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»Wie meinte Oop das, als er sagte, Sie wollten sich hier niederlassen?« erkundigte sich Maxwell.

»Meine Zähne sind krank«, sagte Shakespeare. »Sie hängen lose im Kiefer, und zu Zeiten leide ich an furchtbaren Schmerzen. Ich habe erfahren, daß es hier großartige Meister gibt, die sie ohne Schmerzen ziehen und mir neue einsetzen können.«

»Das ist tatsächlich möglich«, sagte Gespenst.

»Ich ließ ein Weib mit keifender Zunge daheim«, fuhr Shakespeare fort, »und es wäre mir lästig, zu ihr zurückzukehren. Auch ist das Getränk, das ihr Bier nennt, über alle Maßen wohlschmeckend, und ich hörte mit Freude, daß ihr ohne Zank mit den Kobolden und Feen zusammenlebt. Und daß ich hier, an diesem Tisch, mit einem Gespenst zusammensitzen kann, geht über all mein Verständnis hinaus und gibt mir das Gefühl, am Born der Weisheit zu schöpfen.«

Der Kellner kam mit einer ganzen Batterie von Flaschen und knallte sie auf den Tisch.

»Da!« sagte er knurrig. »Das wird wohl eine Weile reichen. Die Köchin sagt, daß das Essen gleich kommt.«

»Sie haben also nicht die Absicht, zu dem Vortrag zu erscheinen?« fragte Maxwell Shakespeare.

»Das wäre fürwahr ungeschickt«, erwiderte Shakespeare. »Man würde mich sofort nach der Rede zurück nach England schicken.«

»Da hat er recht«, warf Oop ein. »Sobald sie ihn in den Klauen haben, lassen sie ihn nicht mehr los.«

»Aber wovon wollen Sie hier leben?« fragte Maxwell. »Ihre Fähigkeiten passen nicht mehr in diese Welt.«

»Ich werde etwas finden«, sagte Shakespeare, »sobald mich die Not dazu zwingt.«

Der Kellner kam mit einem hochbeladenen Servierwagen. Er begann, das Essen auf den Tisch zu richten.

»Sylvester!« rief Carol.

Sylvester hatte sich schnell erhoben, die Tatzen auf den Tisch gelegt und sich zwei halbgare Scheiben Rostbraten geangelt. Mit dem Fleisch in der Schnauze verschwand er unter dem Tisch.

»Das Kätzchen ist hungrig«, sagte Shakespeare.

»Wenn es ums Essen geht, hat er überhaupt keine Manieren«, klagte Carol.

Unter dem Tisch hörte man das Krachen von Knochen.

»Meister Shakespeare«, sagte Gespenst, »Sie kommen aus England. Aus einem Städtchen am Avon.«

»Eine dem Auge wohltuende Landschaft«, sagte Shakespeare. »Aber angefüllt mit Gesindel. Wir haben Wilddiebe, Langfinger, Mörder, Straßenräuber und noch mehr dieses ekelerregenden Volkes …«

»Aber ich erinnere mich an die Schwäne im Fluß«, sagte Gespenst, »und an die Weiden am Ufer und …«

»Was?« kreischte Oop los. »Du kannst dich erinnern?«

Gespenst stand langsam auf, und an seinen Bewegungen war etwas, das die anderen verwirrte. Sie starrten ihn an. Er hob die Hand, die keine richtige Hand, sondern eher eine Tuchfalte war.

Seine Stimme war hohl, als käme sie aus weiter Ferne.

»Ja, ich erinnere mich«, erklärte er. »Nach all den Jahren erinnere ich mich. Ich hatte es entweder vergessen oder nie gewußt …«

»Meister Gespenst«, sagte Shakespeare. »Ihr Betragen ist befremdend. Welch sonderbare Stimmung hat Besitz von Ihnen ergriffen?«

»Ich weiß jetzt, wer ich bin«, sagte Gespenst triumphierend. »Ich weiß, wessen Geist ich bin.«

»Gott sei Dank«, rief Oop. »Dann hört endlich das Gefasel über die Vergangenheit auf.«

»Ich bitte Sie, wessen Geist könnten Sie wohl sein?« fragte Shakespeare.

»Der deine!« jammerte Gespenst. »Ich weiß es jetzt — ich weiß es jetzt — ich bin William Shakespeares Geist.«

Einen Moment lang saßen alle schweigend und benommen da. Dann kam aus Shakespeares Kehle ein erstickter Schrei. Mit einem plötzlichen Satz schnellte er von seinem Stuhl hoch, sprang über die Tischplatte und rannte zur Tür. Der Tisch kippte mit Getöse um. Maxwells Stuhl wurde mitgerissen, und eine Soßenschüssel ergoß ihren Inhalt in Maxwells Gesicht.

Er versuchte die Soße mit beiden Händen aus den Augen zu wischen. Von irgendwo weiter oben hörte man Oops Gebrüll.

Maxwell konnte wieder sehen, aber die Soße klebte ihm immer noch in den Haaren. Er kroch unter dem Tisch hervor und kam schwankend auf die Beine.

Carol saß inmitten der Essensreste auf dem Boden. Bierflaschen rollten hin und her. In der Küchentür stand die Köchin, eine mächtige Frau mit dicken Armen und wirrem Haar. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Sylvester saß neben dem Rostbraten, zerkleinerte ihn und fraß ihn gierig, bevor jemand etwas dagegen tun konnte.

Oop kam humpelnd von der Tür zurück.

»Keiner von ihnen zu sehen«, berichtete er.

Er streckte die Hand aus und hievte Carol hoch.

»So ein Esel!« sagte er bitter, und sie wußten, daß er Gespenst meinte. »Weshalb konnte er nicht den Mund halten? Selbst wenn er es wußte …«

»Aber er wußte es doch nicht«, sagte Carol. »Es fiel ihm erst in diesem Augenblick ein. Die Gegenüberstellung hat es ausgemacht. Oder irgend etwas, das Shakespeare sagte. Schließlich hat es ihn jahrelang beschäftigt, und als er es dann mit einemmal wußte …«

»Da haben wir den Salat«, erklärte Oop. »Shakespeare ist auf der Flucht, und wir werden ihn nicht mehr finden.«

»Gespenst bringt ihn schon zurück«, sagte Maxwell. »Deshalb lief er ihm ja nach.«

»Wie soll er das schaffen?« fragte Oop skeptisch. »Wenn Shakespeare ihn sieht, stellt er einen neuen Weltrekord im Dauerlauf auf.«

Kapitel 21

Sie saßen niedergeschlagen um Oops primitiven Tisch. Sylvester lag neben dem Kamin auf dem Rücken, die Vorderpfoten übereinandergeschlagen, die Hinterpfoten in der Luft.

Oop drückte Carol das Marmeladeglas in die Hand, und sie roch daran. »Es riecht wie Petroleum«, stellte sie fest, »und wenn ich mich nicht täusche, schmeckt es auch danach.« Sie hob das Glas mit beiden Händen und trank.

»Ich glaube, daß man sich nach einiger Zeit daran gewöhnen könnte, Petroleum zu trinken«, sagte sie.

»Es ist ein guter Schnaps«, verteidigte sich Oop. »Allerdings muß ich zugeben, daß er vielleicht noch nicht lange genug lagert. Ihr trinkt schneller, als ich destillieren kann.«

Maxwell hob das Glas und trank mit düsterer Miene. Der Fusel brannte in seiner Kehle und explodierte im Magen, aber die Explosion half auch nichts. Er blieb immer noch düster und nüchtern. Es gab Zeiten, da man einfach nicht betrunken wurde, mochte man anstellen, was man wollte. Und im Moment wünschte er sich nichts sehnlicher, als einen oder zwei Tage lang herrlich betrunken dazuliegen. Vielleicht fand er das Leben nicht mehr so scheußlich, wenn er dann aufwachte.

»Ich kann eines nicht verstehen«, sagte Oop. »Weshalb nimmt Old Bill die Sache mit dem Gespenst so tragisch? Er hatte weiche Knie vor Angst. Als er vorher mit Gespenst bekannt wurde, stellte er sich nicht so an. Gewiß, er war ein wenig nervös, wie man es von einem Mann des 16. Jahrhunderts nicht anders erwarten konnte. Aber als wir ihm alles erklärt hatten, schien er eher erfreut. Er akzeptierte Gespenst bereitwilliger, als es vielleicht ein Mensch des 20. Jahrhunderts getan hätte. Im 16. Jahrhundert glaubte man an Geister. Er regte sich erst auf, als er entdeckte, daß Gespenst sein Geist war …«

»Unsere Beziehungen zum Kleinen Volk hatten es ihm angetan«, erzählte Carol. »Wir mußten ihm versprechen, daß wir ihm die Reservation zeigen würden.«

Maxwell nahm noch einen tiefen Schluck aus dem Glas und gab es dann an Oop weiter. Er wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab.

»Irgendein Geist ist etwas ganz anderes als der eigene Geist«, erklärte er. »Es ist einem Menschen unmöglich, den eigenen Tod zu akzeptieren. Selbst wenn man wüßte, was ein Gespenst ist …«

»Oh, fangen Sie nicht wieder damit an«, bat Carol.

Oop grinste. »Er verschwand wie eine Pistolenkugel«, sagte er. »Er rannte durch die Tür, ohne sie aufzumachen. Krachte einfach durch die Füllung.«