Kapitel 16
Maxwell verließ das Straßenband da, wo es die Mündung der Hound Dog Hollow überquerte. Er stand einen Moment lang da und starrte die Felsklippen und Zacken der Berge an. Ein kurzes Stück über der Höhle schimmerte die nackte Fläche des Cat Den Point durch die rot und gelb gefärbten Blätter. Und ganz hoch oben, hinter dem höchsten Gipfel, würde er das Schloß der Kobolde finden, in dem O’Toole residierte und ewige Kämpfe mit den Trollen unter der Moosbrücke führte.
Es war noch früh am Morgen, da er schon bei Dunkelheit aufgebrochen war. Kühler Tau lag auf dem Gras und glitzerte in den hohen Unkrautstengeln. Die Luft roch nach Wein, und das Blau des Himmels war so zart, daß es nahezu farblos wirkte. Über der ganzen Landschaft hing eine merkwürdige Erwartung.
Maxwell betrat den hohen Brückenbogen, der über die Straße führte, und suchte sich dann den Pfad, der seitlich an der Höhle vorbeilief.
Bäume umgaben ihn, und er wanderte durch ein Feenreich. Er ging besonders langsam und vorsichtig, um die Stille des Waldes nicht durch hastige Bewegungen zu stören. Blätter segelten aus den Laubkronen, flatternde Farbflügel, die sanft zu Boden glitten. Vor ihm lief geduckt eine Maus durch das gefallene Laub, doch ihr Rascheln war kaum hörbar. Weiter oben am Fels kreischte ein Eichelhäher. Der Pfad gabelte sich. Links führte er weiter zur Höhle und rechts den Berg hinauf. Maxwell schlug den rechten Weg ein. Vor ihm lag eine lange und ermüdende Kletterei, aber er hatte die Absicht, langsam zu gehen und immer wieder auszurasten. An einem Tag wie diesem wäre es eine Schande, zu schnell durch die Farbenpracht und die Stille zu hasten.
Der Pfad war steil und hatte viele Windungen, die sich um die tief im Boden verankerten, mit grauen Flechten bewachsenen Felsblöcke schlängelten. Die Baumstämme ragten dicht nebeneinander auf, die rissige, dunkle Rinde alter Eichen und das seidenglatte Weiß der Birken, das nur hin und wieder von dunkleren Flecken unterbrochen war. Aus dem dichten Gewirr des Unterholzes leuchteten die roten Früchte des Pfaffenhütleins.
Maxwell stieg langsam weiter, ohne sich zu verausgaben. Oft genug blieb er stehen, um das Gefühl des Herbstes, das ihn von allen Seiten umgab, in sich eindringen zu lassen. Schließlich erreichte er die Feenlichtung, in der Churchills Flugzeug gelandet war, beschädigt durch den Bann der Trolle. Ein Stück weiter oben am Berg lag die Burg der Kobolde.
Er blieb einen Moment lang am Rasen stehen und rastete, dann kletterte er weiter. Dobbin oder ein anderes Pferd, das verblüffende Ähnlichkeit mit ihm hatte, rupfte das dürftige Gras, das in zerzausten Büscheln auf einer eingezäunten Weide wuchs. Ein paar Tauben umflatterten die Schloßtürme, aber sonst war kein Lebenszeichen zu sehen.
Plötzliche Schreie zerrissen die Morgenstille, und aus dem offenen Schloßtor jagte eine Bande Trolle, die sich schnell und in einer merkwürdigen Formation dahinbewegten. Sie hatten drei Reihen gebildet, und jede Reihe zog an einem Seil. Maxwell erinnerte sich, daß er einmal ein altes Bild von Wolgaschiffern gesehen hatte, die ihre Boote auf diese Weise beförderten. Die Trolle polterten über die Zugbrücke, und nun konnte Maxwell sehen, daß die drei Seile um einen behauenen Stein geschlungen waren, der hinter ihnen dreinhüpfte und einen dröhnenden Lärm veranstaltete, als er über die Zugbrücke ratterte.
Der alte Dobbin wieherte schrill und keilte aus. Die Fänge der Trolle glitzerten noch stärker als sonst in den braunen, boshaften und runzeligen Gesichtern, und ihr drahtiges Haar schien sich noch mehr nach allen Seiten zu spreizen als gewöhnlich. Sie rannten den Pfad hinunter, und der Stein schleifte über den Boden und wirbelte Staubwolken auf.
Hinter ihnen ergoß sich ein Schwarm Kobolde aus dem Tor, bewaffnet mit Knüppeln, Hacken, Dreizacken — offensichtlich hatten sie genommen, was in der Eile am nächsten gewesen war.
Maxwell sprang zur Seite, als die Trolle auf ihn zurannten. Sie liefen keuchend und schleppten das Gewicht des Steines hinter sich her, während die Koboldhorde sie mit wildem Gekreische verfolgte. An der Spitze der Bande lief Mister O’Toole, und sein Hals und Gesicht waren violett vor Wut. Er schwang einen gewaltigen Knüppel.
An der Stelle, wo Maxwell aus dem Wege gesprungen war, führte der Pfad an einem Schräghang vorbei, der sich bis zur Feenlichtung erstreckte. Der Steinblock, den die Trolle geraubt hatten, machte einen plötzlichen Sprung, als die Vorderkante gegen einen Felsvorsprung schlug. Die Seile hingen schlaff durch, und im nächsten Moment hüpfte der Stein den Schräghang hinunter. Die Seile schleiften hinterher.
Einer der Trolle schrie eine Warnung, die kleinen Tunichtgute sprangen zur Seite. Der Steinblock rollte in die Tiefe und gewann mit jeder Umdrehung an Schnelligkeit. Er schlug in die Feenlichtung und hinterließ eine tiefe Narbe, dann krachte er gegen einen massiven Eichenstamm am anderen Ende des Rasenflecks und blieb endgültig liegen.
Die Kobolde verfolgten brüllend die Diebe, die sich im Wald verteilt hatten. Angst- und Wutschreie drangen über den Berg, vermischt mit den Geräuschen krachender Äste, als die Kleinen durch das Unterholz drangen.
Maxwell überquerte den Weg und ging hinüber an den Weidenzaun. Der alte Dobbin hatte sich beruhigt und seine Schnauze auf die oberste Stange gelegt. Er starrte den Hügel hinunter.
Maxwell streckte die Hand aus und streichelte seine Mähne, dann zupfte er das Tier sanft am Ohr. Dobbin zog die Oberlippe hoch und sah ihn freundlich an.
»Hoffentlich lassen sie dich den Stein nicht nach oben schleppen«, sagte Maxwell. »Der Hang ist steil.«
Dobbin zuckte gelangweilt mit einem Ohr.
»Wie ich O’Toole kenne, wird er es nicht verlangen«, fuhr er fort. »Falls er die Trolle erwischt, müssen sie ihn wieder nach oben bringen.«
Das Geschrei hatte sich ein wenig beruhigt, und nach kurzer Zeit kam Mister O’Toole keuchend und schnaufend den Pfad nach oben. Er trug den Knüppel über der Schulter. Sein Gesicht war immer noch purpurn, aber offensichtlich mehr von der Erschöpfung als vor Zorn. Er eilte auf den Zaun zu, und Maxwell ging ihm entgegen, um ihn zu begrüßen.
»Mein tiefstes Bedauern«, sagte O’Toole so würdevoll er konnte. »Ich habe Sie erblickt und war glücklich über Ihre Anwesenheit, doch die Geschäfte duldeten keinen Aufschub. Ich vermute, daß Sie der Szene beiwohnten.«
Maxwell nickte.
»Meinen Steigstein haben sie gestohlen«, wütete Mister O’Toole, »in der boshaften Absicht, mich zum Gehen zu zwingen.«
»Zum Gehen?« fragte Maxwell.
»Ich sehe, Sie denken heute nur mäßig. Mein Steigstein, auf den ich klettern muß, um Dobbin zu erklimmen. Ohne einen Steigstein komme ich auf keinen Pferderücken und muß unter Schmerzen und Keuchen zu Fuß gehen.«
»Ich verstehe«, sagte Maxwell. »Wie Sie andeuteten, waren meine Gedanken sehr langsam.«
»Diese widerlichen Trolle«, sagte Mister O’Toole zähneknirschend. »Sie machen vor nichts halt. Nach dem Steigstein wird das Schloß kommen, Stück für Stück, Ziegel für Ziegel, bis nur noch der nackte Fels da steht, wo es sich erhob. Es ist unter diesen Umständen erforderlich, mit größter Entschlossenheit vorzugehen.«
Maxwell deutete mit dem Kinn nach unten. »Wie ging der Kampf aus?« fragte er.
»Wir entwurzeln sie«, sagte der Kobold mit einiger Befriedigung. »Sie stieben auseinander wie das Wachtelvolk. Wir holen sie unter den Felsen hervor und aus den Dickichten, und dann schirren wir sie an wie die Maultiere, mit denen sie fürwahr Ähnlichkeit haben, und lassen sie den Stein mühsam an die Stelle zurückschleppen, wo sie ihn entwendet haben.«
»Sie rächen sich, weil Sie die Brücke zerstört haben«, sagte Maxwell.
Mister O’Toole hüpfte vor Verzweiflung auf und ab. »Sie täuschen sich!« rief er. »Aus einem tiefen und fehlgeleiteten Mitgefühl heraus haben wir davon Abstand genommen, die Brücke zu vernichten. Nur zwei kleine Steine — das war alles. Zwei winzige Steine und angsterregendes Gebrüll. Daraufhin nahmen sie den Bann von dem Besenstiel und auch von dem süßen Oktoberbier. Da wir einfache, gutherzige Seelen sind, ließen wir es dabei bewenden.«