Spott- und Buhrufe kamen von den vorderen Tischen. Jemand warf ein Glas nach dem Sänger. Ein Teil der Menge nahm den Vers auf.
Jemand mit Stentorstimme brüllte: »Zum Teufel mit Bill Shakespeare!«
Der Saal verwandelte sich in ein Schlachtfeld. Stühle kippten um. Leute standen auf den Tischen Schreie klangen auf, und ein Stoßen und Schieben setzte ein. Fäuste wurden geschwungen, und die verschiedensten Gegenstände segelten durch die Luft.
Maxwell sprang auf und schob Carol hinter sich. Oop griff über die Tischplatte hinweg mit einem wilden Kriegsschrei an. Dabei blieb er mit dem Fuß am Eiskübel hängen, und das Eis flog in alle Himmelsrichtungen.
»Ich mähe sie nieder«, schrie er Maxwell zu. »Du schichtest sie schön in der Ecke auf!«
Maxwell sah aus dem Nichts eine Faust kommen und duckte sich. Über seine Schulter streckte sich Oops sehniger Arm vor und traf den Gegner voll im Gesicht.
Carol stand an einem Tisch und hielt krampfhaft Sylvesters Nackenhaare fest. Sylvester stand auf den Hinterpfoten und schlug mit den Vorderpfoten wild um sich. Er knurrte, und seine Fänge blitzten.
»Wenn wir nicht verschwinden, bekommt die Katze ihr Steak«, stellte Oop fest. Er schlang einen Arm um Sylvesters Mitte und steuerte auf die Hintertür zu. »Kümmere du dich um das Mädchen«, rief er Maxwell zu. »Und nimm die Flasche mit. Wir werden sie noch brauchen.«
Maxwell griff nach der Flasche.
Von Gespenst war nichts zu sehen.
Kapitel 6
»Ich bin ein Feigling«, gestand Gespenst. »Ich gebe zu, daß ich beim Anblick von Gewaltanwendung schwach werde.«
»Ausgerechnet du«, meinte Oop. »Dir kann kein Mensch etwas anhaben.«
Sie saßen an dem primitiven, wackeligen Tisch, den Oop einmal in einem Anfall von Einrichtungswut aus rohen Brettern zusammengenagelt hatte. Carol schob ihren Teller zur Seite. »Jetzt bin ich aber gründlich satt.«
Sylvester lag zusammengerollt vor dem Kamin, den kurzen Schwanz fest an den Rumpf gelegt und die Nase auf den Vorderpfoten. Sein Schnurrbart bewegte sich sacht, wenn er atmete.
»Zum erstenmal in meinem Leben sehe ich einen satten Säbelzahntiger«, sagte Oop.
Er griff nach der Flasche und schüttelte sie. Sie klang leer. Er stand auf, kniete sich auf den Boden und entfernte eines der Dielenbretter. Dann holte er ein Marmeladeglas aus der Öffnung und stellte es zur Seite. Er erwischte ein zweites Marmeladeglas und stellte es neben das erste. Schließlich hob er triumphierend eine Flasche hoch.
Er stellte die Gläser zurück an ihren Platz und kam an den Tisch. Die Flasche machte die Runde.
»Ihr wollt sicher kein Eis«, sagte er. »Das Zeug verdünnt den Whisky nur. Außerdem habe ich keines.«
Er deutete mit dem Daumen zu dem Dielenbrett hinüber. »Mein Geheimversteck«, sagte er. »Ich habe immer einen Tropfen auf Vorrat. Es könnte sein, daß ich mir eines Tages das Bein oder sonst etwas breche, und wenn mir der Arzt dann das Trinken verbietet …«
»Doch nicht bei einem gebrochenen Bein«, widersprach Gespenst. »Keiner hätte etwas dagegen, daß du mit einem gebrochenen Bein trinkst.«
»Na ja, dann eben etwas anderes.«
Sie saßen zufrieden um den Tisch, und Gespenst starrte ins Feuer. Draußen pfiff der Wind um die Hütte.
»Mir hat es noch nie so gut wie heute geschmeckt«, sagte Carol. »Ich habe zum erstenmal mein Steak an einem Spieß über offenem Feuer gebraten.«
Oop rülpste satt. »So machten wir es in der guten alten Steinzeit. Das, oder gleich ganz roh wie der Säbeltiger. Bei uns gab es noch keine Öfen oder gar Elektroherde.«
»Ich will ja nicht aufdringlich sein«, sagte Maxwell, »aber darf ich fragen, woher du das Rippenstück hattest? Ich kann mir vorstellen, daß die Metzgerläden alle geschlossen waren.«
»Das stimmt«, gab Oop zu. »Aber der eine hatte an der Hintertür nur ein ganz primitives Schloß …«
»Eines Tages wirst du in Schwierigkeiten kommen«, prophezeite Gespenst.
Oop schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Diesmal jedenfalls nicht. Urzwang — nein, das ist wohl nicht der richtige Ausdruck. Wenn jemand hungrig ist, hat er das Recht, sich Essen zu beschaffen. Das war ein Gesetz in unserer Zeit. Ich glaube, man könnte es vor unseren heutigen Gerichten immer noch vertreten. Außerdem will ich morgen hingehen und erklären, was los war.« Er sah Maxwell an. »Hast du zufällig noch Geld?«
»Und ob«, erklärte Maxwell. »Ich hatte mein Spesengeld für die Reise nach Coonskin eingesteckt, und davon konnte ich bisher noch keinen Cent ausgeben.«
»Auf diesem anderen Planeten waren Sie Gast?« fragte Carol.
»So könnte man es nennen«, erwiderte Maxwell. »Ich war mir über das genaue Verhältnis zu den Fremden nie recht im klaren.«
»Waren es nette Leute?«
»Nett, gewiß — aber Leute? Das könnte ich nicht sagen.«
Er wandte sich Oop zu. »Wieviel brauchst du?«
»Ich denke, hundert müßten reichen. Da ist das Fleisch und die beschädigte Tür, ganz zu schweigen von den angeknacksten Gefühlen unseres Freundes, des Metzgers.«
Maxwell holte einen Schein aus der Tasche und reichte ihn Oop.
»Danke. Ich gebe es dir irgendwann zurück.«
»Laß nur«, winkte Maxwell ab. »Die Party geht auf meine Kosten. Ich wollte Carol zum Abendessen einladen, doch leider entwickelten sich die Dinge anders.«
Am Kamin streckte sich Sylvester und gähnte, dann wälzte er sich auf den Rücken und schlief weiter.
»Sie sind vorübergehend hier, Miß Hampton?« fragte Gespenst.
»Nein«, sagte Carol überrascht. »Ich arbeite hier. Wie kamen Sie auf die Idee?«
»Der Tiger«, sagte Gespenst. »Ein Biomech, wie Sie sagten. Da dachte ich natürlich, daß Sie bei einem biologisch-mechanischen Institut arbeiten.«
»Ach so«, sagte Carol. »In Wien oder New York.«
»In Ulan Bator ist noch eines, wenn ich mich nicht täusche«, sagte Gespenst.
»Waren Sie dort?«
»Nein, ich habe nur davon gehört.«
»Aber er könnte hin«, sagte Oop. »Er kann überall hin. Im Nu. Deshalb beschäftigen sich ja die Leute der Übernatürlichen Fakultät immer noch mit ihm. Sie hoffen, daß sie eines Tages herausbringen, wie er das schafft. Aber unser gutes Gespenst ist schweigsam.«
»Der wirkliche Grund für sein Schweigen besteht darin, daß er für die Transportleute arbeitet«, sagte Maxwell. »Zumindest wird er von ihnen bezahlt. Denn, wenn er verrät, wie er sich fortbewegt, machen alle Transportunternehmen pleite.«
»Und er ist ein Muster an Feingefühl«, sagte Oop. »Er wollte nämlich eigentlich fragen, weshalb Sie sich einen Biomech leisten können.«
»Ach so«, sagte Carol. »Das stimmt natürlich. Die Dinger kosten viel Geld. Ich bin nicht reich. Aber mein Vater arbeitete vor seiner Pensionierung im Institut von New York. Sylvester war das Ergebnis eines seiner Seminare. Die Studenten schenkten ihn Dad, als er pensioniert wurde.«
»Ich kann immer noch nicht glauben, daß die Katze ein Biomech ist«, sagte Oop. »Sie hat ein ganz gemeines Glitzern in den Augen, wenn sie mich ansieht.«
»Um die Wahrheit zu sagen«, erklärte Carol. »In den meisten steckt heutzutage mehr Biologie als Mechanik. Der Name Biomech entstand, als man die fein ausgeklügelten elektronischen Gehirne und Nervensysteme in besonderen Protoplasmalösungen unterbrachte. Aber jetzt werden nur noch die Organe, die sich schnell abnutzen, auf mechanischem Wege hergestellt — Herz, Nieren, Lungen und so fort. Die Hauptaufgabe der Institute ist es, ausgestorbene Geschöpfe wieder ins Leben zu rufen — aber das wissen Sie sicher.«
»Es gibt ein paar sonderbare Geschichten«, sagte Maxwell. »Eine Gruppe von Supermenschen, die unter Schloß und Riegel gehalten werden. Haben Sie davon schon gehört?«