»Sie nahmen den Bann vom Bier? Ich könnte mir denken, daß das unmöglich ist, sobald gewisse chemische Veränderungen eingesetzt haben …«
Mister O’Toole sah Maxwell mit einem verächtlichen Blick an. »Das wissenschaftliche Geschwätz ist barer Unsinn. Ich kann Ihre Vorliebe für diese Wissenschaft nicht begreifen, wo Sie doch bei einigem Lerneifer die Magie von uns erfahren können. Allerdings muß ich gestehen, daß die Entzauberung des Bieres zu wünschen übrig ließ. Es hat einen schwach moderigen Geschmack beibehalten.
Doch besser moderiges Bier als gar kein Bier. Wenn Sie mich begleiten wollen, können wir es kosten.«
»Der Satz ist der schönste, den ich heute gehört habe«, sagte Maxwell.
»Dann lassen Sie uns die zugigen Säle aufsuchen, die die verrückten Menschen so tölpelhaft für uns gebaut haben.«
Im zugigen Großen Schloßsaal ließ Mister O’Toole zwei Krüge mit schäumendem Bier vollaufen, das sich in einem mächtigen, auf Sägeböcken ruhenden Faß befand. Er trug die Krüge an den primitiven Tisch vor dem großen Steinkamin, in dem ein niedriges Feuer widerspenstig dahinqualmte.
»Die Unverschämtheit an diesem unerhörten Diebstahl des Steines ist die Tatsache, daß er zu einer Zeit begangen wurde, da wir Kobolde Leichenschmaus halten.« Mister O’Toole hob den Krug.
»Das tut mir leid«, sagte Maxwell. »Ein Leichenschmaus? Ich wußte nicht …«
»Oh, es ist keiner der unseren«, unterbrach ihn Mister O’Toole schnell. »Mit Ausnahme meiner selbst befindet sich der Stamm der Kobolde bei unverwüstlicher Gesundheit. Wir hielten den Schmaus zu Ehren der Todesfee.«
»Aber sie ist doch gar nicht tot.«
»Noch nicht«, sagte Mister O’Toole, »doch sie liegt im Sterben. Und es ist ein Jammer. Sie ist hier in der Reservation die letzte einer großen, edlen Rasse, und diejenigen, die sonst noch in der Welt leben, können an einer Hand gezählt werden.«
Er hob den Krug und vergrub sein Gesicht darin. Als er ihn wieder abstellte, war sein Schnurrbart schaumbedeckt. Er machte sich nicht die Mühe, ihn abzuwischen.
»Wir sterben aus«, sagte er düster. »Der Planet ist verändert worden. Das Kleine Volk und auch jene, die nicht so klein sind, gehen in das Tal, wo die dichten Schatten lauern, und das ist das Ende. Und wenn ich daran denke, zittere ich vor Scham, denn einst waren wir trotz unserer Fehler ein edles Volk. Selbst die Trolle hatten vor ihrer Degeneration noch einige wenige Tugenden, wenn ich auch jetzt bezweifle, ob sie das Wort überhaupt noch kennen. Denn der Diebstahl meines Steigsteins war ein übles Stück, das deutlich ihre niedrige Gesinnung verrät.«
Er hob den Krug und leerte ihn mit ein paar kräftigen Zügen. Dann knallte er ihn auf den Tisch und warf einen Blick auf Maxwells vollen Krug.
»Trinken Sie aus«, drängte er. »Trinken Sie aus, damit ich unsere Krüge von neuem füllen kann. Die Kehle braucht Feuchtigkeit.«
»Machen Sie ruhig weiter«, ermunterte Maxwell ihn. »Es ist eine Schande, das Bier so in sich hineinzugießen. Es sollte mit Muße genossen werden.«
Mister O’Toole zuckte mit den Schultern. »Ich weiß, ich habe keine Manieren. Aber das hier ist entzaubertes Bier und nicht gut genug zur Muße.«
Dennoch stand er auf und watschelte zum Faß hinüber, um seinen Krug aufs neue zu füllen. Maxwell nahm einen Schluck. Das Bier schmeckte tatsächlich moderig.
»Gut?« fragte der Kobold.
»Es hat einen fremdartigen Geschmack, doch es ist eine Gaumenfreude.«
»Eines Tages werde ich diese Trollbrücke noch einreißen«, sagte Mister O’Toole mit plötzlich aufkeimendem Zorn. »Stein um Stein, und das Moos wird säuberlich abgeschabt, damit der Zauber verschwindet. Mit einem Hammer zerkleinern wir die Steine zu winzigen Splittern, und dann tragen wir sie auf eine hohe Klippe und werfen sie über das ganze Land, auf daß die Trolle sie nicht mehr zusammenholen können.« Er ließ die Schultern hängen. »Leider ist das eine entsetzliche Arbeit. Aber man fühlt sich versucht dazu. Das süßeste Bier, das je gebraut worden ist, und sehen Sie es sich an — kaum gut genug für die Säue. Leider ist es auch eine Sünde, schlechtschmeckendes Bier fortzuschütten.«
Er packte den Krug und hob ihn hoch. Sein Adamsapfel tanzte, und er setzte das Gefäß erst ab, als kein Bier mehr da war.
»Und wenn ich dieser häßlichen Brücke zu großen Schaden zufüge«, fuhr er fort, »rennen diese scheinheiligen, mißratenen Trolle zur Obrigkeit, und ich muß euch Menschen erklären, was ich denke. Sie werden mich nicht verstehen. Aber es macht keine Freude, nach Gesetzen zu leben, und es ist auch unwürdig. Der Tag sei verflucht, an dem sich die Menschenrasse erhob.«
»Mein lieber Freund«, sagte Maxwell erschüttert, »solche Worte haben Sie mir gegenüber noch nie gebraucht.«
»Anderen Menschen gegenüber erst recht nicht«, sagte der Kobold. »Sie sind der einzige auf der Welt, dem ich meine Gefühle verrate. Doch diesmal bin ich zu weit gegangen.«
»Sie wissen genau, daß ich Ihre Worte für mich behalte.«
»Natürlich«, sagte Mister O’Toole. »Das bereitet mir keine Sorgen. Sie sind beinahe einer der unseren. Sie stehen uns näher als jeder andere Mensch.«
»Das ehrt mich«, erwiderte Maxwell.
»Wir sind alt«, erklärte Mister O’Toole, »älter, glaube ich, als es sich der menschliche Geist vorstellen kann. Wollen Sie den Krug wirklich nicht leeren und sich neu einschenken lassen?«
Maxwell schüttelte den Kopf. »Füllen Sie ruhig Ihren Krug. Ich sitze hier und genieße den meinen.«
Mister O’Toole machte den nächsten Gang zum Faß und stellte den bis obenan gefüllten Krug auf die Tischplatte. Dann setzte er sich davor.
»Lange, lange Jahre«, sagte er und schüttelte traurig den Kopf. »So schrecklich viele Jahre, und dann kommen ein paar häßliche kleine Primaten und verderben uns alles.«
»Wie lange?« fragte Maxwell. »Bis zum Jura-Zeitalter?«
»Sie sprechen in Rätseln. Ich verstehe das Wort nicht. Aber es gab so viele von uns und so viele verschiedene Arten, und heute sind es nur noch ganz wenige. Wir sterben aus, langsam, aber unaufhaltsam. Ein Tag wird heraufdämmern, an dem keiner von uns mehr am Leben ist. Dann habt ihr die Welt ganz für euch allein.«
»Ihre Nerven sind zerrüttet«, stellte Maxwell fest. »Sie wissen, daß wir das nicht wollen. Wir haben uns viel Mühe gegeben …«
»Weil ihr uns liebt?« fragte der Kobold.
»Ja, das wage ich zu behaupten«, erwiderte Maxwell.
Tränen strömten dem Kobold über die Wangen, und er hob die haarige, schwielige Hand, um sie wegzuwischen.
»Sie dürfen nicht auf mich achten«, erklärte er Maxwell. »Ich bin in trüber Stimmung. Die Sache mit der Todesfee geht mir nahe.«
»Sie sind ein Freund der Todesfee?« fragte Maxwell überrascht.
»Kein Freund«, sagte Mister O’Toole. »Sie steht auf einer Seite der Schranke und ich auf der anderen. Eine alte Feindin, aber dennoch eine Angehörige unseres Volkes. Sie gehört zu den ganz Alten. Sie hat sich besser als die anderen am Leben festgeklammert. Die anderen sind alle tot. Und in unseren Tagen sind alte Feindschaften schnell vergessen. Wir konnten aus Gewissensgründen keine Totenwache bei ihr halten, doch wir ehrten sie durch einen kleinen Leichenschmaus. Und dann kommen diese krummbeinigen Trolle ohne einen Funken von Schamgefühl und …«
»Sie wollen sagen, daß keiner in der Reservation der Todesfee in ihrer letzten Stunde beisteht?«
Mister O’Toole schüttelte müde den Kopf. »Kein einziger. Es geht gegen das Gesetz, gegen den alten Brauch. Ich kann es Ihnen nicht erklären — sie steht jenseits der Grenze.«
»Aber sie ist ganz allein.«