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Einmal spazierte die kleine Hexe zwischen den Feldern dahin. Da hockte am Rain eine Frau, die so kümmerlich dreinschaute, daß es der kleinen Hexe zu Herzen ging.

„Was hast du denn?" fragte sie teilnahmsvoll. „Paßt denn ein solches Gesicht zu dem schönen Wetter? Du hast wohl noch gar nicht gemerkt, daß Frühling ist!"

„Frühling?" sagte die Frau mit trauriger Stimme. „Ach ja, du magst recht haben. Aber was nützt mir das? Frühling und Winter, für mich ist es immer das gleiche. Der gleiche Ärger, die gleichen Sorgen. Am liebsten möchte ich tot sein und unter dem Rasen liegen."

„Na, na!" rief die kleine Hexe. „Wer wird denn in deinem Alter vom Sterben reden! Erzähle mir lieber, was dich bedrückt, und dann wollen wir sehen, ob ich dir helfen kann."

„Mir kannst du bestimmt nicht helfen", seufzte die Frau. „Aber ich kann dir ja meine Geschichte trotzdem erzählen. Es handelt sich nämlich um meinen Mann. Der ist Schindelmacher. Als Schindelmacher verdient man sich keine Reichtümer. Aber

wir hätten an dem, was die Schindelmacherei einbringt, genug, um nicht hungern zu müssen. Wenn nur mein Mann nicht das ganze Geld auf der Kegelbahn durchbringen würde! Was er am Tag mit der Arbeit verdient, das verjubelt er Abend für Abend bei seinen Kegelbrüdern im Wirtshaus. Für mich und die Kinder bleibt nichts davon übrig. — Ist das kein Grund, daß ich mich unter die Erde wünsche?"

„Ja, hast du denn nie versucht, deinem Mann ins Gewissen zu reden?" fragte die kleine Hexe.

„Und wie ich geredet habe!" sagte die Frau. „Aber eher könnte man einen Stein erweichen. Er hört nicht auf mich, es ist alles umsonst geredet."

„Wenn Worte nicht helfen, dann muß man ihm eben auf andere Weise beikommen!" meinte die kleine Hexe. — „Bringe mir morgen früh ein paar Haare von deinem Mann. Es genügt schon ein kleines Büschel. Dann wollen wir weitersehen."

Die Schindelmacherin tat, was die kleine Hexe von ihr verlangt hatte. Anderntags in der Frühe kam sie heraus an den Feldrain und brachte ein Büschel Haare von ihrem Mann mit. Das gab sie der kleinen Hexe und sagte:

„Ich habe ihm heute nacht, als er schlief, dieses Haarbüschel abgeschnitten. Hier hast du es! Aber ich kann mir nicht denken, wozu es dir nützen soll."

„Dir und nicht mir soll es nützen!" sagte die kleine Hexe geheimnisvoll. „Geh jetzt nach Hause und warte in Ruhe ab, was geschehen wird. Deinem Mann soll die Freude am Kegeln gründlich vergehen! Noch ehe die Woche um ist, wird er kuriert sein!"

Die Frau ging nach Hause und wußte sich keinen Reim darauf. Aber die kleine Hexe wußte dafür um so besser, was sie zu tun hatte. Sie verscharrte die

Haare des Schindelmachers am nächsten Kreuzweg. Dazu sprach sie allerlei Zaubersprüche. Zuletzt kratzte sie mit dem Fingernagel genau an der Stelle, wo sie die Haare vergraben hatte, ein Hexenzeichen in den Sand. Dann sagte sie augenzwinkemd zum Raben Abraxas: „Erledigt! Nun kann sich der Schindelmacher auf etwas gefaßt machen!"

Der Schindelmacher ging auch an diesem Abend wieder zum Kegeln. Er trank mit den anderen Kegelbrüdem sein Bier, und dann fragte er:

„Wollen wir anfangen?"

„Fangen wir an!" riefen alle.

„Und wer soll den ersten Schub tun?"

„Der danach fragt!" hieß es.

„Gut", sprach der Schindelmacher und griff nach der Kegelkugel, „dann will ich mal gleich alle neune schieben. Paßt auf, wie sie purzeln werden!"

Erst holte er mächtig aus, und dann schob er.

Die Kugel rollte mit Rumpeldipumpel über die Kegelbahn. Wie ein Kanonenschlag krachte sie unter die Kegel. Rumms! flog dem Kegelkönig der Kopf ab! Die Kugel schoß weiter und schlug mit Getöse ein großes Loch in die Bretterwand.

„Hoi, Schindelmacher!" riefen die Kegelbrüder. „Was machst du denn? Willst du die Kegelbahn einreißen?"

„Sonderbar", brummte der Schindelmacher. „Es muß an der Kugel gelegen haben. Das nächste Mal nehme ich eine andere."

Als er das nächste Mal an die Reihe kam, ging es ihm aber noch schlechter, obwohl er von allen Kugeln die kleinste genommen hatte. Zwei Kegel riß sie in Stücke, daß die Splitter dem Kegeljungen nur so um die Ohren schwirrten — und wiederum schlug sie ein Loch in die Wand.

„Höre mal!" drohten die Kegelbrüder dem Schindelmacher. „Entweder schiebst du von jetzt an ein bißchen sanfter, oder wir lassen dich nicht mehr mitkegeln!"

Der Schindelmacher versprach ihnen hoch und heilig:

„Ich werde mir Mühe geben!"

Beim drittenmal schob er so sachte und vorsichtig, wie er sein Lebtag noch nicht geschoben hatte. Er stupste die Kugel nur mit zwei Fingern an — aber pardauz! fuhr sie zwischen die Kegel und prallte mit solcher Gewalt an den Eckpfosten, daß sie ihn mittendurchschlug!

Da knickte der Pfosten um, und nun krachte die halbe Decke herunter. Es hagelte Bretter und Bal- kentrümmer; Latten, Leisten und Dachziegel prasselten nieder. Es ging zu wie bei einem Erdbeben.

Schreckensbleich starrten die Kegelbrüder einander an. Als sie sich aber vom ersten Entsetzen erholt hatten, packten sie ihre Bierkrüge, warfen sie wutentbrannt nach dem Schindelmacher und riefen:

„Hinaus mit dir! Mach, daß du fortkommst! Mit so einem, der uns die Kegelbahn kurz und klein kegelt, wollen wir nichts zu schaffen haben! Kegle von nun an, mit wem du willst — aber hier ist es aus damit!"

Wie es dem Schindelmacher an diesem Abend ergangen war, so erging es ihm auch an den folgenden Abenden auf den anderen Kegelbahnen im Dorf und in den Nachbardörfern. Spätestens nach dem dritten Schub kam die Decke heruntergerumpelt. Dann flogen die Bierkrüge nach dem Schindelmacher, und die Kegelbrüder wünschten ihn auf den Mond. Noch ehe die Woche um war, durfte er nirgends mehr mitkegeln. Wo er auch auftauchte, hieß es:

„Um Gottes willen, der Schindelmacher! Schnell, schnell, laßt die Kegel verschwinden und packt die Kugeln weg! Dieser Mensch darf sie nicht in die Finger kriegen, sonst gibt es ein Unglück!"

Zum Schluß blieb dem Schindelmacher nichts anderes übrig, als ein für allemal von der Kegelei abzulassen. Statt Abend für Abend ins Wirtshaus zu gehen, blieb er nun immer zu Hause. Das machte ihm anfangs zwar keinen Spaß; aber mit der Zeit gewöhnte er sich daran, denn auch dafür hatte die kleine Hexe mit ihrem Zauberspruch vorgesorgt.

Der Frau und den Kindern war nun geholfen. Von jetzt an brauchten sie nicht mehr zu hungern — und damit konnte die kleine Hexe zufrieden sein.

Festgehext!

Der Rabe Abraxas war ein eingefleischter Junggeselle. Er pflegte zu sagen:

„Als Junggeselle lebt man bei weitem bequemer. Erstens braucht man kein Nest zu bauen. Zweitens braucht man sich nicht mit einer Frau herumzuärgern. Und drittens bleibt es einem erspart, daß man Jahr um Jahr für ein halbes Dutzend hungriger Rabenkinder sorgen muß. Zuerst fressen sie einen arm, und dann fliegen sie sowieso ihrer Wege. Ich weiß das von meinen Geschwistern, die alle seit langem verheiratet sind, und ich möchte mit keinem von ihnen tauschen."

Der Lieblingsbruder des Raben Abraxas hieß Kräx. Er hatte sein Nest auf der alten Ulme am Ufer des Entenweihers im Nachbardorf. Ihn besuchte Abraxas einmal in jedem Jahr, und zwar in der Zeit

zwischen Ostern und Pfingsten. Dann hatte seine Schwägerin die neuen Eier zwar schon gelegt, aber sie hatte sie noch nicht ausgebrütet. Da brauchte Abraxas nicht zu befürchten, daß er dem Bruder und seiner Schwägerin helfen mußte, ihre gefräßigen Rabenküken zu füttern.

Als er diesmal von seinem Besuch bei Kräxens zurückkehrte, merkte es ihm die kleine Hexe von weitem an, daß etwas nicht stimmte. Sie fragte ihn: ,rIst deinem Bruder Kräx etwas zugestoßen?" „Glücklicherweise noch nicht", antwortete Abraxas. „Aber mein Bruder und seine Frau sind in großer Sorge. Es strolchen dort in der Gegend seit einigen Tagen zwei Jungen herum, die steigen auf alle Bäume und heben die Nester aus. Vorgestern haben sie ein Amselnest ausgeplündert und gestern das Nest eines Elstempaares. Die Eier haben sie eingesteckt, und die Nester haben sie in den Entenweiher geworfen. Mein Bruder Kräx ist verzweifelt. Wenn das so weitergeht, wird auch sein eigenes Nest über kurz oder lang an die Reihe kommen."