Nur die Fastnachtshexe aß nichts davon. Sie schaute der richtigen kleinen Hexe nach, die jetzt kichernd auf ihrem Besen davonritt, und dachte:
„Nein, so etwas, so etwas! Am Ende stimmt es nun doch, daß sie einhundertsiebenundzwanzigeinhalb Jahre alt ist..."
Fastnacht im Walde
„Fastnacht", meinte an diesem Abend der Rabe Abraxas, als sie daheim in der warmen Stube saßen und warteten, bis die Bratäpfel gar wären — „Fastnacht ist eine famose Sache! Nur schade, daß es bei uns im Wald keine Fastnacht gibt!"
„Fastnacht im Walde?" fragte die kleine Hexe und blickte von ihrem Strickstrumpf auf. „Warum soll es bei uns im Wald keine Fastnacht geben?"
Da sagte der Rabe: „Das weiß ich nicht. Aber es ist einmal so, und es läßt sich nicht ändern."
Die kleine Hexe lachte in sich hinein, denn ihr war bei den Worten des Raben ein lustiger Einfall gekommen. Sie schwieg aber vorerst darüber, stand auf, ging zum Ofen und holte die Bratäpfel. Als sie die Äpfel verspeist hatten, sagte sie:
„übrigens, lieber Abraxas — ich muß dich um einen Gefallen bitten... Fliege doch morgen früh durch den Wald und bestelle den Tieren, die dir begegnen werden, sie möchten am Nachmittag alle zum Hexenhaus kommen!"
„Das kann ich schon machen", sagte Abraxas. „Nur werden die Tiere auch wissen wollen, warum du sie einlädst. — Was soll ich da antworten?"
„Antworte", sagte die kleine Hexe wie obenhin, „daß ich sie auf die Fastnacht einlade."
„Wie!" rief Abraxas, als ob er nicht recht gehört habe, „sagtest du: auf die Fastnacht?!"
„Ja", wiederholte die kleine Hexe, „ich lade sie auf die Fastnacht ein — auf die Fastnacht im Walde."
Auf dies hin bestürmte der Rabe Abraxas die kleine Hexe mit tausend Fragen. Was sie denn vorhabe, wollte er wissen; und ob es auf ihrer Fastnacht auch Neger, Chinesen und Eskimos geben werde.
„Abwarten!" sagte die kleine Hexe. „Wenn ich dir heute schon alles verraten würde, dann hättest du morgen den halben Spaß daran."
Dabei blieb es.
Der Rabe Abraxas flog also am nächsten Tag durch den Wald und bestellte den Tieren, sie möchten am Nachmittag alle zum Hexenhaus kommen. Und wenn sie mit anderen Tieren zusammenträfen, dann
sollten sie denen das gleiche bestellen. Je mehr auf die Fastnacht kämen, versicherte er, desto besser. Am Nachmittag kam es auch richtig von allen Seiten herbeigeströmt: Eichhörnchen, Rehe und Hasen, zwei Hirsche, ein Dutzend Kaninchen und Scharen von Waldmäusen. Die kleine Hexe hieß sie willkommen und sagte, als alle versammelt waren:
„Nun wollen wir Fastnacht feiern!"
„Wie macht man das?" piepsten die Waldmäuse.
„Heute soll jeder anders sein, als er sonst ist", erklärte die kleine Hexe. „Ihr könnt euch zwar nicht als Chinesen und Türken verkleiden, aber dafür kann ich hexen!"
Sie hatte sich längst überlegt, was sie hexen wollte.
Den Hasen hexte sie Hirschgeweihe, den Hirschen hexte sie Hasenohren. Die Waldmäuse ließ sie wachsen, bis sie so groß wie Kaninchen waren, und die
Kaninchen ließ sie zusammenschrumpfen, daß sie wie Waldmäuse wurden. Den Rehen hexte sie rote, blaue und grasgrüne Felle, den Eichhörnchen hexte sie Rabenflügel.
„Und ich?" rief Abraxas. „Ich hoffe doch, daß du auch mich nicht vergessen wirst!"
„Aber nein", sprach die kleine Hexe. „Du kriegst einen Eichhörnchenschwanz!"
Sich selber hexte sie Eulenaugen und Pferdezähne. Da sah sie beinahe so häßlich aus wie die Muhme Rumpumpel.
Als sie nun alle verwandelt waren, hätte die Fastnacht beginnen können. Aber auf einmal vernahmen sie von drüben, vom Backofen her, eine heisere Stimme.
„Darf man da mitfeiern?" fragte die Stimme; und als sich die Tiere verwundert umschauten, kam um die Backofenecke ein Fuchs geschlichen.
„Ich bin zwar nicht eingeladen", sagte der Fuchs, „aber sicherlich werden die Herrschaften nichts dagegen haben, wenn ich so frei bin und trotzdem zur Fastnacht komme..."
Die Hasen schüttelten ängstlich die Hirschgeweihe, die Eichhörnchen flatterten vorsichtshalber aufs Hexenhaus, und die Waldmäuse drängten sich schutzsuchend hinter die kleine Hexe.
„Fort mit ihm!" riefen entsetzt die Kaninchen. „Das fehlte noch! Nicht einmal sonst sind wir sicher vor diesem Halunken! Und jetzt, wo wir klein sind wie Waldmäuse, ist es erst recht gefährlich!"
Der Fuchs tat beleidigt. „Bin ich den Herrschaften etwa nicht fein genug?" Schwanzwedelnd bat er die kleine Hexe: „Laßt mich doch mitmachen!"
„Wenn du versprichst, daß du niemandem etwas zuleide tust.
„Das verspreche ich", sagte er scheinheilig. „Ich verpfände mein Wort dafür. Wenn ich es brechen sollte, will ich mein Leben lang nur noch Kartoffeln und Rüben fressen!"
„Das würde dir schwerfallen", sagte die kleine Hexe. „Wir wollen es lieber gar nicht erst soweit kommen lassen!" Und weil sie den schönen Reden mißtraute, so hexte sie kurz entschlossen dem Fuchs einen Entenschnabel.
Jetzt konnten die anderen Tiere beruhigt sein, denn es war ihm beim besten Willen nicht möglich, sie aufzufressen. Sogar die zusammengeschrumpften Kaninchen brauchten ihn nicht zu fürchten.
Die Fastnacht im Walde dauerte bis in den späten Abend. Die Eichhörnchen spielten Fangen, der Rabe Abraxas neckte die bunten Rehe mit seinem buschigen Schwanz, die Kaninchen hopsten dem Fuchs vor dem Schnabel herum, und die Waldmäuse machten Männchen und piepsten den Hirschen zu: „Bildet euch ja nichts ein, ihr seid auch nicht viel größer als wir!" Die Hirsche nahmen es ihnen nicht weiter übel; sie stellten abwechselnd einmal das linke und einmal das rechte Hasenohr auf, und im übrigen dachten sie: Fastnacht ist Fastnacht!
Zuletzt, als der Mond schon am Himmel stand, sagte die kleine Hexe: „Nun wird es allmählich Zeit, daß wir Schluß machen. Aber bevor ihr nach Hause geht, sollt ihr noch etwas zu fressen bekommen!"
Sie hexte den Rehen und Hirschen ein Fuder Heu vor, den Eichhörnchen einen Korb voller Haselnüsse, den Waldmäusen Haferkörner und Bucheckern. Den Kaninchen und Hasen spendierte sie je einen halben Kohlkopf. Zuvor aber hexte sie alle Tiere in ihre gewöhnliche Größe, Gestalt und Farbe zurück — nur den Fuchs nicht.
„Entschuldige", schnatterte der Fuchs mit dem Entenschnabel, „kann ich nicht auch meine Schnauze zurückbekommen? Und wenn du den Rehen und Hasen zu fressen gibst — warum mir nicht?"
„Gedulde dich", sagte die kleine Hexe, „du sollst nicht zu kurz kommen! Warte nur, bis sich die
anderen Gäste empfohlen haben. Bis dahin — du weißt schon!"
Der Fuchs mußte warten, bis auch die letzte Waldmaus in ihrem Loch war. Dann endlich befreite die kleine Hexe auch ihn von dem Entenschnabel. Erleichtert fletschte der Fuchs die Zähne und machte sich heißhungrig über die Knackwürste her, die jetzt plötzlich vor seiner Nase im Schnee lagen.
„Schmecken sie?" fragte die kleine Hexe.
Aber der Fuchs war so sehr mit den Würsten beschäftigt, daß er ihr keine Antwort gab — und das war j a, im Grunde genommen, auch eine Antwort.
Der Kegelbruder
Die Sonne hatte dem Winter Beine gemacht. Das Eis war dahingeschmolzen, der Schnee war zerronnen. Schon blühten an allen Ecken und Enden die Frühlingsblumen. Die Weiden hatten sich stattlich mit silbernen Kätzchen herausgeputzt, den Birken und Haselbüschen schwollen die Knospen.
Kein Wunder, daß alle Menschen, denen die kleine Hexe in diesen Tagen begegnete, frohe Gesichter machten. Sie freuten sich über den Frühling und dachten: Wie gut, daß der Winter endlich vergangen ist! Wir haben uns lang genug mit ihm plagen müssen!