft nur ein paar Monate, dennoch glaube ich, in meiner Erzählung noch nicht einmal bis zur Hälfte gelangt zu sein. Damit sie keine so große Bibliothek wie die des alten Ultan fülle, werde ich (daraus mache ich kein Hehl) vieles überspringen. Die Hinrichtung von Agias Zwillingsbruder Agilus habe ich geschildert, weil sie für meine Geschichte bedeutsam ist; die Hinrichtung von Morwenna aufgrund der damit einhergehenden ungewöhnlichen Umstände. Andere Hinrichtungen indes werde ich nur wiedergeben, wenn sie von besonderer Wichtigkeit sind. Wenn dich also das Leiden und Sterben anderer ergötzt, wirst du bei mir wenig Befriedigung finden. Es soll genügen zu sagen, daß ich den Viehdieb den angeordneten Anwendungen unterzogen habe, welche mit seiner Enthauptung schließlich erfüllt gewesen sind. In der Beschreibung meiner künftigen Reisen ist davon auszugehen, daß ich das Mysterium unserer Zunft praktiziert habe, wo immer mir das einträglich erschienen ist, auch wenn ich diese Geschäfte im einzelnen nicht aufführe.

V

Der Bach

An diesem Abend speisten Jonas und ich allein in unserem Zimmer. Es ist eine Wonne, wie ich festgestellt habe, allseits beliebt und bekannt zu sein; es ist aber auch beschwerlich, und man wird es müde, immer die gleichen einfältigen Fragen zu beantworten und die Einladungen zum Trinken höflichst abzulehnen.

Es war zu einer kleinen Meinungsverschiedenheit mit dem Alkalden bezüglich des Entgelts für meine Arbeit gekommen, da ich der Meinung war, daß ich neben dem angezahlten Viertel zu Beginn meiner Verdingung den vollen Lohn beim Tode jedes Klienten erhielte, während der Alkalde, wie er sagte, beabsichtige, mich erst dann ganz auszubezahlen, wenn alle drei erledigt wären. Einer solchen Regelung hätte ich nie zugestimmt, und sie mißfiel mir insbesondere in Hinblick auf die Warnung des grünen Mannes (die ich aus Loyalität für Vodalus für mich behalten hatte). Nachdem ich jedoch angedroht hatte, am morgigen Nachmittag nicht zu erscheinen, bekam ich mein Geld; der Streit war beigelegt. Nun saßen Jonas und ich über einem dampfenden Holzteller voll Fleisch bei einer Flasche Wein, die Tür war geschlossen und verriegelt und der Wirt angewiesen, meine Anwesenheit in seinem Haus zu leugnen. Ich hätte mich rundherum wohl gefühlt, hätte mich der Wein in meinem Becher nicht so lebhaft an jenen viel besseren Wein erinnert, den Jonas am Vorabend in unserem Wasserkrug entdeckte, nachdem ich mir insgeheim die Klaue angesehen hatte.

Jonas, der mich wohl beobachtete, wie ich in die hellrote Flüssigkeit starrte, goß sich ebenfalls einen Becher ein und meinte: »Wohlgemerkt bist du nicht verantwortlich für die Urteile. Wenn du nicht gekommen wärst, hätten sie ihre Strafe früher oder später trotzdem erhalten und in den Händen eines nicht so geübten Vollstreckers vermutlich mehr gelitten.«

Ich fragte, was er damit wohl sagen wolle.

»Ich sehe dir an, es bedrückt dich … was heute gewesen ist.«

»Ich denke, es ist gut gelaufen«, erwiderte ich. .

»Du weißt, was der Tintenfisch sagte, als er aus dem Riementangbett der Meerjungfer stieg: ›Ich bezweifle nicht dein Können – ganz im Gegenteil. Aber du siehst aus, als täte dir ein bißchen Aufmunterung gut.‹«

»Wir sind nachher immer ein wenig verzagt. Das hat Meister Palaemon immer gesagt, und es hat sich auch in meinem Fall bestätigt. Er nannte es eine rein mechanische, psychologische Funktion, was mir damals als bloßes Oxymoron vorgekommen ist. Nun aber habe ich Bedenken, ob er nicht doch recht gehabt hat. Konntest du zusehen, oder hattest du zu viel zu tun?«

»Ich stand die meiste Zeit auf der Treppe hinter dir.«

»Ein guter Platz mit bester Sicht. Also hast du genau verfolgen können, wie’s gegangen ist – es lief wie am Schnürchen, nachdem wir beschlossen hatten, nicht länger auf den Stuhl zu warten. Ich vollbrachte mein Werk lobenswert und stand im Brennpunkt der Bewunderung. Danach überkommt einen Mattigkeit. Meister Palaemon pflegte von Massenmelancholie und höfischer Melancholie zu sprechen; manche von uns hätten beides, andere keins von beiden, wieder andere nur eins davon. Nun, ich habe die Massenmelancholie; festzustellen, ob ich auch die höfische Melancholie habe, diese Möglichkeit wird sich mir in Thrax wohl kaum bieten.«

»Und was ist das?« Jonas blickte in seinen Becher mit Wein.

»Ein Folterer, sagen wir ein Meister in der Zitadelle, wird zuweilen mit Beglückten von höchstem Range zusammengebracht. Nehmen wir an, es gibt einen äußerst empfindsamen Gefangenen, der jedoch über wichtiges Wissen verfügt. Wahrscheinlich wird irgendein hochangestellter Beamter dazu bestimmt, dem Verhör dieses Gefangenen beizuwohnen. Sehr oft hat er wenig Erfahrung in den peinlichen Anwendungen, so daß er den Meister mit Fragen überhäufen oder ihm vielleicht gewisse Bedenken bezüglich der Gemütslage oder des Wohlbefindens des Vernommenen anvertrauen wird. Ein Folterer fühlt sich unter solchen Umständen im Mittelpunkt aller Dinge …«

»Und kommt sich dann verlassen vor, sobald es vorüber ist. Ja, ich glaube, das sehe ich ein.«

»Hast du schon einmal erlebt, wie so etwas abläuft, wenn gepfuscht wird?«

»Nein. – Willst du nichts von diesem Fleisch essen?«

»Ich auch nicht, aber ich habe Leute darüber berichten gehört, deswegen bin ich so nervös gewesen. Es haben sich schon Klienten losgerissen und sind in die Menge geflohen. Es sind schon mehrere Hiebe erforderlich gewesen, um den Hals durchzuschlagen. Es haben Folterer schon alle Zuversicht verloren und nicht mehr weitermachen können. Als ich auf dieses Schafott sprang, konnte ich nicht wissen, daß nichts von alledem mir passierte. Wenn ja, wäre es für immer aus gewesen.«