„Willst du dich über mich lustig machen?"
„Wieso denn? Ich will, wenn du nichts dagegen hast, einen Besen kaufen."
„Das ist etwas anderes", sagte Abraxas, „dann komme ich selbstverständlich mit. Sonst könnte es sein, daß du wieder so lange ausbleibst!"
Der Weg nach dem Dorf führte quer durch den Wald, über Wurzelknorren und Felstrümmer, niedergebrochene Bäume und Hänge voll Brombeergestrüpp. Dem Raben Abraxas machte das wenig aus. Er saß auf der Schulter der kleinen Hexe und brauchte nur achtzugeben, daß ihm nicht unversehens ein Ast an den Kopf schlug. Aber die kleine Hexe stolperte immer wieder über die Wurzeln und blieb mit dem Rockzipfel an den Zweigen hängen.
„Ein elender Weg!" rief sie ein ums andere Mal. „Es tröstet mich nur, daß ich bald wieder reiten kann."
Sie kamen ins Dorf und betraten den Laden des Krämers Balduin Pfefferkorn. Herr Pfefferkorn dachte sich weiter nichts, als die kleine Hexe mit ihrem Raben zur Tür hereinkam. Er hatte noch nie eine Hexe gesehen. Deshalb hielt er sie für ein ganz gewöhnliches altes Weiblein aus einem der Nachbardörfer.
Er grüßte; sie grüßte zurück. Dann fragte Herr Pfefferkorn freundlich: „Was darf es denn sein?"
Als erstes kaufte die kleine Hexe ein Viertelpfund Kandiszucker. Dann hielt sie die Tüte dem Raben unter den Schnabel. „Bitte, bediene dich!"
„Danke schön!" krächzte Abraxas.
Herr Pfefferkorn staunte nicht schlecht. „Das ist aber ein gelehriger Vogel!" sagte er anerkennend, bevor er fortfuhr: „Was wünschen Sie außerdem?"
„Führen Sie Besen?" fragte die kleine Hexe.
„Gewiß doch!" sagte Herr Pfefferkorn. „Handbesen, Küchenbesen und Reisigbesen. Und auch Schrubber natürlich. Und wenn Sie vielleicht einen Staubwedel brauchen..."
„Nein danke, ich will einen Reisigbesen."
„Mit Stiel oder ohne?"
„Mit Stiel", verlangte die kleine Hexe. „Der Stiel ist das Wichtigste. Aber er darf nicht zu kurz sein."
„Wie wäre dann dieser hier?" meinte Herr Pfefferkorn diensteifrig. „Besen mit längeren Stielen sind im Augenblick leider ausgegangen."
„Ich glaube, er reicht mir", sagte die kleine Hexe, „ich nehme ihn."
„Darf ich den Besen ein wenig zusammenschnü- ren?" fragte Herr Pfefferkorn. „Wenn ich ihn etwas zusammenschnüre, trägt er sich besser..."
„Sehr aufmerksam", sagte die kleine Hexe, „aber das braucht's nicht."
„Ganz wie Sie wünschen." Herr Pfefferkorn zählte das Geld nach und brachte die kleine Hexe zur Tür.
„Habe die Ehre, auf Wiedersehen, gehorsamster..."
„Diener", wollte er noch hinzufugen. Aber da blieb ihm die Luft weg.
Er sah, wie die Kundin den Besenstiel zwischen die Beine klemmte. Sie murmelte etwas, und huiii! flog der Besen mit ihr und dem Raben davon.
Herr Pfefferkorn traute seinen Augen nicht.
Gott behüte mich! dachte er. Geht das mit rechten Dingen zu — oder träume ich?
Gute Vorsätze
Wie der leibhaftige Wirbelwind stürmte die kleine Hexe auf dem neuen Besen dahin. Mit flatternden Haaren und wehendem Kopftuch brauste sie über die Dächer und Giebel des Dorfes. Abraxas hockte auf ihrer Schulter und krallte sich mühsam fest.
„Aufpassen!" krächzte er plötzlich, „der Kirchturm!"
Gerade noch rechtzeitig konnte die kleine Hexe den Besen zur Seite rucken, sonst wäre sie haargenau an der Turmspitze hängengeblieben. Nur die Schürze verfing sich am Schnabel des eisernen Wetterhahnes. Ratsch! riß sie mitten entzwei.
„Flieg doch langsamer!" schimpfte der Rabe. „Mit diesem verdammten Gerase wirst du dir noch den Hals brechen! Bist du denn toll geworden?"
„Ich nicht", rief die kleine Hexe, „aber der Besen! Das Biest ist mir durchgegangen!"
Mit neuen Besen ist es genau wie mit jungen Pferden: man muß sie erst zähmen und zureiten. Wenn es dabei nur mit einer zerrissenen Schürze abgeht, so darf man von Glück sagen.
Aber die kleine Hexe war klug. Sie lenkte den Besen, so gut es ging, auf die freien Felder hinaus.
Dort konnte sie nirgends anstoßen. „Bocke nur!" rief sie dem Besen zu, „bocke nur! Wenn du dich müde gebockt hast, wirst du schon zur Vernunft kommen! Hussa!"
Der Besen versuchte auf alle erdenkliche Arten, sie los zu werden. Er machte die wildesten Kreuz-und Quersprünge, bäumte sich auf, ließ sich fallen — es half nichts. Die kleine Hexe blieb oben, sie ließ sich nicht abschütteln.
Endlich gab sich der Besen geschlagen, er konnte nicht mehr. Nun tat er aufs Wort, was die kleine Hexe von ihm verlangte. Gehorsam flog er bald schneller, bald langsam, geradeaus und im Bogen.
„Na also!" sagte die kleine Hexe zufrieden „Warum denn nicht gleich?"
Sie zupfte sich Kleider und Kopftuch zurecht. Dann gab sie dem Besen eins mit der flachen Hand auf den Stiel — und sie schwebten gemächlich dem Wald zu
Lammfromm war der neue Besen geworden. Sie segelten über die Wipfel und sahen tief drunten die Felsen und Brombeerhecken. Vergnügt ließ die kleine Hexe die Beine baumeln. Sie freute sich, daß sie jetzt nicht mehr zu Fuß gehen mußte. Sie winkte den Hasen und Rehen, die sie im Dickicht erspähte, und zählte die Fuchslöcher.
„Sieh mal — ein Jäger!" krächzte nach einer Weile der Rabe Abraxas und deutete mit dem Schnabel hinunter.
„Ich sehe ihn", sagte die kleine Hexe. Sie spitzte die Lippen und spuckte dem Jägersmann — pitsch! — auf den Hut.
„Warum tust du das?" fragte Abraxas.
Sie kicherte: „Weil es mir Spaß macht! Hihi! Er wird denken, es regnet!"
Der Rabe blieb ernst. „Das gehört sich nicht", sagte er tadelnd. „Als gute Hexe darf man den Leuten nicht auf den Hut spucken."
„Ach", rief sie ungehalten, „hör auf damit!"
„Bitte sehr", krächzte Abraxas beleidigt. „Aber die Muhme Rumpumpel wird sich bei solchen , Späßen' ins Fäustchen lachen..."
„Die Wetterhexe? — Was geht denn das die an?"
„Sehr viel!" rief der Rabe. „Was meinst du wohl, wie die sich freuen wird, wenn du bis nächstes Jahr keine gute Hexe geworden bist! Willst du ihr dieses Vergnügen gönnen?"
Die kleine Hexe schüttelte heftig den Kopf.
„Du bist aber, wenn mich nicht alles täuscht, auf dem besten Weg dazu", sagte Abraxas. Dann schwieg er. Die kleine Hexe schwieg auch. Was Abraxas gesagt hatte, gab ihr zu denken. Sie grübelte finster darüber nach. Aber wie sie die Sache auch drehen und wenden mochte, es blieb dabei, daß der Rabe recht hatte. Als sie zu Hause ankamen, sagte sie:
„Ja, es ist richtig, ich muß eine gute Hexe werden. Nur so kann ich dieser Rumpumpel eins auswischen. Grün und gelb soll sie werden vor Ärger!"
„Das wird sie!" krächzte Abraxas. „Du mußt aber freilich von heute an immer nur Gutes tun."
„Daran soll es nicht fehlen!" versprach sie.
Wirbelwind
Von nun an studierte die kleine Hexe täglich nicht sechs, sondern sieben Stunden im Hexenbuch. Bis zur nächsten Walpurgisnacht wollte sie alles im Kopf haben, was man von einer guten Hexe verlangen kann. Das Lernen machte ihr wenig Mühe, sie war ja noch jung. Bald konnte sie alle wichtigen Hexenkunststücke auswendig hexen.
Zwischendurch ritt sie auch manchmal ein bißchen spazieren. Wenn sie so viele Stunden lang fleißig geübt hatte, brauchte sie eine Abwechslung. Seit sie den neuen Besen besaß, geschah es sogar, daß sie hin und wieder ein Stück zu Fuß durch den Wald ging. Denn laufen müssen und laufen können ist zweierlei.