»Das klingt nobel«, sagte Gespenst, »aber ich betrachte das Ergebnis mit Skepsis Harlow Sharp läßt vielleicht mit sich reden, denn er ist dein Freund, aber von Arnold kann man das nicht behaupten. Und es wird ihm gar nicht gefallen, wenn du ein paar Türen einschlägst.«
»Du weißt, was ich glaube«, sagte Maxwell. »Ich glaube, daß du recht hast. Aber sicher kann ich es erst sagen, nachdem ich es versucht habe. Kann sein, daß Arnold ausnahmsweise einen moralischen Tag hat und seine Vorurteile und seine Aufgeblasenheit beiseiteschiebt.«
»Ich muß dich warnen«, sagte Gespenst. »Harlow Sharp hat wenig Zeit. Er macht sich Sorgen. Shakespeare ist heute morgen angekommen …«
»Shakespeare!« stöhnte Maxwell. »Um Himmels willen, den hatte ich ganz vergessen. Ja, natürlich, er hält heute abend seine Rede. Einen besseren Zeitpunkt konnte er sich gar nicht aussuchen.«
»Es scheint, daß William Shakespeare ein etwas schwieriger Mann ist«, sagte Gespenst. »Er wollte sofort durch das neue Zeitalter bummeln, von dem man ihm soviel erzählt hatte. Das Zeit-College konnte ihn gerade noch dazu bewegen, seine elisabethanische Kleidung gegen normale Straßenkleider zu vertauschen, weil sie ihm drohten, sie würden ihn überhaupt nicht gehen lassen, wenn er sich nicht umzog. Und jetzt schwitzen die Verantwortlichen bei dem Gedanken, daß ihm etwas zustoßen könnte. Sie müssen ihn bremsen, aber sie dürfen ihn auch nicht verärgern. Denn der Saal ist bis zum letzten Stehplatz ausverkauft, und sie können kein Risiko eingehen.«
»Woher weißt du das alles?« fragte Maxwell. »Du scheinst den Universitätsklatsch immer vor den anderen zu erfahren.«
»Ich komme eben viel herum«, sagte Gespenst bescheiden.
»Der Zeitpunkt ist schlecht, aber ich muß es eben wagen«, sagte Maxwell. »Harlow wird mich empfangen.«
»Es ist unglaublich«, sagte Gespenst traurig, »daß ein so scheußliches Zusammentreffen von Umständen deine Bemühungen zunichte macht. Durch reine Dummheit soll es der Universität und der Erde nicht vergönnt sein, das Wissen des Kristallplaneten zu erwerben.«
»Es war der Rollenfüßler«, erwiderte Maxwell. »Sein Angebot hat zu dem Zeitdruck geführt. Wenn ich nur mehr Zeit hätte, könnte ich mir etwas überlegen. Ich könnte mit Harlow sprechen und mir schließlich einen Weg zu Arnold bahnen. Und wenn mir schon sonst nichts gelingt, so könnte ich doch Harlow dazu überreden, das Wissen einfach für das Zeit-College zu erwerben. Aber ich habe keine Zeit. Gespenst, was weißt du von den Rollenfüßlern? Etwas, das uns nicht bekannt ist?«
»Kaum. Nur daß sie der hypothetische Feind sein könnten, auf den wir gestoßen sind. Ihr Handeln läßt den Schluß zu. Und ihre Beweggründe, ihre Sitten, ihre Ethik — ihre ganze Weltanschauung muß sich stark von der unseren unterscheiden. Wir haben wahrscheinlich weniger mit ihnen gemeinsam als mit Spinnen oder Wespen. Und das Schlimmste daran ist, daß sie eine hohe Intelligenz besitzen. Sie kennen unsere Lebensart so gut, daß sie sich unter uns bewegen und mit uns Geschäfte machen können — das haben sie mit ihrem Angebot für das Ding bewiesen. Mein Freund, diese Schlauheit und Wendigkeit ist es, die ich vor allem fürchte. Ich bezweifle, ob der Mensch im umgekehrten Falle ebenso schlau handeln würde.«
»Ich glaube, du hast recht«, sagte Maxwell. »Und deshalb dürfen wir ihnen das Wissen des Kristallplaneten nicht überlassen. Der Himmel weiß, was sich in dieser Bibliothek alles befindet. Es war Material dabei, das ich in zehn Lichtjahren nicht verstehen würde. Was natürlich nicht heißt, daß der Mensch es nicht erlernen könnte. Er braucht nur Geduld und Geschick. Aber auch die Rollenfüßler könnten sich in die Wissensgebiete einarbeiten. Und wenn der Mensch je mit den Rollenfüßlern in Konflikt gerät, könnte das Wissen des Kristallplaneten den Unterschied zwischen Sieg oder Niederlage bedeuten. Ist es uns jedoch möglich, das Wissen zu erwerben, schrecken die Rollenfüßler vielleicht vor einem Konflikt zurück, da ihnen klar ist, daß wir die Überlegenen sind. Es könnte den Unterschied zwischen Krieg und Frieden bedeuten.«
Er saß zusammengesunken da und spürte in der Wärme des Herbstnachmittags einen Schauer, der nicht von der bunten Landschaft mit ihrem seidenblauen Himmel kam.
»Du hast mit der Todesfee gesprochen«, sagte Gespenst. »Sie erwähnte kurz vor ihrem Tod das Ding. Hat sie dir einen Hinweis gegeben, was es wirklich darstellt? Wenn wir das wüßten …«
»Nein, Gespenst. Sie hat kein Wort darüber verloren. Aber ich habe den Eindruck — oder, besser gesagt, eine schwache Ahnung —, daß das Ding aus dem anderen Universum kommt, aus dem auch der Kristallplanet stammt. Eine Kostbarkeit vielleicht, die über Äonen hinweg aufbewahrt wurde. Und noch etwas: Ich glaube, daß die Todesfee und die anderen ganz Alten des Kleinen Volkes Eingeborene des Kristallplaneten oder zumindest Verwandte der Geschöpfe dort sind. Lebensformen die sich in dem alten Universum entwickelten und als Kolonisten in das neue Universum kamen. Vielleicht wollten sie hier eine Nachfolgezivilisation errichten. Aber irgend etwas kam dazwischen. Alle Kolonisierungsversuche scheiterten. Hier auf der Erde, weil sich der Mensch entwickelte. Auf den anderen Planeten vielleicht aus anderen Ursachen. Und ich glaube zu wissen, weshalb diese Versuche fehlschlugen. Vielleicht sterben manche Rassen einfach aus. Ganz natürlich und aus dem einzigen Grund, daß sie für etwas anderes Platz machen müssen. Irgendein Naturgesetz, das wir nicht verstehen. Vielleicht hat eine Rasse nur eine bestimmte Lebensdauer. Vielleicht trägt jede neu entstehende Art schon den Todeskeim in sich. Ein Prinzip, an das wir vermutlich noch nie gedacht haben, weil wir eine so junge Rasse sind; ein Prozeß, der den Weg für die Evolution freimacht.«
»Es klingt vernünftig«, sagte Gespenst. »Daß alle Kolonien ausstarben, meine ich. Wenn irgendwo im Universum eine Kolonie überlebt hätte, wäre das Erbe des Kristallplaneten auf sie übergegangen und nicht auf eine Rasse, die nichts mit dem Kristallplaneten zu tun hat.«
»Mir geht nur ein Gedanke im Kopf herum«, meinte Maxwell. »Weshalb will dieses Volk, das dem Tode schon so nahe ist, das Ding? Was können sie damit anfangen?«
»Wir müßten eben wissen, was es ist«, sagte Gespenst. »Hast du wirklich keine Ahnung?«
»Nein«, erwiderte Maxwell. »Nicht die geringste.«
Kapitel 19
Harlow Sharp sah gequält aus.
»Tut mir leid, daß ich dich so lange warten ließ«, sagte er zu Maxwell. »Bei mir geht es heute hektisch zu.«
»Ich war froh, daß man mich überhaupt hereinließ«, erklärte Maxwell. »Dein Wachhund am Schreibtisch wollte mich unbedingt wieder loswerden.«
»Ich habe dich erwartet«, sagte Sharp. »Dachte mir schon, daß du früher oder später auftauchen würdest. Ich habe ein paar komische Sachen über dich gehört.«
»Und die meisten davon stimmen«, erklärte Maxwell. »Aber deshalb bin ich nicht hier. Ich wollte dich nicht besuchen, sondern ein Geschäft mit dir besprechen. Es wird nicht lange dauern.«
»Also gut«, sagte Sharp. »Was kann ich für dich tun?«
»Du verkaufst das Ding?«
Sharp nickte. »Es tut mir leid, Pete. Ich weiß, daß du dran interessiert warst. Aber es steht jetzt seit Jahren im Museum, wo es von Neugierigen angestarrt wird, ohne uns etwas zu nützen. Und unser College braucht Geld. Das wird auch dir nicht entgangen sein. Die Universität hält ihren Säckel fest verschlossen. Die anderen Colleges geben uns zwar hin und wieder winzige Summen für Sonderprogramme, aber …«
»Harlow, ich weiß das alles. Und es ist auch dein Recht, es zu verkaufen. Ich erinnere mich, daß die Universität nichts damit zu tun haben wollte, als man es aus der Vergangenheit holte. Ihr habt die Kosten allein getragen …«
»Wir mußten sparen und herumbetteln und Geld aufnehmen«, sagte Sharp. »Wir haben Hunderte von Projekten ausgearbeitet — gute Projekte, die sich durch Informationen und neue Erkenntnisse bezahlt machen würden — aber niemand kauft sie. Kannst du dir das vorstellen! Die ganze Vergangenheit liegt offen vor uns, und kein Mensch hat Interesse daran. Wahrscheinlich haben sie Angst, daß wir ein paar ihrer Lieblingstheorien, die sie so hübsch ausgearbeitet haben, zunichte machen könnten. Aber irgendwoher müssen wir Geld bekommen, wenn wir mit unserer Arbeit fortfahren wollen. Glaubst du, mir gefällt die Art und Weise, auf die wir unser Geld zusammenkratzen? So wie den Shakespeare-Zirkus und ähnliche Scherze. Ich sage dir, es bringt uns nichts ein. Es schädigt unser Ansehen, und all die Arbeit — Pete, du kannst dir nicht vorstellen, welche Arbeit wir haben. Nimm nur diesen Shakespeare. Er treibt sich wie ein Tourist in irgendeiner Kneipe herum, während ich vor Angst an den Fingernägeln kaue, weil ich vor Augen habe, was ihm alles zustoßen könnte. Male dir das Theater aus, wenn ein Mann wie Shakespeare nicht an die Vergangenheit zurückgegeben wird — ein Mann, der …«