Mitten im Trab sprang er zur Erde und lief lachend auf die anderen vier Kinder zu. »Wunderbar!«, sagte Oskar, der Elefant. »Nun wissen wir also auch, wer während unserer Konferenz auf der Tribüne der Ehrengäste sitzen wird!« »Da kann ich mich ja beruhigt ins Bett legen und schwitzen«, meinte der Eisbär. »Wegen des kleinen Schnupfens?«, fragte der Tiger. »Ja«, erwiderte Paul, »der kleine Schnupfen muss weg. Denn wenn ich niese, sprenge ich die Konferenz!«
An einem schönen, sonnigen Donnerstag war es schließlich so weit. Da wurde in Kapstadt, Südafrika, die siebenundachtzigste Konferenz der Staatshäupter, Staatspräsidenten, Ministerpräsidenten und ihrer Ratgeber eröffnet. Im Frack, in Uniform, je nachdem, stiegen sie, dicke Aktenmappen tragend, die Stufen zum Konferenzgebäude empor.
telegramm an alle weit: –..– konferenz in kapstadt eröffnet –..– alle staatshäupter und Staatsoberhäupter gesund eingetroffen –..– sehen Verständigung aufs zukunftsfroheste entgegen –..– unbedeutende meinungsverschiedenheiten hinsichtlich tagesordnung –..– änderungsantrag betreffs geschäftsordnung –..– erregte debatte wegen Sitzordnung –..– wetter ausgezeichnet –..–
Am gleichen schönen, sonnigen Donnerstag stiegen die Tierdelegierten, vom Zweibeiner bis zum Tausendfüßler, die Stufen ihres Hochhauses hinan, um ihren Kongress zu eröffnen. Der von den Spinnen und Webervögeln angefertigte Begrüßungsspruch »Herzlich willkommen!« wehte luftig und duftig im lauen Winde. Aktenmappen trug niemand.
telegramm an alle weit: –..– konferenz im hochhaus der tiere eröffnet –..– alle delegierten pünktlich eingetroffen –..– mit kapstadter konferenz in rundfunk- und fernsehverbindung –..– es geht um die kinder! –..– nicht siebenundachtzigster, sondern erster und letzter versuch der tiere aller zonen –..– vernünftige einigung jetzt oder nie –..– später zu spät wetter ausgezeichnet –..–
Die Versammlung der Tiere im großen Verhandlungssaal des Hochhauses bot einen denkwürdigen Anblick. Die Raubvögel hockten auf Stangen. Die Affen saßen auf Schaukelstühlen, und der Orang-Utan paffte eine Zigarre. Die Fledermaus und der Fliegende Hund hingen kopfunter am Kronleuchter. Die Singvögel wiegten sich auf dem Geweih des Hirschs und den spitzen Hörnern der Antilope. Die Schlangen und Lurche lagen auf Teppichen. Der Skunk hatte aus den auf Seite 31 mitgeteilten Gründen am offenen Fenster Platz genommen. Die Fische drängten sich, großäugig und offnen Munds, hinter der hohen Glaswand des Bassins, das linker Hand den Saal abschloss. Das Marienkäferchen kauerte, weil es kurzsichtig war, zwischen Oskars Rüssel und der Präsidentenglocke auf dem langen, grün belegten Verhandlungstisch. Die Stille war so feierlich, dass das Kaninchen, weil der Floh auf dem Mandrill umherhüpfte, ärgerlich »Pst!« machte. Hoch in der Luft wehte das Spruchband »Es geht um die Kinder!«, und drunter saßen, frisch gewaschen und gekämmt, die fünf kleinen Ehrengäste. Auf den Lehnen ihrer Stühle schillerten bunte Schmetterlinge und Kolibris, und zu ihren Füßen spielten Mickymaus, Babar, Ferdinand, Reineke Fuchs, der Gestiefelte Kater und die anderen Bilderbuchtiere. Die Rednertribüne war von Mikrophonen und Fernsehkameras dicht umstellt, und als Oskar mit dem Rüssel die Glocke schwang und rief: »Als Erstem erteile ich dem Eisbären Paul das Wort!«, ging es wie ein Seufzen der Erleichterung durch den Saal. »Liebe Freunde!«, rief Paul. »Ich will nicht viele Worte machen. Ich halte nichts davon. Außerdem bin ich erkältet. Also – wir sind hier zusammengekommen, um den Kindern der Menschen zu helfen. Warum? Weil die Menschen selber diese ihre wichtigste Pflicht vernachlässigen! Wir verlangen einstimmig, dass es nie wieder Krieg, Not und Revolution geben darf! Sie müssen aufhören! Denn sie können aufhören! Und deshalb sollen sie aufhören!« An dieser Stelle brach im Saal ungeheurer Jubel los. Man stampfte mit den Hufen, schlug mit den Flügeln, klatschte mit den Flossen, klapperte mit den Schnäbeln, wieherte, krähte, zwitscherte, bellte, pfiff, röhrte, trompetete – es war toll!
Während Pauls Eröffnungsrede saßen die Staatspräsidenten, in ihren Fräcken und Uniformen, im Konferenzsaal zu Kapstadt, Südafrika, und starrten schweigend auf die große, straff gespannte Leinwand des Fernsehsenders, von der aus, als stünde er leibhaftig vor ihnen, der Eisbär mit seiner dröhnenden, freilich recht verschnupften Stimme auf sie heruntersprach. »Wenn sich Hindernisse in den Weg stellen«, sagte er, »so kommt man nicht mit kleinen Schritten weiter. Nein, dann muss man springen! Das wissen wir Tiere; und die Menschen, die so gescheit tun, sollten es auch wissen. Heute fordern wir nun in aller Form die Vertreter der siebenundachtzigsten Konferenz der Menschen auf, das wichtigste Hindernis, das es gibt, zu überspringen: nämlich die Grenzen zwischen ihren Ländern. Die Schranken müssen fallen. Sie sind ... sie ... sie ... sind ... Vorsicht ... ich muss nie ... nie ... nie ...« Und nun musste Paul, der Eisbär, so gewaltig niesen, dass die Leinwand zerplatzte! Brillen, Orden, Staub, Stenogrammblöcke, Aschenbecher – alles wirbelte wie bei einem Taifun wild durch die Luft!
An diesem Tage saßen Schulkinder in ihren Klassenzimmern am Radio. Durch die offenen Fenster steckten die Ziegen, Kühe, Pferde und Truthähne ihre Köpfe und hörten zu. Und auf den Fensterbrettern hockten Hunde, Hühner und Katzen; denn auch sie wollten, wie sich denken lässt, kein Wort versäumen.
telegramm an alle weit: –..– konferenz der tiere fordert von kapstadt ende der staatsidee seltsamer Sprengstoffanschlag auf präsidentenversammlung glimpflich verlaufen –..– sondergesandter general zornmüller mit flugzeug und Protestnote unterwegs –..– sonst erster konferenztag ohne zwischenfälle –..–
Am Abend landete das Kapstadter Kurierflugzeug auf dem Hochhaus, und der Herr in Uniform, der aus dem Aeroplan kletterte, wurde sofort zu Oskar und seinen Freunden gebracht. Sie saßen auf dem Dachgarten. Eine Tierkapelle musizierte. Der Eisbär trank Lindenblütentee. »Mein Name ist General Zornmüller«, erklärte der Herr. Der Elefant sagte gemütlich: »Machen Sie sich nichts draus! Schließlich ist es nicht Ihre Schuld!« »Wenn Sie Admiral Wutmaier hießen«, meinte der Löwe Alois, »war's auch nicht besser.« Weil die Tiere lachten, bekam Herr Zornmüller einen puterroten Kopf. »Hier ist die Protestnote der Kapstadter Konferenz!« Er legte ein gesiegeltes Schreiben auf den Tisch. »Ich bin ermächtigt, Ihre schriftliche Antwort entgegenzunehmen.« Die Tiere lasen die Protestnote. »Wenn ich nicht so blond wäre«, knurrte der Löwe, »könnte ich mich...« »Hör auf!«, warnte der Eisbär. »Sonst niese ich dich samt dem zornigen Herrn Müller vom Dach herunter!« Oskar legte das Schreiben auf den Tisch, blickte den General ernst an und sagte ruhig: »So so. Wir sollen uns nicht einmischen. Die Herren sind sich darüber einig.« Wütend hieb er auf die Tischplatte. »Zum ersten Mal sind sie sich einig! Und warum? Weil wir wollen, dass sie einig sind!« »Scheren Sie sich nach Kapstadt zurück!«, rief Leopold, die Giraffe. »Mit dem größten Vergnügen«, meinte Herr Zornmüller, »ich warte nur auf eine schriftliche Erklärung Ihrerseits!« »Verschwinden Sie!«, brüllte Oskar. »Wir sind nicht zusammengekommen, um Papier voll zu klecksen, sondern um den Kindern zu helfen, verstanden?« »Gewiss«, antwortete der General, »ich bin ja nicht schwerhörig!« Da erhob sich der Löwe Alois ganz langsam und fragte: »Soll ich Sie zu Ihrem Flugzeug bringen?« »Nicht nötig!«, versicherte der General. Und dann hatte er es ziemlich eilig.
Bevor sie sich an diesem Abend gute Nacht sagten, schauten Paul, Alois und Oskar noch einmal ins Kinderzimmer. Sie schlichen auf Zehenspitzen, aber das war gar nicht notwendig. Die fünf Ehrengäste schliefen in ihren fünf Betten wie die Murmeltiere. »Es ist schade um die Kinder«, murmelte der Löwe. Er war ganz gerührt. »Verzweifle nicht, du Häuflein klein«, sagte der Eisbär leise zu Alois, »wir werden den Herren in Kapstadt unseren Standpunkt schon noch klarmachen.« »Diese Aktenfabrikanten!«, schnaufte Oskar. »Diese Tintenkleckser! Diese Leitzordner! Diese zweibeinigen Büroschemel! Diese... Nanu, Mäxchen, was machst du denn hier?« »Ich?«, piepste die Maus. »Erst hab ich nachgeschaut, ob mein kleiner Chinese schön zugedeckt ist, und dann hab ich mich ein bisschen mit der Mickymaus unterhalten. Wenn sie auch nur aus Pappe ist – schließlich sind wir ja verwandt miteinander!«