»Nancy«, unterbrach er sie. »Ich bin erst gestern zurückgekommen. Ich erfuhr, daß ich tot war und daß man meine Wohnung vermietet hatte. Ich habe keine Stelle mehr und …«
»Es ist unglaublich«, sagte Nancy. »Solche Dinge dürfen doch nicht passieren. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es zugegangen ist.«
»Ich weiß es selbst noch nicht genau«, erklärte Maxwell. »Vielleicht erfahre ich später mehr darüber.«
»Jedenfalls bist du jetzt hier, und alles ist in Ordnung, und wenn du nicht davon sprechen willst, lasse ich das unsere Gäste wissen.«
»Das ist sehr nett von dir«, sagte Maxwell. »Aber es würde nicht viel nützen.«
»Wegen Reportern brauchst du keine Angst zu haben«, versicherte ihm Nancy. »Früher lud ich immer einige ein, die ich für sicher hielt. Aber man kann keinem von ihnen trauen. Das habe ich inzwischen gelernt. Keine Sorge also.«
»Ich habe gehört, daß du ein neues Gemälde besitzt.«
»Ah, das weißt du also schon. Komm, sieh es dir an. Das tollste Stück meiner Sammlung. Stell dir vor, ein Lambert! Und einer, der verschollen war! Ich erzähle dir später, wie er gefunden wurde, aber ich wage es nicht, dir den Preis zu nennen. Er ist eine Schande.«
»Hoch oder niedrig?«
»Hoch«, sagte Nancy. »Und dabei muß man so vorsichtig sein. Man wird ja oft genug hereingelegt. Ich sagte keinen Ton, daß ich das Bild kaufen wollte, bis es ein Experte untersucht hatte. Eigentlich waren es zwei, denn ich wollte ganz sichergehen.«
»Und es besteht kein Zweifel daran, daß es ein Lambert ist?«
»Überhaupt kein Zweifel. Ich war selbst schon ziemlich sicher. So wie Lambert malt kein anderer. Aber es hätte ja sein können, daß ihn jemand kopiert hatte — daher die Vorsicht.«
»Was weißt du über Lambert?« fragte Maxwell. »Mehr als wir? Etwas, das nicht in den Büchern steht?«
»Nein. Eigentlich fast nichts. Wenigstens nicht über den Mann selbst. Weshalb fragst du?«
»Weil du so aufgeregt bist.«
»Also, hör mal! Findest du es nicht aufregend, wenn man einen unbekannten Lambert entdeckt? Ich habe schon zwei Gemälde von ihm, aber das hier ist etwas Besonderes, weil es verschollen war. Das heißt, verschollen ist eigentlich nicht das richtige Wort. Es war einfach unbekannt. Nirgends existiert eine Aufzeichnung davon. Wenigstens jetzt nicht mehr. Und es ist eine seiner sogenannten Grotesken. Man kann sich kaum vorstellen, daß so etwas verlorengehen konnte. Bei den frühen Bildern wäre es verständlich, aber so …«
Sie gingen durch den Raum, vorbei an den Gästegruppen.
»Hier ist es«, sagte Nancy.
Sie schoben sich durch die Menge, die das Bild umstand. Maxwell hielt den Kopf schräg, um es besser betrachten zu können.
Es unterschied sich ein wenig von den Farbtafeln, die er am Vormittag in der Bibliothek durchgesehen hatte. Das konnte natürlich von der Größe des Bildes und der Lebhaftigkeit der Farben kommen, die auf den Drucken nicht so zur Geltung gebracht wurden. Doch das war es nicht allein. Die Landschaft war anders, ebenso die Geschöpfe. Eine Landschaft, die eigentlich an die Erde erinnerte — graue Berge, eine bräunliche Buschvegetation, dichte Farnbäume. Eine Gruppe von Gnomen bahnte sich einen Weg über einen fernen Berg; ein koboldhaftes Geschöpf saß gegen einen Baumstamm gelehnt. Es schlief und hatte einen Hut ins Gesicht gezogen. Dazu andere Wesen — grausig, furchterregend, mit obszönen Leibern und Gesichtern, die einem das Blut in den Adern gefrieren ließen.
Auf dem Gipfel eines entfernten, abgeflachten Berges, um dessen Fuß sich eine Menge Gnomen scharten, zeichnete sich ein kleiner schwarzer Fleck gegen den grauen Himmel ab.
Maxwell sog erregt die Luft ein, trat einen Schritt näher und blieb dann steif stehen, aus Angst, er könnte sich verraten.
Es schien unmöglich, daß keiner der anderen es bemerkt hatte. Nun, vielleicht hatte es jemand gesehen, aber nicht für erwähnenswert gehalten. Vielleicht hatten die anderen auch gezweifelt.
Aber für Maxwell konnte es keinen Zweifel geben. Er wußte, was er sah. Der kleine schwarze Fleck auf dem fernen Gipfel war das Ding!
Kapitel 15
Maxwell fand eine abgeschiedene Ecke, die von einer großen Grünpflanze verdeckt wurde. Niemand war zu sehen, und so setzte er sich.
Die Party näherte sich ihrem Ende. Einige Gäste waren bereits gegangen, und diejenigen, die noch dageblieben waren, unterhielten sich gedämpfter. Und Maxwell nahm sich fest vor, den nächsten, der ihm dumme Fragen stellte, durch einen K.O.-Schlag außer Gefecht zu setzen.
Ich werde es erklären, hatte er am Vorabend zu Carol gesagt — ich werde es immer wieder erklären. Und das hatte er getan, wenn auch nicht ganz wahrheitsgemäß. Kein Mensch hatte ihm geglaubt. Sie hatten ihn mit glasigen Augen angesehen und gedacht, daß er entweder betrunken war oder sie zum Narren halten wollte.
Dabei war er zum Narren gehalten worden. Er hatte eine Einladung zu der Party erhalten, aber nicht von Nancy Clayton. Nancy hatte ihm weder die Kleider geschickt, noch den Wagen, der an der Hintertür hielt. Und er hätte zehn zu eins wetten mögen, daß auch die Hunde nichts mit Nancy Clayton zu tun hatten. Leider hatte er nicht daran gedacht, sie über diesen Punkt zu befragen.
Irgend jemand hatte sich, auch wenn er ungeschickt vorgegangen war, sehr viel Mühe gemacht, um das Treffen zwischen Maxwell und dem Rollenfüßler zu arrangieren. Die Sache war so melodramatisch, daß sie nahezu lächerlich wirkte. Nur brachte er es irgendwie nicht fertig, darüber zu lächeln.
Er hielt das Glas mit beiden Händen fest und horchte auf die Geräusche der endenden Party. Er warf einen Blick durch das Laub der Grünpflanze, doch er konnte den Rollenfüßler nirgends entdecken. Mister Marmaduke hatte einen Großteil des Abends unter den Gästen verbracht.
Er schob das Glas geistesabwesend von einer Hand in die andere. Er wußte, daß er den Drink nicht mochte, daß er schon zuviel getrunken hatte. Im allgemeinen trank er zwar noch mehr, aber unter Freunden schmeckte es auch besser als in dieser lauten Gesellschaft und in diesem kalten, unpersönlichen Raum. Er war müde. Es war wohl das beste, wenn er sich bald von Nancy verabschiedete und zu Oop zurückkehrte.
»Prost«, sagte er zur Pflanze.
Er goß den Inhalt seines Glases in den Blumentopf.
Vorsichtig, damit er nicht das Gleichgewicht verlor, stellte er das Glas am Boden ab.
»Sylvester«, sagte eine Stimme. »Sieh mal, was wir da haben!«
Er drehte sich herum. Auf der anderen Seite der Pflanze stand Carol. Sie hatte Sylvester bei sich.
»Nur herein«, lud er sie ein. »Ein schönes Versteck, das ich da gefunden habe. Ihr dürft auch dableiben, wenn ihr ganz still seid.«
»Ich habe den ganzen Abend versucht, an Sie heranzukommen, aber es war zwecklos«, sagte Carol. »Ich wollte wissen, was für ein Spielchen Sie und Sylvester mit dem Rollenfüßler getrieben haben.«
Sie kam in die Nische und wartete auf seine Antwort.
»Ich war ebenso überrascht wie Sie«, sagte er. »Sylvesters plötzliches Erscheinen hat mir glatt die Sprache verschlagen. Ich hatte keine Ahnung …«
»Ich werde oft eingeladen«, sagte Carol kühl. »Nicht weil man mich sehen möchte, sondern wegen Sylvester. Er ist ein Party-Paradestück.«
»Gut für Sie«, meinte Maxwell. »Sie hatten mir etwas voraus. Ich war nicht eingeladen.«
»Aber Sie kamen trotzdem her.«
»Fragen Sie mich nicht, wie. Die Erklärung würde mir Schwierigkeiten bereiten.«
»Sylvester war immer eine anständige Katze«, sagte sie anklagend. »Manchmal vielleicht zu gierig, aber sonst in Ordnung.«
»Oh, ich weiß«, sagte Maxwell. »Ich übe auf meine Umgebung immer einen schlechten Einfluß aus.«