»Noch nicht.« Sonea lächelte. »Wie lebt Ihr Euch in Eurer neuen Rolle ein?«
Indria zuckte mit den Schultern. »Es ist sowohl härter als auch einfacher, als ich erwartet habe. Ich habe jahrelang unterrichtet, daher verstehe ich die Klagen und Nöte der Lehrer. Aber es gibt so viele Dokumente, mit denen ich früher nichts zu tun hatte.«
Sonea kicherte. »Ja. Der einzige Rat, den ich Euch geben kann, ist der: Ihr solltet Euch den einen oder anderen Assistenten zulegen.«
»Das werde ich.« Als sie aus dem Magierquartier traten, blickte Indria sich um. »Es macht die Sache nicht besser, dass Telano ein solches Chaos hinterlassen hat«, fügte sie mit leiser Stimme hinzu. »Ich schätze, er hatte völlig aufgehört, sich für seine eigentlichen Aufgaben zu interessieren. Seid Ihr bei der Suche nach einem Heilmittel für Feuel weitergekommen?«
Sonea schüttelte den Kopf. »Nein.«
Indria seufzte. »Diese Dinge kosten Zeit. Wie sieht es in den Hospitälern aus?«
»Sie sind voller Süchtiger auf Entzug. Einige reagieren auf magische Heilung, einige nicht. Glücklicherweise sind jene Magier, die resistent sind gegen Feuel, automatisch geheilt, so dass wir es nur mit den etwa vierzig übrigen zu tun haben.«
Sie erörterten das andauernde Feuel-Problem, während sie durch den Garten gingen. Als sie vor der Universität ankamen, sahen sie Osen, Balkan und Kallen neben einer Kutsche stehen, und eine weitere Kutsche wartete dahinter. Osen schaute auf, entdeckte sie und winkte sie heran.
»Hier ist noch Platz für Euch, Lady Indria«, sagte Osen. »Die Übrigen sind vorausgefahren. Wir werden die andere Kutsche nehmen.«
Als Indria einstieg, ging Osen zu der zweiten Kutsche. Sobald sie alle saßen und die Kutschen sich in Bewegung setzten, sah Sonea Osen an und zog die Augenbrauen hoch. Er begegnete ihrem Blick und schüttelte den Kopf.
»Nein, ich weiß nicht genau, worum es geht, aber der Ratgeber des Königs hat mir versichert, dass es keine Invasion gibt und dass es Lorkin gut geht.«
Sonea lächelte. Sie haben Angst, dass ich beim geringsten Anzeichen von Problemen zurück nach Sachaka eile. Trotzdem, es ist gut zu wissen, dass dies nichts mit ihm zu tun hat.
»Habt Ihr schon Dannyls Forschungsnotizen gelesen?«, fragte Kallen den Administrator.
»Etwa die Hälfte.« Osen hob die Augenbrauen. »Die Berichte sind tatsächlich ziemlich faszinierend, vor allem die Geschichten der Duna. Ich freue mich darauf, das ganze Buch zu lesen, sobald er es beendet hat und drucken lässt.«
»Er wird zuerst ein neues Kapitel über den sachakanischen Bürgerkrieg und die magischen Edelsteine schreiben müssen«, warf Kallen ein.
»Und ich habe das Gefühl, dass es danach noch ein weiteres Kapitel geben wird«, fügte Balkan hinzu.
Osen betrachtete den Hohen Lord mit schmalen Augen. »Macht Ihr Euch immer noch Sorgen wegen des Minenfeuers und dieser Vorrichtung in Igra, von der die Spione des Königs berichtet haben?«
»Dem Kugelspeier.« Balkan nickte. »Dargin denkt, diese Vorrichtung habe die igresischen Priester befähigt, all ihre Nachbarländer zu erobern.«
»Wahrscheinlicher ist es, dass die igresischen Magier nicht sehr mächtig oder talentiert sind«, erwiderte Osen. »Ich verstehe nicht, wie eine aus einem Rohr kommende Kugel einem Magier gefährlich werden sollte, solange er sich gut genug durch einen Schild schützt.«
»Ich vermute, es funktioniert ganz so wie Lilias einfallsreiche Idee, mit Magie zuzustoßen, statt ein Messer zu benutzen, wenn man schwarze Magie wirkt. Konzentrierte Kraft und hohe Geschwindigkeit werden fast jeden Schild durchdringen.«
»Der Spion sagte, es bestehe nur eine geringe Chance, dass eine igresische Armee eine Wüstendurchquerung überstehen würde«, rief Kallen ihm ins Gedächtnis. »Und wir wissen, dass sie weder über schwarze Magie noch über magische Edelsteine verfügen.«
Als Balkan den Kopf schüttelte, wandte Osen sich dem Fenster zu und verdrehte die Augen. »Es sind nicht die Igreser, um die ich mir Sorgen mache«, sagte Balkan. »Das Minenfeuer, das der Dieb Cery benutzt hat, war anders als das gewöhnliche …«
»Wir werden dieses Gespräch ein andermal fortsetzen müssen«, erklärte Osen und wandte sich vom Fenster ab. »Wir sind da.«
Die Kutsche rollte aus, und die Tür wurde geöffnet. Osen stieß einen leisen Seufzer der Erleichterung aus, als Balkan ausstieg. Er, Kallen und Sonea folgten. Sie befanden sich in einem kleinen Innenhof innerhalb des Palastes, wo man Magier hinbrachte, wenn der König die Verzögerung einer formellen Begrüßung vermeiden wollte. Die andere Kutsche fuhr gerade ab, und die Magier, die darin gesessen hatten, waren bereits im Innern des Gebäudes verschwunden.
Ein Palastdiener führte sie durch eine Tür und in eine kunstvoll eingerichtete Halle, dann geleitete er sie durch einen Flur zu einem Speisezimmer. Sonea hatte hier einige Male in der Vergangenheit gegessen, zusammen mit anderen Höheren Magiern, manchmal als Gast des Königs, manchmal, um wichtige fremdländische Besucher zu treffen. Heute saßen auf den Stühlen nur die Höheren Magier und vier der nicht magischen Ratgeber des Königs. Rothen lächelte und nickte, als sie ihn am Ende des Tisches entdeckte. Während sie, Osen, Balkan und Kallen die vier freien Stühle belegten, kam ein Mann in den Raum geschritten, und alle erhoben sich.
»Euer Majestät«, begann Osen.
Der König winkte ab. »Nehmt Platz. Ihr habt wichtige Entscheidungen zu treffen, und da ich weiß, wie schnell Magier Entscheidungen treffen, solltet Ihr besser unverzüglich anfangen.« Sonea unterdrückte angesichts seines trockenen Tonfalls ein Lächeln. Er ging ans Ende des Tisches und legte die Hände flach auf die Oberfläche.
»Gestern ist die neue sachakanische Botschafterin eingetroffen. Wie Ihr wisst, ist sie eine Schwarzmagierin – oder, wie sie es nennt, eine Höhere Magierin. Wie Ihr ebenfalls wisst, macht der Umstand, dass sie kein Mitglied der Gilde ist, sie zu einer wilden Magierin. Also bedeutet ihre Anwesenheit hier, dass derzeit zwei unserer wichtigsten Gesetze bezüglich Magie gebrochen werden. Folglich schicke ich sie entweder nach Hause, oder wir ändern unsere Gesetze.«
Er hielt inne, um in die Runde zu blicken, und sah jedem Magier nacheinander in die Augen.
»Ich habe nicht die Absicht, sie nach Hause zu schicken, also sollten wir besser unsere Gesetze ändern. Das ist der Grund, warum Ihr hier seid. Ihr habt monatelang über dieses Thema gestritten, und es wird Zeit, dass Ihr zu einer Einigung kommt. Zusammen mit meinen Ratgebern werdet Ihr, bevor dieser Tag zu Ende ist, neue Gesetze verfassen, die es fremdländischen, nicht der Gilde angehörigen Magiern gestatten, hier legal und mit effektiven, einhaltbaren Auflagen zu leben und Handel zu treiben. Diese Auflagen müssen sowohl die Verwendung von schwarzer Magie als auch den Besitz von magischen Edelsteinen regeln. Eure Vorgänger hatten guten Grund, schwarze Magie zu fürchten, aber wir brauchen eine bessere Methode der Kontrolle, als sie zu verbieten. Man hat mich darauf hingewiesen, dass durch die Edelsteine Magie auch in die Hände von Nichtmagiern gelangt, und wir wollen nicht, dass sie von den Igresern hören und beschließen, die Verbündeten Länder ihrer Magier zu entledigen. Obwohl ich denke, dass es unwahrscheinlich ist, dass jemand damit Erfolg haben würde, will ich mich nicht um einen Bürgerkrieg sorgen müssen. Wir brauchen irgendeine Art von Vorschrift zu den magischen Edelsteinen, und sei es nur, um zu verhindern, dass die Diebe sie in die Hände bekommen. Der Aufstieg des wilden Magiers und Diebes Skellin sollte Euch eine Warnung sein: Wir müssen die Magie aus der Unterwelt fernhalten. Ich erwarte außerdem, dass diese Gesetze einiges dazu beitragen, das Verhalten der Gildemagier zu verbessern. Die Korruption, die Feuel in den Rängen der Gilde offenbart hat, macht klar, dass einige Magier nicht immun gegen Laster sind und dagegen, auf Kosten anderer Profite zu suchen. Es wird Zeit, dass ihre Exzesse und Aktivitäten beschnitten werden.« Der König richtete sich auf. »Ihr habt eine Menge zu diskutieren, daher werde ich Euch jetzt allein lassen. Bringt mir bis Mittag eine Zusammenfassung Eurer Fortschritte.« Er hielt inne, um einen letzten Blick in die Runde zu werfen, drehte sich dann um und schritt aus dem Raum.