Und Lorkin hatte entschuldigend, aber entschieden seine Weigerung zu antworten wiederholt. Er wollte nicht ins Plaudern geraten und riskieren, dass er unbeabsichtigt irgendwelche Informationen lieferte, die gegen die Verräterinnen benutzt werden konnten. Irgendwann kam er zu dem Schluss, dass seine Weigerung schlicht ignoriert wurde, daher verlegte er sich darauf, gar nichts zu sagen. Es war nicht so einfach, wie er es sich vorgestellt hatte, aber er musste nur daran denken, wie viel schwerer es sein würde, der Folter zu widerstehen, und seine Entschlossenheit verstärkte sich. Sie hatten noch nicht versucht, seine Gedanken zu lesen, daher wussten sie nicht, dass es nicht funktionieren würde – das hieß, solange der Stein der Verräterinnen unter der Haut seiner Handfläche, der das Gedankenlesen blockierte, anstandslos funktionierte. Vielleicht würde es König Amakira weiterhin widerstreben, die Beziehungen zu den Verbündeten Ländern zu beeinträchtigen, indem er Lorkin einer Gedankenlesung unterzog. Vielleicht hoffte er, dass Lorkin mit Fragen und Drohungen dazu zu bewegen war, klein beizugeben.
Als sie das Gitter der Zelle erreichten, in der Lorkin zuvor eingesperrt gewesen war, bedeutete der Vernehmer ihm einzutreten. Das Gitter schloss sich. Lorkin drehte sich um und sah, dass der Ashaki in der strengen Gewandung sich ihnen genähert hatte.
»Fertig?«, fragte er.
»Für den Augenblick«, erwiderte der Vernehmer.
»Er will Euren Bericht.«
Der Vernehmer nickte und ging mit seinem Gehilfen davon.
Der schlicht gekleidete Ashaki schaute Lorkin durch das Gitter mit schmalen Augen an. Dann wandte er sich ab und sah sich im Raum um, bis sein Blick auf einen schlichten Holzstuhl fiel. Der Stuhl erhob sich in die Luft und schwebte vor Lorkins Zelle wieder zu Boden.
Der Ashaki setzte sich und machte sich daran, Lorkin zu beobachten.
Angestarrt zu werden war nichts, was Lorkin besonders gefiel, aber er nahm an, dass er sich daran würde gewöhnen müssen. Er blickte sich in der Zelle um. Sie war leer bis auf einen Eimer für Exkremente in einer Ecke. Er hatte den ganzen Tag lang nichts gegessen oder getrunken, daher war sein Drang, sich zu erleichtern, nicht stark genug, um den Eimer zu benutzen, während er beobachtet wurde.
Irgendwann werde ich es tun müssen. Besser, ich gewöhne mich auch an diesen Gedanken.
Da ihm nichts anderes übrigblieb, setzte Lorkin sich auf den staubigen Boden und lehnte sich an die raue Wand. Er würde wahrscheinlich auch auf dem Boden schlafen müssen. Der Stein war hart und kalt. Zumindest war es hier kühl genug, dass ihm in seinen Roben nicht länger unangenehm heiß war. Es war leicht, die Luft mit Magie zu wärmen, aber um sie abzukühlen, musste man die Luft bewegen, vorzugsweise vorbei an Wasser.
Er dachte an den Moment zurück, da er die Roben wieder angezogen hatte, nachdem er monatelang als Verräter gelebt hatte. Zuerst war es eine Erleichterung gewesen. Er hatte den aufwendigen Stil des Gewandes und den weichen, kräftig gefärbten Stoff sehr zu würdigen gewusst. Während der sachakanische Frühling immer heißer geworden war, hatte er jedoch begonnen, die Roben schwer und unpraktisch zu finden. Wenn er allein in seinem Zimmer im Gildehaus war, hatte er die äußere Robe abgelegt und nur die Hose getragen. Er hatte angefangen, sich nach der schlichten, praktischen Kleidung der Verräter zurückzusehnen.
Diese Sehnsucht hatte wahrscheinlich ebenso viel mit dem Wunsch zu tun, wieder im Sanktuarium zu sein. Sofort stiegen Erinnerungen an Tyvara in ihm auf, und ihm wurde leichter ums Herz. Die jüngste Erinnerung, an die letzte Nacht, die sie zusammen verbracht hatten, während sie nackt und lächelnd dagelegen und ihn darin unterrichtet hatte, wie Liebende schwarze Magie benutzten, ließ seinen Puls rasen. Dann stiegen ältere Erinnerungen auf: die Art, wie sie sich bewegte, wenn sie im Sanktuarium war, sicher und selbstbewusst – sie nahm die Macht, die ihre Gesellschaft ihr gewährte, für selbstverständlich. Ihr direkter Blick, der verschmitzt und intelligent zugleich war.
Er erinnerte sich auch an sie vor dieser Zeit, als sie ihn über die sachakanischen Ebenen zu den Bergen gebracht und ihn vor Attentätern der Verräterinnen beschützt und sie dann beide vor einer Gefangennahme durch die Ashaki bewahrt hatte. Sie war müde gewesen, und es war schwer gewesen, mit ihr zu reden, und doch hatte sie ihn mit ihrer Entschlossenheit und Findigkeit beeindruckt.
Er sandte seinen Geist weiter zurück zu einer Erinnerung an sie in ihrer Verkleidung als Sklavin des Gildehauses. Die Schultern hochgezogen, den Blick gesenkt, verwirrt von seinen Versuchen, sich mit ihr anzufreunden. Er hatte sich schon damals zu ihr hingezogen gefühlt, obwohl er sich gesagt hatte, dass ihn nur ihr exotisches Aussehen faszinierte. Aber keine andere Sachakanerin hatte seine Blicke auf diese Weise auf sich gezogen, und er hatte sowohl in Arvice als auch im Sanktuarium viele schöne Frauen gesehen.
Das Sanktuarium. Ich vermisse es tatsächlich, bemerkte er. Jetzt, da ich fortgegangen bin, begreife ich, dass es mir dort gefallen hat, trotz Kalia. Erinnerungen daran, wie er entführt, eingesperrt, gefesselt und geknebelt worden war, während Kalia in seinem Geist nach dem Geheimnis magischer Heilkunst gesucht hatte, verdüsterten seine Gedanken, aber er schob sie beiseite. Kalia ist nicht länger eine der Sprecherinnen. Nicht länger zuständig für die Krankenstation, rief er sich ins Gedächtnis. Die Verräterinnen haben ihre Fehler, einige mehr als andere, aber alles in allem sind sie gute Menschen. Mit Kalia auf der Krankenstation festzusitzen und sich ständig um ihre Manipulationen sorgen zu müssen, dazu noch die Frage, wie er die Verräterinnen dazu überreden konnte, mit der Gilde Handel zu treiben, hatte ihn zu sehr abgelenkt, um ihre Lebensweise wirklich zu schätzen zu wissen.
Seine Entführung war die Tat einer kleinen Anzahl von recht skrupellosen Verräterinnen gewesen. Er hatte den Verdacht, dass nicht alle Mitglieder von Kalias Gruppe ihre Taten gutgeheißen hatten. Die meisten von ihnen wären nicht bereit gewesen, die Gesetze der Verräterinnen zu brechen, wie Kalia es getan hatte, selbst wenn sie ihr im Nachhinein recht gaben. Ihre Denkweise entsprang dem tief verwurzelten Verlangen, ihre Leute zu beschützen. Ihre Angst vor der Außenwelt war ihnen nach Jahrhunderten, die sie versteckt in den Bergen gelebt hatten, in Fleisch und Blut übergegangen.
Obwohl er nicht recht bereit war, Kalia zu verzeihen, dass sie ihm das Wissen über die Heilkunst gestohlen hatte, konnte er ihr ihren Wunsch kaum verübeln, in der Lage zu sein, es zu benutzen und das Leben ihrer Leute zu retten. Trotzdem, sie hatte vor, mich zu töten und zu behaupten, ich hätte versucht, aus dem Sanktuarium zu fliehen, und wäre im Schnee des Winters erfroren. Das ist nichts, was ich zu verzeihen beabsichtige.
Als Entschädigung für das, was ihm genommen worden war, hatte Königin Zarala verfügt, dass man ihn lehren solle, wie man magische Edelsteine anfertigt. Er hatte eine Art von Magie gelernt, von der die Gilde noch nie gehört hatte. Es war der Traum, neue mächtige Magie zu finden, der ihn dazu getrieben hatte, sich freiwillig als Botschafter Dannyls Assistent zu melden. Rückblickend belächelte er seine eigene Naivität. Die Chancen, etwas zu finden, waren lächerlich gering gewesen. Und doch hatte er es geschafft.
Seine Hoffnungen, Magie zu finden, die schwarze Magie vielleicht überflüssig machen oder zumindest einen Schutz davor bieten würde, hatten sich jedoch nicht erfüllt. Denn die magischen Edelsteine hatten zwar das Potenzial, schwarze Magie zu ersetzen, aber leider wurden sie selbst mithilfe schwarzer Magie geschaffen.